Traumasensibles Yoga ist eine spezielle Form des Yoga, die entwickelt wurde, um Menschen mit einem überreaktiven Nervensystem (aufgrund von vergangenen negativen, stressvollen oder traumatischen Ereignissen) mehr Ruhe und Stabilität zu schenken.
Traumasensibles Yoga: Was dahinter steckt
Starke negative und traumatisierende Ereignisse im Leben verursachen eine emotionale Überforderung und ein Gefühl von Ausgeliefert sein bei den Betroffenen. Es kann zu einer Entkopplung von sich selbst und seinen Gefühlen kommen. Das autonome Nervensystem kann infolge eines Traumas überreaktiv sein, das heißt, auf zukünftige Stressoren schnell und stark emotional reagieren. Oft kommt es zu einem Wechsel zwischen Phasen der Überreaktivität und starker Erschöpfung. Auf der anderen Seite kann das emotionale Erleben aber auch gedämpft und entkoppelt sein, sodass man wie bei Depressionen nichts oder kaum noch etwas fühlt. In der psychotherapeutischen Praxis erfahren Betroffene, dass ihr emotionales Erleben eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis ist bzw. mehrere unnormale Ereignisse oder auf eine Dysfunktionalität im Familiengefüge.

Traumasensibles Yoga ermöglicht dem Körper, sich wieder mehr in Sicherheit und geerdet zu fühlen. © Hernán Piñera under cc
Eines vorweg: Yoga kann kein Trauma heilen. Diesen Anspruch haben Yogapraktizierende, die sich mit traumasensitivem Yoga beschäftigen, auch gar nicht. Von traumatischen Erfahrungen Betroffenen hilft eine psychotherapeutische Behandlung wie zum Beispiel eine Traumatherapie. Eigenmächtige Maßnahmen könnten zur Reaktivierung des Traumas führen und sollten stets in Absprache mit den psychotherapeutischen Fachleuten erfolgen.
Zur Unterstützung der klinischen Behandlungsmaßnahmen (in Absprache) oder bei Anzeichen für eine Dysregulation beziehungsweise Überlastung des Nervensystems (z. B. große Anspannung, viele Ängste, Sorgen etc.), die sich nicht in einem klinischen Bereich bewegen, kann traumasensibles Yoga zur inneren Ruhe und Stabilität beitragen. Die Wirksamkeit von körperorientiertem Yoga untermauern Studien. Auch können kurze Yogaübungen während der therapeutischen Sitzungen dazu beitragen, dass die Klientinnen und Klienten sich in ihrem Körper verankern.
Nervensystem aus dem Gleichgewicht
Nicht jeder Mensch, der ein überlastetes Nervensystem hat, ist zwingend traumatisiert. Auch chronische Belastungen, Leistungsdruck, negative Gedankenmuster etc. können zu einer Dysregulation führen. Letztendlich geht es immer um eine gesunde emotionale Selbstregulation, mit der man gelassen zwischen einem Zustand der Anspannung und Entspannung wechseln kann – und nicht im emotionalen Überlebensmodus beziehungsweise Zustand andauernden Stresses verharrt. Je besser dieser Wechsel gelingt, desto eher sind aus emotionaler Sicht innere Ruhe und Zufriedenheit möglich. In einer Gesellschaft, in der ständige Leistung und hohe Funktionalität abverlangt wird, kann das Nervensystem aus dem Gleichgewicht geraten, gerade wenn man keine gesunde Grenzsetzung oder Copingstrategien im Umgang mit Überlastung in der Vergangenheit erlernt hat. Traumasensibles Yoga ist prinzipiell für alle Menschen gut, die »runterkommen«, »abschalten« und »ihren Körper in Sicherheit wiegen« wollen.
Traumasensibles, traumasensitives beziehungsweise auch somatisches Yoga ermöglicht den Praktizierenden, sich mehr auf ihren Körper und das innere Nachspüren zu konzentrieren. Damit einher gehen noch weitere Besonderheiten.
Traumasensibles Yoga: Was es so anders macht

Ein Trauma hat in der Regel etwas Trennendes, Abkoppelndes, das sich anhand von seelischen und körperlichen Symptomen zeigt. © OXLAEY.com under cc
Traumasensibles Yoga ist durch verschiedene besondere Aspekte gekennzeichnet, die es auch im klassischen Yoga gibt, die aber bei dieser Yogaform noch mehr in den Mittelpunkt rücken. Dabei ist traumasensibles Yoga nicht unbedingt ein eigener Yogastil. Vielmehr steht es für eine innere Haltung im Umgang mit sich, seinem emotionalen Erleben und dem Nervensystem. Es geht darum, wieder mehr zu sich zurückzufinden, den eigenen Körper anzunehmen, Grenzen zu spüren und zu etablieren und sich emotional regulieren zu können.
Achtsamkeit und Selbstregulation
Wie auch bei vielen anderen Yogaarten orientiert sich das traumsensitive Yoga darauf, im gegenwärtigen Augenblick zu sein und den eigenen Körper sowie seine Funktionsweise ohne Bewertungen wahrzunehmen. Es kommt nicht darauf an, die Yogapose möglichst »richtig« auszuüben. Vielmehr ist wichtig, wie sich bestimmte Posen anfühlen, und nicht, wie sie aussehen.
Praktizierende spüren in sich hinein, in die Bereiche, die durch die Yogaposen angesprochen werden. Sie lernen wieder, ihre eigenen körperlichen und emotionalen Reaktionen kennen und regulieren.
Freie Wahl
Beim traumasensiblen Yoga gehen Teilnehmende nur soweit in die Posen, wie sie sich dabei wohlfühlen. So erhalten sie ein Gefühl von Kontrolle, von Selbstbestimmung zurück, welches bei stark belastenden beziehungsweise traumatischen Erfahrungen abhanden gekommen ist. Sie entscheiden, ob und wie sie die Übungen ausführen wollen. Zudem gibt es oft Variante A oder B bei der Ausübung.
Teilnehmende haben die Wahl – eine Wahl, die sie vielleicht in frühester Kindheit oder bei einem traumatischen Einzelereignis im Erwachsenenalter nicht hatten. Deshalb ist es beim traumsensiblen Yoga so wichtig und weit mehr als eine Floskel, den Teilnehmenden darzulegen, dass sie eine Wahl haben.
Sicherer Raum
In den Yogakursen beim traumsensiblen Yoga herrscht eine Atmosphäre von Vertrauen und Sicherheit. Es gibt keine unangenehmen Geräusche oder Lichter. Die Yogaklasse ist klein und besteht oft aus denselben Teilnehmenden.
Auch die Sprache der Yogalehrenden ist bewusst gewählt, um keinen Druck, keine Angst oder Schamgefühle hervorzurufen. Sie ist stets achtsam und respektvoll. Statt zu erklären, wie etwas »richtig« gemacht wird, ist die Kommunikation offen und erkundend gestaltet.
Die Praktizierenden werden nicht berührt, und wenn, dann nur durch vormaliges Nachfragen. Bewegungen im Raum wie etwa beim Schließen des Fensters werden angekündigt. Jede teilnehmende Person hat auf ihrer Yogamatte ihren Safe Space.
Erdung und Achtsamkeit

Achtsamkeit ist heilsam. © EGIZU Getxo Euskaldun Elkartea under cc
Bei den Übungen (wie z. B. der Baum oder die Kriegerpositionen) liegt der Fokus auf Erdung und Stabilität im Körper. Die Bewegungen sind langsam und kontrolliert. Den Praktizierenden bleibt genügend Zeit zwischen den Übungen, um in sich hinein zu spüren. Die Yogapraxis ist so angepasst, dass sie keine Überforderung verursacht. Achtsame Bewegungen werden bevorzugt, um den Körper nicht zu sehr zu beanspruchen oder traumatische Erinnerungen zu triggern. Der Halt wird bei vielen Übungen im Außen gesetzt, indem zum Beispiel durch eine Wand oder einen Stuhl Stütze und Sicherheit gegeben wird.
Atemübungen und ruhende Posen wie beim Yin Yoga sind so abgewandelt, dass sie kein Unwohlsein bei den Teilnehmenden hervorrufen. Bei Menschen mit einer hohen inneren Anspannung ist der Atem oft flach oder wird manchmal zwischendrin sogar vergessen. Manchmal ist er auch viel zu schnell. Sein Ausdruck steht in einem ungesunden Wechselspiel mit Angst und Unruhe. Ein sorgsamer Umgang mit dem Atem bei den Übungen (wie zum Beispiel ein weicher, nicht angespannter Bauch durch ruhige Bauchatmung) ist beim traumasensiblen Yoga eine Herangehensweise. Zudem wird individuell unterschiedlich auf die Teilnehmenden eingegangen.
Intensive, kraftvolle, mobilisierende Bewegungsformen und längere Ruhephasen könnten destabilisierend wirken und werden deshalb vermieden. Haltungen, die eine gewisse Schutzlosigkeit suggerieren, werden nicht praktiziert. Mitunter werden klassische Liegehaltungen im Sitzen oder mit gebeugten Knien und den Füßen flach auf dem Boden ausgeübt oder durch kleinere Bewegungen wie ein sanftes Wiegen angereichert. Auch wird zum Beispiel die Cat-Cow-Position oft im Schneidersitz praktiziert.
Je nachdem können die Augen geschlossen werden oder offen bleiben.
Fazit
Traumasensibles Yoga (TSY) fördert die Selbstwahrnehmung, emotionale Selbstregulation und das Vertrauen in den eigenen Körper. Im Fokus steht ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit. Der Ansatz betont Achtsamkeit und Wahlfreiheit. Es ist wichtig, dass die Yogapraxis in einem sicheren und unterstützenden Rahmen von geschulten Yogalehrenden ausgeführt wird.
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