Die Objekte der Begierde. Atemschutzmasken. © photoheuristic.info under cc

Die Welt hustet und fürchtet sich. Ja, es geht um das Coronavirus (SARS-CoV-2) und nein, es geht nicht um Tipps und Tricks der Vorsorge.

Diese finden Sie auf der Website des Robert Koch Instituts, auch zur gegenwärtigen, dynamischen Entwicklung der Virusepidemie.

Wir wollen an dieser Stelle in einer Phase einer beginnenden Ausbreitung über die konkrete Situation hinaus schauen und aufzeigen, was sich jetzt bereits über die psychologische Ebene sagen lässt, die ja beides betrachtet, das Individuum und die Gesellschaft. Wenn Sie von dem Wissen dennoch im Bezug auf die gegenwärtige Situation profitieren, so soll uns das recht sein.

Für wen sollen wir eigentlich schreiben?

Man will keine Panik schüren, andererseits aber auch niemanden in falscher Sicherheit wiegen. Das gebietet schon die Rolle des öffentlichen Schreibers, der sich ein Stück weit Gedanken über die Wirkung von Worten macht. Aber das ist nur der eine Aspekt. Darüber hinaus fragt man sich, was die unbekannte Leser wohl weiß und wissen möchte. Man will und soll nicht langweilen, weil man weiß, dass das nicht goutiert wird. Leser sind manchmal ungeduldige Wesen, der erste Blick entscheidet und klick, ist man woanders. Oft scrollt man die Überschriften durch, vielleicht noch die Kurzeinführung, dann weiß man, was es zu wissen gibt, die zwölf nächsten Informationen warten schon darauf überflogen zu werden.

Richtet man sein Augenmerk auf die Quote, hängt man sich an das, was jeder schreibt. Da man ja auch gelesen werden will, muss man eben sehr schnell sein, oder sich unterscheiden. Also ein wenig greller, krasser oder pointierter ein ‚Marktsegment‘ betrachtend. Das Marktsegment sind die dann Sie, liebe Leser, die Sie vermutlich viel öfter Leserinnen sind. Psycho und Gesundheit, das verfängt nicht bei Männern. Schon das Lesen selnst ist da ja mitunter schwierig, bei einigen, kann man ja mal sagen, wir sind ja hier unter uns.

Sie, die Sie uns gezielt lesen, sind obendrein im Schnitt intelligenter. Aber anbiedern ist nicht so meine Sache und wenn, dann nicht so plump, ich halte Sie ja wirklich für intelligent, Sie merken das. Mir geht es hier um den Kontrast. Da gibt es noch die anderen, diejenigen, die zufällig vorbeikommen, an einem bestimmten Thema hängen bleiben. Wenn es um Psychologie und Gesundheit geht, ist eigene Betroffenheit oft der Grund. Die vielleicht etwas Übererregten, die verunsichert sind und sich inmitten zu vieler Informationen hier und da ein wenig Klarheit erwarten. Weil der eine dies sagt, der andere das und was die verlässliche Quelle für den einen ist, das findet der andere lächerlich und 38 Meinungen später ist man irgendwie auch nicht schlauer. Wem soll man bloß vertrauen?

Da Sie intelligent sind, sind Sie bereits gut informiert, Wiederholungen langweilen nur. Bei den anderen geht es hingegen oft um die Basics, wenn man zu viel voraussetzt, verliert und überfordert man sie und wir wollen ja auch aufklären und erklären, weil das benötigt wird. Die Übergänge zwischen beiden Lagern sind fließend, die Segmente eigentlich noch viel breiter gestreut und waren wir nicht eigentlich sowie beim Coronavirus? Dabei haben wir das Thema nie verlassen, sondern eingeführt.

Die Grenzen der Kommunikation sind erreicht

Sie sind über eine wachsende Ausdifferenzierung in der Welt erreicht. Ausdifferenzierung bezogen auf die Kommunikation heißt, was immer man an Meinungen und Ansichten sucht, man wird es finden. Alles wird bedient. Jeder platte Mist, aber auch sehr differenzierte Gedanken, man weiß, was Quote bringt oder die Wahrscheinlichkeit erhöht, in Form von Klicks und Likes, Anhängern und Followern wahrgenommen zu werden, aber auch in Form von Kommentaren in Netzwerken, die man füttern und bedienen will.

Ausdifferenzierung ist eigentlich etwas Schönes, sie schafft neue Räume, aber auch neue Wechselwirkungen und Zerbrechlichkeiten. Wechselwirkungen mit anderen Systemen, die, je nach unterlegtem Modell interagieren oder sich wechselseitig irritieren. Was kompliziert klingt, bedeutet, derzeit live und in Farbe zu besichtigen, unter anderem das: Eine moderate Infektionserkrankung schafft binnen weniger Tagen das, was sämtliche pessimistische Prognosen über die Entwicklung der Weltwirtschaft nicht vermochten. Es gibt wirtschaftlich gesehen schon seit längerem keinen Grund mehr für Optimismus. Handelskriege, unsichere politische Lage auf der Welt, gespannte Stimmungen zwischen Arm und Reich, eine aggressive Politisierung, das alles konnten Dax, Dow Jones, Nikkei und die anderen, eng verflochtenen Indizes einer globalisierten Welt nicht groß jucken, aber wenn die Welt hustet, sind ins kurzer Zeit die Gewinne eines Jahres pulverisiert. Wie es weiter geht, ist derzeit noch nicht abzusehen, vielleicht erholen sich die Börsen schnell wieder, aber wir sehen ja noch weitere Phänomene.

Messen, Sportveranstaltungen und andere Großereignisse könnten abgesagt werden, das öffentliche Leben wird zurück gefahren. Auch das kann sich sehr schnell wieder erholen oder auch noch Wochen oder Monate andauern, was zeigt, dass unsere hypermobile Kommunikationsgesellschaft, die auf Handel, Reisen, Austausch und Effizienz beruht, empfindlich geworden ist. Das ist durchaus neu, denn bisher galt, dass kommen kann, was will, man schüttelt sich kurz und macht weiter. Hier nun sind wir auf etwas – medizinstatistisch denkbar harmloses – getroffen, was die Welt erschüttert.

Die eigentlich nicht unerwartete, dann aber doch plötzliche sichtbar gewordene Verletzlichkeit der hyperaktiven ‚just in time‘ Gesellschaft ist die neue Qualität. Wir können uns das eigentlich nicht erklären, haben keine Narrative um dies einzufangen und aufzuarbeiten, außer der faden Geschichte, dass die Welt eben ganz schön kompliziert geworden ist. Man weiß auch nicht, was bei der nächste Epidemie anders und besser laufen könnte und hat obendrein den Eindruck, dass es nicht nur diese Stelle ist, an der unsere Systeme schwächeln und die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben könnten, auch auf anderen Gebieten läuft er derzeit alles andere als geschmiert.

Es ist nicht so, dass es keine Erklärungen gäbe, nicht so, dass da nicht genügend bereitstehen, um zu verkünden, dass sie das doch immer schon gesagt haben, mal mehr oder weniger rechthaberisch, hämisch oder apokalyptisch. Was uns im übertragenen Sinne den Atem stocken lässt, ist, dass es keine Erklärung gibt, die verbindend gilt. Es ist die übliche Mixtur aus Information, Halbwissen, Desinformation und den diversen Versuchen alles für seine Lesart auszuschlachten, nur erreicht man damit immer weniger Menschen, das heißt, jeder glaubt was anderes. Immer mehr Menschen sitzen in ihren immer kleineren Echokammern oder treiben auf ihren Kommunikationsschollen dahin und diese driften langsam aber sicher auseinander, man versteht die Sprache des anderen auch dann nicht mehr, wenn man seine Worte hört und begreift. Aber die ganze Erzählung des anderen macht oft keinen Sinn mehr, passt nicht zur favorisierten eigenen. Man kann nicht fassen, dass der andere die Welt wirklich so sieht und das nicht einfach ein übler Scherz vom ihm ist.
Die alles überragenden Erklärungen, denen man traut, die großen Stimmen, die man als Autoritäten akzeptiert hat, die Institutionen, die über jeden Zweifel erhaben sind, sie alle gibt es in der Form kaum noch.