Wo beginnt Sucht?

Gefährliche Kristalle? Durchaus, hier sind es Zuckerkristalle. © Ruediger Pretzlaff under cc
Es gibt typische Kriterien für Sucht, wie sie hier dargestellt sind. Doch, wie die meisten wissen, kann man nach allem süchtig werden, auch nach nicht stofflichen Dingen. Spielsucht, Online-, Porno- oder generell Mediensucht, aber auch die unstillbare Gier nach Sex und allem möglichen anderen sind heute ein bekanntes Problem. Essstörungen sind oft ein Grenzfall. Einerseits kennt man das gierige und kompensatorische Suchtverhalten von Essgestörten die in einer inzwischen großen Vielzahl von Kombinationen die massenhafte Aufnahme von Kalorien mit Phasen des Fastens, Kotzens und der Disziplin kombinieren, oder dauerhaft übergewichtig sind. Andererseits ist es auch hier die Substanz, nämlich der raffinierte Zucker, der ein Gewöhnungs- und Suchtpotential in sich birgt. Der zwischenzeitlich Ernährungspapst genannte Arzt Dr. Max Otto Bruker kämpfte Jahrzehnte gegen die flächendeckende Verbreitung und Verharmlosung des Zuckers, etwa in dem Buch „Zucker Zucker: … krank durch Fabrikzucker.“ Seine Ideen scheinen sich allmählich durchzusetzen, 50 Jahre später zum Beispiel beim Spiegel doch das Wissen um Gefahren, heißt ja nicht, dass man diese meidet. Viele möchten das Thema Sucht so auch gar nicht behandelt wissen, allen voran die einflussreiche Zuckerlobby.
Man ist ganz froh, das Thema Sucht in die liebgewonnene Ecke zu schieben, auf irgendwelche gesellschaftlichen Randgruppen und nicht die süße Belohnung für die Kleinsten als gut vermarktetes Anfixen sehen zu müssen.
Sucht und Suche I
Aber was macht Sucht zur Sucht und warum kann man von Crystal Meth, Zigaretten, Zucker und Geldspielautomaten, Kaufen oder Smartphones gleichermaßen abhänging werden? Es handelt sich um eine komplexe Wechselwirkung zwischen eigener Disposition, psychischer Struktur, der Umwelt und der Hirnchemie. Alle Bereiche spielen eine Rolle und beeinflussen einander. Großen Einfluss hat dabei das Dopamin. Dopamin hat wie die meisten Neurotransmitter viele Funktionen, unter anderem ist es Teil unseres Such-, Lern- und Belohnungssystems. Dopamin lässt uns Neues, neue Eindrücke suchen und verarbeiten. Wer viel Dopamin zur Verfügung hat, kann aus den neuen Eindrücken auch Konsequenzen ziehen: Muster erkennen oder lernen. Dopamin dient aber auch der Vorbereitung unseres Belohnungssystems. Wenn wir uns selbst ein Ziel setzen, eines, das eine echte Herausforderung bedeutet, wird, beim Erreichen des Ziels im Körper Dopamin freigesetzt, was den Effekt hat, dass wir uns glücklich und zufrieden fühlen und stolz auf uns sind. Doch das geht auch anders, nämlich durch die meisten Suchtmittel. Es ist immer der kurze Kick und im Kopf die kurze Dopamindusche, die der Spieler vor seinem Geldspielautomaten oder bei der Entscheidung einer Wette erhält. Es ist das Eintreffen des 723. Päckchens, das den Kick auslöst, längst nicht mehr dessen Inhalt und es sind mitunter wahre Dopamin-Überflutungen, die von Drogen freigesetzt werden. Diese sind der einfachste und oft massivste Weg um an Dopamin gelangen, man muss nichts dafür tun. Aber viel, hilft viel ist auch hier der falsche Schluss.
Parkinson und Psychosen
Dopamin macht glücklich (oder bereitet das Glücklichsein biochemisch vor), lässt einen besser Lernen, Muster erkennen, aber das Problem besteht darin, dass zuweilen auch dort Muster erkennt, wo eigentlich keine sind. Oder genauer gesagt, wo andere keine sehen. Normalität ist das, was die meisten als normal empfinden, insofern ist derjenige, der mehr sieht zumindest ein gesellschaftlicher Außenseiter. Psychosen, vor allem schizophrene Psychosen lassen Menschen oft diese für andere unsichtbaren Muster und Zusammenhänge erkennen. Die Versuche zu ihnen durchzudringen werden oft in das wahnhafte und oft paranoide Muster eingebaut. Überall Feinde, Verschwörung und der Versuch zu vergiften, abzuhören und zu intrigieren. Die Korrelation zwischen Genies, besonders mathematisch begabten Genies und Psychosen ist auffallend hoch. Sie erkennen auch hier spielend Muster, die andere nicht oder mit viel mehr Mühe sehen.
Wir sehen, wie wünschenswerte Eigenschaften kippen können, die Geschichte der Nähe von Genie und Wahn ist nicht ganz falsch. Antipsychotische Mittel verhindern häufig (nicht immer) das Andocken von Dopamin in bestimmten Bereichen des Gehirns. Der Wahn lässt nach, eine der Nebenwirkungen sind häufig Bewegungsanomalien, die an die Parkinson Erkrankung erinnern. Und in der Tat finden wir bei der Parkinson Erkrankung einen Mangel an Dopamin (oder dessen Rezeptoren), den man durch Medikamente zu beheben versucht. Parkinson Patienten haben neben diesen Bewegungsmustern, dem Zittern und den Phasen den Bewegungsunfähigkeit auch einen Verlust des Lern- und Merkvermögens zu beklagen, sowie einen Mangel an Freude und Motivation. Und auch bei Depressionen spielt Dopaminmangel eine Rolle.
Folgerichtig löst ein chemisches Überfluten des Hirns mit Dopamin oder Stoffen, die die Rolle des Dopamins einnehmen, natürlich ein Hochgefühl, aber dann eben auch bisweilen eine Psychose aus. Und nach einer Zeit der Gewöhnung haben so gut wie alle Drogen, die ein High auslösen, den Effekt, dass man in depressive Löcher fällt.
Sucht und Suche II
Doch die Biochemie ist nicht der einzige Aspekt einer Parallele von Sucht und Suche. Sucht kann auch zum Ersatz für eine Suche werden, Eigentlich möchte man frei sein, doch dann reicht es nur bis zur Zigaretten, die einem Freiheit suggeriert. Alkohol entspannt in erster Linie und ist ein Weichzeichner für die Welt. Viele Menschen die Angst haben, benutzen – manchmal ohne zu wissen, dass es Angst ist unter der sie leiden – Alkohol als Eigentherapie. Die Angst sinkt, die Selbstsicherheit steigt und Alkohol trinkt bei uns so gut wie jeder. Nur das Wann, Wo und Wie, ist sozial geregelt.
Dabei ist das Ziel entspannter und gelassener zu werden und dann und wann ein wenig lustig und enthemmt, ja kein Schlechtes. Wenn die Sucht schon ein Ersatz ist, für die eigentliche Suche, Sucht also verpfuschte Suche ist, dann ist der erfolgverprechende Weg einer Therapie nicht allein das Suchtmittel zu entziehen, sondern vor allem, die Suche neu zu aktivieren und auf das zu richten, um was er irgendwann und eigentlich mal ging. Um die eigenen Träume und Vorstellungen vom Leben. Der Traum von Liebe, Freiheit, Selbstbestimmung, Glück. Diese Wendung des Blicks vertreten einige Ansätze, beispielhaft hier der von Rüdiger Dahlke, in seinem Blog . Wenn man diese Zusammenhänge verstanden hat, kann man auch andere verstehen, solche, die uns mitunter zum Strinrunzeln bringen.