Emotionale Reife ist weniger eine Frage des Alters, sondern eine Frage dessen, wie gut man gelernt hat, mit negativen Erfahrungen, Herausforderungen und problematischen Gefühlslagen umzugehen. Im Zuge einer gelungenen Aufarbeitung der individuellen Vergangenheit sowie auch der Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit stellt sich emotionale Reife ein. Wodurch zeigt sie sich?

Emotionale Reife lässt uns gelassener bleiben und souveräner reagieren. Wir haben 8 Anzeichen zusammengetragen, die emotionale Reife ausmachen können.

1. Innere Stärke: Trotz Unwohlsein handeln

Irrationale Ängste hemmen uns. Sie führen uns nicht selten zu Entscheidungen und Verhaltensweisen, die wir im Nachhinein bereuen könnten. Erst wenn wir unsere Komfortzone verlassen, können wir uns weiterentwickeln. Das erfordert jedoch, dass wir hin und wieder durch irrationale Ängste durchmüssen. Dahinter wartet meistens eine Verbesserung.

Ältere Frau zieht Einkaufstrolley, im Hintergrund vor Brücke jüngerer Mann

Emotionale Reife ist nicht immer eine Frage des Alters, sondern wie sehr man in sich ruht. © John Bastoen under cc

Irrationale Ängste sind Ängste, welche nicht die Realität abbilden. Sie warnen uns vor etwas, das faktisch eigentlich keine Gefahr für uns darstellt. Überwinden wir diese irrationalen Ängste, schreiten also trotz dieser einfach weiter, werden wir uns kontinuierlich verändern können. Leben bedeutet Veränderung. Leben bedeutet Ungewissheit. Sich trotz dieser Ungewissheit wohl und bei sich angekommen zu fühlen, Halt in sich selbst zu finden, das macht emotionale Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Reife aus.

Wer für sich erkannt hat, dass er sich schwierigen Problemlagen, Gesprächen und unbekannten Situationen stellen kann, ungeachtet der empfundenen Angst, wer in sich die Gewissheit trägt, damit umgehen zu können, der ist bezüglich seiner emotionalen Reife einen großen Schritt weiter.

2. Empathischer Perspektivwechsel zeigt innere Reife

Ein weiteres Anzeichen von emotionaler Reife besteht in der Fähigkeit, empathisch zu sein. Selbst wenn man die Perspektive des Gegenübers nicht in ähnlicher Weise empfinden kann, so kann man sie doch ein Stückweit einnehmen und versuchen, zu verstehen, warum der andere Mensch so handelt, wie er handelt.

Für eine emotionale Unreife steht hingegen, jemand anderen die eigene Meinung aufdrücken zu wollen und diese als allwissend kundzutun. Während viele sich behaupten wollen mit ihrer Persönlichkeit, sich selbst darstellen wollen mit ihrem Wissen und andere von ihren Ansichten überzeugen wollen, bleiben emotional reife Menschen häufig im Hintergrund. Sie antworten, wenn man ihnen eine Frage stellt. Sie geben Tipps, wenn man sie danach fragt. Und sie hören zu, anstatt ständig von sich zu reden.

3. Kompromissbereitschaft: ein gereifter Umgang

Menschen haben unterschiedliche Meinungen und Wertvorstellungen. Das ist den meisten sicherlich bekannt. Aber wie gut können sie diese Unterschiede akzeptieren? Darin unterscheiden sich emotional reife und unreife Menschen. Mit Trotz zu reagieren oder anderen den eigenen Willen aufzuzwingen, steht nicht für emotionale Reife. Eher für eine kindlich anmutende, emotionale Unreife.

Gerade in Partnerschaften, im Familien- oder Freundeskreis, aber auch im Kollegenkreis ist es essenziell, Kompromisse zu finden, um sich anzunähern und die gemeinsam verbrachte Zeit für alle zufriedenstellend zu gestalten. Deshalb muss man sich zurücknehmen können und eventuelle dabei aufkommende negative Gefühle regulieren.
Allerdings sollten wir uns demgegenüber auch nicht ständig unterordnen. Es ist wichtig, in sozialen Beziehungen die eigene Unabhängigkeit zu wahren und Grenzen zu setzen, sobald ein Grenzübertritt erfolgt. Letztendlich geht es um ein Gleichgewicht von Autonomie und Verbundenheit miteinander.

4. Gute Selbstregulation: Reifer Umgang mit Emotionen

Gesicht einer jungen Frau, die breit lacht, mit weißen Zähnen

Wer Gelassenheit in sich trägt, der ist oft glücklicher. © Jenene Chesbrough under cc

Emotionale Reife steht für eine gesunde Selbstregulation. Emotional reife Menschen handeln weniger impulsiv, sondern vielmehr überlegter. Sie haben ihre Gefühle unter Kontrolle, ohne sie zu verdrängen. Sie wissen um die Kraft der Gefühle und lassen diese wie auf Wolken vorbeiziehen. Bei Wut gehen sie auf Abstand, um zu prüfen, in welcher Hinsicht eine Grenzverletzung erfolgte, die sie wütend werden ließ.

Emotional reif zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, alles mit sich selbst auszumachen. Eine angemessene Unterstützung sowie Trost sich von anderen Menschen zu holen, wenn man es braucht, steht ebenfalls für einen gesunden und reifen Umgang mit Gefühlen.

Personen, die sich stark mit sich auseinandergesetzt haben und emotional reifen konnten, wissen um die Aspekte, die ihnen Sicherheit im Leben bringen. Das können regelmäßige meditative Einheiten sein oder die Arbeit mit mentalen Bildern, beispielsweise die Vorstellung einer Insel bei innerer Unruhe oder eines Schutzwalls um sich herum, um Schamgefühle abzumildern. Die Erarbeitung einer ruhigen emotionalen Baseline, welche einen die meiste Zeit gelassen durch die Herausforderungen des Lebens steuert, bringt ein festes Fundament mit sich. Menschen, die das erreicht haben, stehen mehr in Kontakt mit sich selbst, sie sind insgesamt ruhiger und weniger abhängig von äußeren Umständen.

5. Stabiler Selbstwert

Emotional reife Menschen haben sich einen stabilen Selbstwert erarbeitet, der unabhängig von der Meinung anderer Personen, von Misserfolgen oder negativen Umständen ist. Andere Menschen besitzen mit ihrem Urteil keine Macht über sie. Gemachte Fehler oder Misserfolge schüchtern sie nicht ein. Sie empfinden ihren individuellen Wert als immer gleich.

6. Positive innere Stimme zeigt emotionale Reife

Augenpartie eines Mannes mit braunen Augen

Emotional reife Menschen besitzen Empathie. © Dboybaker under cc

Bei vielen von uns ist der innere Kritiker ein gemeiner Mensch. Er drescht verbal auf uns ein, beschämt uns und stellt unsere gesamte Persönlichkeit infrage. Das ist nicht sehr nett. Würde eine befreundete Person in der Art mit uns reden, würden wir zügig zu diesem Menschen auf Abstand gehen. Doch der inneren Stimme in unserem Kopf schenken wir Gehör. Schlimmer noch, wir glauben es oft sogar und nehmen es als die Realität an.

Woher kommt dieses missmutige Wesen in unserem Inneren eigentlich? Der innere Kritiker basiert nicht selten auf Schlussfolgerungen, die wir in unserer Kindheit anhand bestimmter Umstände und Meinungen von nahestehenden Bezugspersonen gezogen haben. Wurden wir beispielsweise häufiger abgewertet, findet sich diese Stimme wie automatisiert bis ins Erwachsenenalter in unserem Kopf. »Du bist nicht gut.« »Das kannst du nicht.« Solche Sätzen ploppen dann schnell auf.

Wer innerlich erstarkt ist und an emotionaler Reife dazu gewonnen hat, der hat seine negativen inneren Glaubenssätze hinterfragt und korrigiert. Selbst wenn solche problematischen Annahmen von uns selbst hin und wieder noch in unseren Kopf gelangen, wissen wir aufgrund der Arbeit an uns selbst, mit diesen umzugehen. Die wohlwollende innere Stimme erhält mehr Gewicht. Denn letztendlich macht es einen Unterschied, ob man zu sich sagt: »Ich kann einfach nichts, ich bin ein Niemand«, oder ob man sich Mut zuspricht: »Ich entwickle mich Stück für Stück weiter. Alles, was ich brauche, ist Geduld. Das wird schon.«

Eine Toleranz den eigenen Fehlern gegenüber sowie ein Wohlwollen uns selbst und unseren Schwächen gegenüber stehen für eine emotionale Reife. Ebenso nachsichtig und weniger beurteilend verhält man sich dann auch im Umgang mit anderen Menschen.

7. Respektvoll: Auf Augenhöhe sein

Emotional reife Menschen haben für sich verinnerlicht, dass niemand perfekt ist. Jeder Mensch, auch sie selbst, hat Schwächen. Jeder macht Fehler. Es ist also nicht nötig, einen anderen Menschen auf einen Sockel zu stellen, sich ihm unterzuordnen oder sich über jemanden zu erheben.

Begegnen wir anderen Menschen auf Augenhöhe, werden wir insgesamt zu mehr Verständnis kommen und deutlich gelassener sein können.

8. Mehr Selbstfürsorge bei emotionaler Reife

Emotional reife Menschen sind nicht egoistisch, aber sie sorgen gut für sich selbst. Viele Menschen sind von Schuldgefühlen betroffen, sie werden innerlich unruhig, sobald sie glauben, nicht genügend für andere da zu sein. Viele ordnen sich oft zu stark unter. Doch das Geben und Nehmen muss in einem gesunden Gleichgewicht stehen. Wir können lernen, mit auftretenden Schuldgefühlen umzugehen, und uns in einem gesunden Maß um uns selbst kümmern. Wir können und sollten darauf vertrauen, dass andere erwachsene Menschen jene Fürsorge und Verantwortungsübernahme in einem ebenso gesunden Maße für sich selbst tätigen. Dafür steht emotionale Reife.