
Neid tut weh. © Gregor Schmidinger under cc
Im dritten Teil der Reihe, wollen wir einige Lebens- und Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus ein wenig praktischer darstellen, weniger um an einer konkreten Situation eindeutig festzumachen, dass in jemandem das Prinzip Narzissmus wirkt, sondern vielmehr, damit man in der Fülle der Verhaltensweisen sieht, die auch sehr gegensätzlich sein können, was das Prinzip Narzissmus ausmacht, wozu sich die Bausteine aus dem vorigen Teil zusammenfügen und worin man sie typischerweise wieder erkennt. Im idealen Fall schimmert allmählich eine rote Linie durch, anhand derer unsere Leser das Prinzip Narzissmus im Alltag besser erkennen können.
Was wir hier vorlegen sind also eher zuspitzende Karikaturen, die nicht in allen Fällen eins zu eins so sein müssen, aber doch zeigen sollten, was das Prinzip Narzissmus im alltäglichen Leben ausmacht. Warum es wichtig sein könnte, das Prinzip Narzissmus näher und besser erkennen zu können, soll im vierten und letzten Teil erläutert werden.
Krankhafter Individualismus
Oft wird der Individualismus, der Kult um das Ich als Geißel unserer Zeit betrachtet, einige meinen allerdings dieser Trend sei bereits wieder vorbei und alle setzten inzwischen auf das Wir und doch scheint sich das Prinzip Narzissmus unter beiden Überschriften wohl zu fühlen. Individualismus und Anpassung schließen sich beim Narzissmus nicht aus, da sie sich entweder für die Größten und Mächtigsten halten, oder sich mit denen, die sie als solche entdeckt zu haben glauben, identifizieren und die idealisieren. Narzissten geben sich ungern mit Nebenrollen im Leben zufrieden, sie halten sich für einzigartig, folgen aber Trends, an denen sie ihre Einzigartigkeit meinen festmachen zu können, in dem sie die Kriterien des Trends übererfüllen. Die tiefere Einsicht, dass man als Mensch durch sein Dasein immer einzigartig ist, dies aber für jeden gilt, verfehlen sie und meinen, die Einzigartigkeit stünde allein ihnen und ein paar ganz besonderen anderen zu. Der Rest verschwimmt in einer grauen, amorphen Masse, der Gesellschaft, die immer aus den anderen besteht. Damit dies auch klar erkennbar wird, muss man sich mit bestimmten Kennzeichen der Besonderheit umgeben.
Narzissten neigen notorisch zur Selbstüberschätzung. Sie halten ihre Erkenntnisse für tiefe Wahrheiten und dass man etwas überhaupt noch anders sehen kann, als sie es tun, entgeht ihnen oder sie halten es, für nicht der Rede wert. Die anderen haben, im Fall abweichender Meinungen, dann nur ihren Punkt nicht verstanden, den die Narzissten selbstgefällig, aber ohne das Bemühen, die Position des anderen zu verstehen, gerne wiederholen. Allenfalls sind sie bemüht dem anderen seinen Fehler zu erklären, die Idee, dass er Recht haben könnte, seine Sicht wenigstens geprüft werden sollte oder sogar die eigene Perspektive bereichern könnte, kommt ihnen nicht. Sie glauben, als einzige einen klaren Blick auf die Tatsachen zu besitzen, sich nichts vorzumachen und zu wissen, wie die Dinge wirklich sind. Dass es doch nun mal so sei, so und nicht anders, das hört man oft. Feinheiten, wie jene, dass allein der Rekurs auf sogenannte Tatsachen noch überhaupt nichts aussagt, sondern die Fakten immer Ausgangspunkt einer Deutung sind und manchmal sogar das Ergebnis einer Vorselektion, entgehen ihnen, doch dafür ist ihre Welt simpel und robust. Man unterwirft sich konventionellen Klischees, die man allerdings für besonders hält, wie der Unterteilung in gut und böse und der Überzeugung, dass man sich für das Gute einsetzen muss und daraus leitet man das Recht ab, das Böse zu bestrafen oder zu zerstören. So kann man sich einzigartig fühlen, auch wenn oder gerade weil man Teil einer Bewegung oder Gruppe ist, die für eine perfekte oder erlösende Idee steht.
Doch auch wer sich keiner Bewegung anschließt, weil er zwar revolutionäre Ideen super findet, ein Engagement, das eine Unterschrift einer Online Petition übersteigt aber zu lästig, wird mit Angeboten die Einzigartigkeit suggerieren reichlich bedient. Auto, Kleidung, Versicherungen für ihn, aber natürlich auch der ganz individuelle Look für sie, damit man so begehrenswert wird, wie der liebste Serienstar oder die Prinzengattin, mehr und mehr bestimmen aber auch die Vorgaben der Pornoindustrie, was sexy ist. (Den Körperkult behandeln wir in der nächsten Folge.)
Erfolgskult
So oder so, man muss erfolgreich sein. So gerne Narzissten betonen, dass ihnen die Normen der Gesellschaft völlig egal sind, so wichtig sind ihnen deren Insignien, es geschafft zu haben. Freilich, typisch für den Narzissmus und insofern glaubhaft, bedeutet ihnen das alles auf eine bestimmte Art nichts. Es füllt ihre innere Leere nicht. Wer auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitet, fühlt, wenn er dieses Ziel erreicht hat, ein Gefühl der Zufriedenheit, das über den Moment hinausgeht. Ob Auto, Eigenheim, der extra breite Bildschirm, mit den passenden Boxen oder die Reise in ein bestimmtes Land, eine Sprosse der Karriereleiter, wer dies als Ziel hat und es erreicht, lehnt sich vielleicht stolz zurück und kann im Moment und der späteren Erinnerung schwelgen und sich entspannen. Ahh, endlich. Nicht so Narzissten. Sie mögen jene verachten oder bemitleiden, die nicht haben, machen oder sind, was ihnen zu eigen ist, aber sie finden in dem was die haben, machen oder sind dennoch keine tiefe Befriedigung. Ein mit dem Prinzip Narzissmus Infizierter zieht sich nicht selbstgenügsam zurück, genießt und schweigt, sondern er zieht seine Lust aus dem Triumph, über andere zu dominieren. Die Blicke der anderen sind neidisch, das spürt der Narzisst ganz genau, weil Neid das ist, was alle Welt bewegt und Freude und Anerkennung in narzisstischer Lesart immer heimlichen Neid bedeuten. So muss er der Welt ständig präsentieren, wie großartig sein Leben ist, doch still zu genießen und dabei nicht, wenigstens in der Phantasie andere abzuwerten, das gelingt unter dem Einfluss des Prinzips Narzissmus selten bis nie. Selbst der reale Erfolg macht nicht glücklich, weil es immer irgendwen gibt, der besser ist oder sein könnte und das ist der ewige Stachel im Fleisch, der größere Erfolg irgendeines anderen.
Die Entwertung der Leistung oder Bedeutung des anderen ist das kurze Gegengift, gegen den Neid, so meint man, nur bedeutet das für das Prinzip Narzissmus eben nicht einfach, sich seine Nische zu suchen und zu sagen, dass man sich hier wohl und glücklich fühlt. Das können Narzissten gerade nicht. Die erlöste und gesunde Variante des Narzissmus ist, darauf zu achten, dass man auch etwas abbekommt und sich sein Leben so einzurichten, dass man gut und gerne lebt und das geht besonders dann, wenn man sich nicht fortwährend zwanghaft mit anderen vergleichen muss und sich nur besser fühlen darf, wenn man mehr hat. Das Prinzip Narzissmus vergleicht fortwährend.
Man muss Erfolg haben. Da aber längst nicht jeder der unter dem Prinzip Narzissmus leidet auch realen Erfolg hat, muss uminterpretiert werden, was eigentlicher und wirklicher Erfolg ist. Reich, schön und berühmt, das kann ja jeder. Statt dessen interessiert man sich für die wirklich Mächtigen und diskreditiert und belächelt die Marionetten, die alle nur vorgeschoben werden, die wahre Macht, die sitzt woanders. Wenn man sich mit den wahren Mächtigen identifiziert, muss man die auf der Bühne nicht mehr beneiden, man weiß ja, die sind in Wahrheit nur zweitklassig. So strickt man sich nach und nach seine eigene Welt, aber nicht eine in der man sagt: „So ein Leben in der Öffentlichkeit, das wäre nichts für mich“, sondern in dem man so ein Leben oft radikal entwertet und die wahre Leistung, wahre Macht oder wahre Bedeutung der bekannten Größen infrage stellt, denn so braucht man sie nicht mehr zu beneiden.
Wer mit seinem Leben zufrieden ist, der braucht sich nicht ständig mit anderen zu vergleichen, vor allem kann er anderen ebenfalls gönnen, wenn sie mit ihrem Lebensansatz glücklich werden. Das können Narzissten nicht, sie sind neidisch, wenn jemand glücklich ist (weil sie es in der Regel nicht sind, sie sind großartig, aber nicht zufrieden) und sie werden obendrein sauer, wenn jemand mit seinem kümmerlichen Dasein zufrieden ist, der es ihn ihren Augen eigentlich nicht sein dürfte.
Alles auf Karriere und Ansehen
In aller Regel stehen der sichtbare Ausdruck des monetären oder karrieremäßigen Ansehens, als eine der Erscheinungsformen des Prinzips Narzissmus hoch im Kurs. Gerne ganz locker und spielerisch. Man macht das so nebenher, wenn man talentiert ist, man kennt sich und nützt, wenn man aus besseren Kreisen stammt, aber auch die Variante des fleißigen Arbeiters, mit mehr Biss als alle anderen, ist zu finden. Narzissten sind bekannt und berüchtigt dafür nach oben zu wollen, koste es, was es wolle. Kommt man nicht an die Spitze, hat man das Gefühl, ein Leben zweiter Klasse zu führen, immer betrogen um das, was sein könnte und was einem eigentlich zusteht. Ist man ganz oben, kann man es sich erlauben glücklich zu sein, es geschafft zu haben, eigentlich. Doch die innere Leere kann man so nicht besiegen, man kann sie nur betäuben, das große schwarze Loch in der eigenen Psyche auszufüllen versuchen, doch das gelingt immer nur phasenweise, wenn man sich und vor allem der Welt zeigen kann, wie weit man es gebracht hat und wenn man zur Abwechslung mal das Gefühl haben kann, dass nun die anderen neidisch sind, sein müssen. Die schlimmste Schmach ist, wenn sich ein anderen ehrlich mit freut, der doch eigentlich vor Neid vergehen müsste. Dann fällt der eigene Triumpf aus, der die echten Beziehungen ersetzen muss. Daher „weiß“ man genau, der tut nur, als sei er nicht neidisch.