Junge vor Mauer

Gute Laune sieht anders aus. © greg westfall under cc

Als ich vor etwa zwei Jahren Weltuntergang oder alles in bester Ordnung? schrieb oder auch schon vor dreieinhalb Jahren Verunsicherung, hatte es zwar einen Grund, warum ich dies als Thema wählte, aber ich dachte, der könne bald überwunden werden, doch noch immer sind viele Menschen schlecht gelaunt und aggressiv und mindestens in meinen Beobachtungsfenster nimmt diese schlechte Laune eher noch zu.

Paradoxerweise in einer Zeit, in der sich andererseits die Erfolgsmeldungen überschlagen, wie selten zuvor. Um nur zwei Beispiel anzuführen: Christian Stöcker im Spiegel und Watson aus der Schweiz.

Oder ist die Laune gar nicht schlecht? Ist auch das nur eine Verzerrung? Laut aktuellem Glücksatlas ist der Wert von 2017 annähernd wie 2016 und beide etwas höher als in den letzten Jahren. Gleichzeitig sagen die Deutschen aber, dass es ihnen zwar gut geht, sie Deutschland aber für eine ungerechtes Land halten. Wie passt das alles zusammen und wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen dem Lebensgefühl und den Fakten?

Ich denke, man kann das nicht auf den einen Punkt reduzieren, wenn man nicht gerade zu einer Gruppe gehört, die es gewohnt ist, alles auf genau einen Faktor zu reduzieren. Heute kommt das gerne mal politisch daher und die Rechte gibt den Flüchtlingen die Schuld, oder eben einer Clique die das politisch gewollt hat, die Linke gibt dem Neoliberalismus die Schuld, oder der Clique, die vermeintlich dahinter steckt. Ich vermute, es gibt ein ganzes Bündel an Ursachen, die sich gegenseitig verstärken. Doch viele Bälle im Spiel zu halten, ist für viele offenbar schon eine zu anspruchsvolle Übung, was insgesamt kein gutes Zeichen ist.

Soziale Medien

Das Internet und die sozialen Medien haben unsere Welt verändert, das kann man schwer leugnen. Hier sind vor allem zwei Effekte führend:

Zum einen vermittelt uns das Internet einen Zugang zu Wissen und Informationen, wie man ihn schöner kaum finden kann. Selbst wenn man bestimme Hatespeech Gruppen sicher kritisch sehen muss und das Internet auch ein grausamer und verschrobener Ort ist und auch Wikipedia immer wieder ins Gerede kommt, hat doch der, der damit umzugehen weiß, einen Zugang zu Wissen, wie selten zuvor. Theoretisch.

Praktisch dient das was man im Internet tut, nicht rund um die Uhr der Bildung und der Vergrößerung des eigenen Horizonts und Reflexionsvermögen, sondern zu einem hohen Anteil darin, die Lust nach Klatsch und Tratsch, Spielen, Kaufen, Pornos und Sonstigem, was eher der Ablenkung und Bewältigung der Langeweile, statt der Wissensvermehrung dient, zu befriedigen.

So, und auch weil wir in der ungefilterten Fülle eher untergehend und überfordert sind, schafft man sich seine eigenen Nischen, die auch Echokammern genannt werden. Dort konsumiert man was bekommt und gefällt, inklusive dem kurzen Gruselgefühl und dann zieht man sich wieder in seine gewohnte Welt zurück. Da soziale Medien und Internet einen weitaus höheren Stellenwert haben als vor Jahren, wird diese Nische immer mehr gekräftigt. Man konsumiert und bekommt, was man erwartet und aktuell fühlen sich einige erst richtig gut, wenn sie sich richtig schlecht fühlen können und das Blut in Wallung gerät. Wut und Hass sind keine Zustände, die man unbedingt meidet, sondern durchaus welche, die sich prickelnd anfühlen und die mindestens motivierend sind. Um seine Feinde und Gegner kümmert man sich oft länger und intensiver, als um seine Freunde.

Insofern kommt vom Weltganzen oft wenig in den eigenen vier Wänden an. Gleichzeitig kann man sich aber von jedem Ort der Welt, auch via Internet, Bestätigungen für das holen, was man denkt. Wir sind deutlich besser vernetzt und schneller, aber nicht unbedingt besser informiert.

Verzerrung der Daten

Die Hurrameldungen sind sicher zu einem hohen Maße echt und redlich. Dennoch kann ihre Zusammenstellung selektiv sein. Sehr oft kennt man private Gegenbeispiele oder ist selbst eines. Dass wir so wenig arbeiten, wie nie zuvor in der Geschichte, ist für den Langzeitarbeitslosen ein Hohn und für den flotten Start Up Unternehmer ein Witz. Und natürlich gibt es die Start Ups aus dem Bilderbuch, gerade die dicken Online oder IT-Riesen sind die letzten Oasen der Geschichte von Tellerwäscher zum Millionär, aber viele Start Ups, reißen ihre 70 bis 80 Wochenstune runter und verzichten auf Urlaub, nur die ersten Jahre, heißt es, bis man am Markt etabliert ist. Und wenn nicht und man sich nur so eben über Wasser hält oder pleite macht? Dann arbeitet man im Akkord weiter oder gründet das nächste Unternehmen, wieder nur ein paar Jahre mit erhöhtem Arbeitsaufkommen. Start Up Unternehmer zu sein ist längst keine Goldgrube mehr, ebenso wenig wie Arzt. Das mögen Einzel- und Sonderfälle sein, aber doch nicht so selten, dass man niemanden kennt, der davon betroffen ist. Oder fragen Sie mal Pflegekräfte, wie entspannt deren Arbeit ist.

Wichtiger erschient mir aber, dass man zum sicher erfreulichen Bild der Weltsituation zusätzlich noch auf den regionalen Bereich schaut. Es mag Jammern auf hohem Niveau sein, wenn man ein lahmes Internet beklagt und darauf hingewiesen wird, dass anderswo in der Welt gerade Menschen verhungern. Vielleicht ist dieser Vergleich aber auch in eine andere Richtung unpassend, denn wir definieren uns nicht als Land, in dem man täglich ums Überleben kämpfen muss und da muss man die Standards eben mit denen ähnlicher Länder vergleichen. Dass woanders Krieg ist oder Menschen verhungern, kann kein Dauerargument für alles sein. Aus dieser Sicht sieht es dann mit dem Internet nicht mehr so toll aus und mit anderen Aspekten der Infrastruktur auch nicht. Einen signifikanten Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland sah man vor allem an den Straßen. Im Westen waren sie gut befahrbar, im Osten merkten man einen deutlichen Unterschied. Fast 30 Jahre nach der Wende gibt es dieser Unterschied noch immer, nur dieses Mal gibt es die schlechten Straßen und Schlaglöcher im Westen. Ist halt ärgerlich, weil teuer, wenn das eigene Auto davon kaputt geht und gefährlich, wenn man mit dem Fahrrad nicht mehr gefahrlos fahren kann.

Die Verkehrspolitik der Innenstädte ist ohnehin oft ein konzeptloses Fiasko. Selbst in Ballungsräumen sind gute Verkehrsanbindungen eher selten, der schlanke Umstieg klappt kaum, von ländlichen Regionen ganz zu schweigen, wo ein Einkauf mit öffentlichen Verkehrsmitteln schon mal zur Tagesreise wird. Und das ist noch längst nicht alles, wenn man sich die Wartezeiten anschaut, die man als Kassenpatient hat, um einen Facharzttermin zu bekommen, wenn man darauf schaut, wie das Thema Integration klappt, wenn man darauf schaut, dass Depressionen und Ängste deutlich zunehmen und wenn wir uns den Zustand der Weltpolitik anschauen, in der Autokraten und nationalistische Tendenzen mehr Gewicht bekommen, was nicht wenige Menschen mit Sorge sehen, eine Sorge, die man nicht als gänzlich irrational abtun kann.

Es wäre angemessen und fair, zu den erfreulichen Meldungen auch die andere Seite zu präsentieren, denn so stehen sich ziemlich unversöhnlich zwei Lager gegenüber, deren Interpretationen der Welt kaum gegensätzlicher sein kann.

Vertrauensverlust

Stinkefinger

Diese Geste fasst das Lebensgefühl einiger Menschen treffend zusammen. © viZZZual.com under cc

Gewöhnlich hatte man aber jemanden, der einem die Welt erklärte. In Streitfällen wurde ein Wissenschaftler oder Experte gerufen, der uns sagte, wie es wirklich ist oder man schaute sich die Nachrichten aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen an, die als seriöse Quelle galten. Wenn das alles nichts half, kam Peter Scholl-Latour. Aber Wissenschaftler und Journalisten haben an Ansehen verloren, vielleicht nicht so dramatisch, wie man es manchmal hört, aber doch breit genug, um diesen Trend nicht nur als Randphänomen zu betrachten.

Es sind so viele Menschen schlecht gelaunt und aggressiv, weil sie enttäuscht sind. Was früher als sichere Bank galt, ist heute längst nicht mehr so. Qualität aus deutschen Landen, das war gesetzt. Technisch ganz weit vorne, gebildet, die Wissenschaftler spitze, die Prüfstellen seriös, das alles ist weggebrochen oder doch zumindest schwer angeschlagen. Früher brachte man sein Geld zur Bank, wo es sich durch Zins vermehrte, dass man Rente bekam, die auch reichte, war fast wie ein Naturgesetz. Zur Identität gehört auch die kulturelle Identität und um diese zu wissen und sie als etwas zu sehen, mit dem man sich sehe lassen kann ist stabilisierend. Heute muss man sich in nahezu alles selbst einarbeiten, Finanzberater sind fast geächtet und überhaupt lebt man in einer derzeit ungesunden Mischung aus Wissen und Nichtwissen, die unsere Laune nicht verbessert und einige Aspekte unserer kulturellen Identität schwächt.

Das goldene Zeitalter hat es nie gegeben. Dagegen stehen die oben verlinkten Statistiken und wenn man die nicht zu Rate zieht, bleibt die Tatsache, dass die gnädige Psyche unsere Vergangenheit in den meisten Fällen verklärt. Man erinnert sich daran, wie unbeschwert und schön das damals alles war und blendet dabei die Unsicherheiten, Zweifel und Ängste aus. Die vielen Momente der Trauer und des Frustes, wenn man nicht bekam, was man genau jetzt wollte, die Ängste, wenn man Mama im Getümmel verloren hat, die Ohnmachtsgefühle, die Schulzeit, die sicher auch nicht allen als unausgesetzter Traum in Erinnerung ist, die Stunden der Langeweile, die wir heute alle nicht mehr so bewerten wenn, wir uns als fit, gesund und neugierig erleben, losgelöst von allen Pflichten, die uns heute das Leben erschweren.

Es wird aber dran geglaubt, dass es eine bessere Zeit gab – ich glaube auch, dass es eine bessere Zeit gab, vielleicht nicht zufällig fällt auch diese mit meiner Kindheit und Jugend zusammen – glaube darüber hinaus aber auch, dass es tatsächliche Unterschiede manches besser war. Dies liegt vielleicht nicht in Lebensalter, Kindersterblichkeit und Arbeitszeit, aber in der Tatsache, dass man in vielem was man machte, einen direkten Sinn sah, man wusste, wofür man morgens aufsteht und lebt. Scheidungskinder waren eine Rarität, heute vielleicht nicht der Normalfall, aber doch eine fester Teil der Normalität und man unterschätzt, wie traumatisch dies für Kinder ist.

Wir sind heute kritischer gegenüber den vermeintlichen Autoritäten eingestellt und das nicht ohne Grund. Recherchen bringen immer wieder ans Licht, dass nicht alles Gold ist was glänzt, dass so mancher schöne Schein bei Licht betrachtet keine praktischen Konsequenzen hat, dass Doppelmoral auch bei uns an der Tagesordnung ist und alle das vertieft das Misstrauen und macht viele Menschen schlecht gelaunt und aggressiv.

Es ist verlockend, aber vermutlich dennoch falsch, zu glauben, früher sei deshalb die Welt grundlegend besser gewesen. Vieles lief unterhalb unseres Radars ab, der Einfluss, den wir heute haben, ist ungleich größer. Wer will kann einen privaten Blog schreiben und ins Netz stellen, in dem er erklärt, wie die Welt seiner Meinung nach funktioniert, selbst Bücher kann man ohne größere Probleme selbst verlegen. Wir wissen eigentlich mehr als früher, aber was wir sehen, gefällt uns nicht. Korruption, Vetternwirtschaft, A sagen und B machen. Früher lief Politik geräuschloser ab, von der Arbeit der Geheimdienste bekam man nichts mit, sie wurde auch nicht öffentlich diskutiert. Aber viele Politker, die noch echte Typen waren und die wir uns heute zurückwünschten, machten auch nichts anders. Das nennen wir dann augenzwinkernd Schlitzohrigkeit oder politischen Instinkt, aber ohnehin war das alles viel schicksalhafter. Politik war etwas, was im Hintergrund ablief und auf das der Normalbürger keinen Einfluss hatte. Heute wissen wir hier mehr und haben auch mehr Einfluss, müssen uns aber auch um mehr kümmern. Politik, Rentenvorsorge, Gesundheitsvorsorge, Klimawandel, Work-Life-Balance, Fitness, Medienauswahl und Glück, für all das und viel mehr sind wir selbst verantwortlich, mindestens zum Teil.

Die Spreizung der Gesellschaft wird breiter, zwischen denen, die irgendwo auf dem Weg aussteigen und denen, die ihn bis zum Ende durchziehen und ironischerweise ist nicht einmal klar, ob die, die durchhalten und vorne mit dabei sind, wirklich jene sind, denen es besser geht.

Es macht aggressiv für blöd gehalten zu werden

Es sind sind so viele Menschen schlecht gelaunt und aggressiv, weil die nun seit etlichen Jahren aufkommenden und immer lauteren Botschaften, wie gut es uns allen geht und dass, wer das Gegenteil annimmt, unter einer Fehlwahrnehmung leidet oder auch, wenn er das nicht einsehen möchte, ein bisschen dämlich ist, einfach herablassend und beleidigend sind. So einfach ist das Thema nicht abzuhandeln, dass man vorgeschrieben bekommt, was im Leben wichtig und was weniger relevant ist, denn wenn man zufällig nicht zu den Gewinnern zählt, ist man ein zusätzlich nun auch noch selbst Schuld, hat Verständnisschwierigkeiten oder ist missgünstig.

Die Reaktion darauf ist sicher nicht Begeisterung. Abgehängt zu sein, sich so zu fühlen oder dazu erklärt zu werden, ist aber wiederum Ursache einer regressiven Bewegung, die wir ohnehin schon seit längerer Zeit erleben und deren Ursachen zumeist sehr einpolig zugeordnet werden, was wiederum selbst Ausdruck der Regression ist. Wir bräuchten Orientierung, aber die Welterklärung fehlt, die Visionen oder weniger blumig ausgedrückt, die Strategie für die nächsten Jahrzehnte fehlt und das Thema vieler Menschen ist gar nicht der Standard heute, sondern die Sorge um das Morgen. Was wird aus den Kindern, Enkeln, der Welt? Klimawandel, Artensterben, Überbevölkerung, soziale Kälte, Müllberge, Phosphatmangel, die Liste ist lang und die Probleme weitgehend ungelöst.

Ich erlebe es immer als merkwürdig, wenn in einer Bevölkerung, die aufgrund ihrer Überalterung immer mehr offene Stellen nicht besetzen kann und händeringend nach Fachkräften sucht, es als Erfolgsmeldung verkauft wird, dass die Arbeitslosenquote sinkt. Das ist nicht unser Problem und wird es die nächsten Jahrzehnte auch nicht werden. Dass wir aktuell nicht genügend Lehrer, Schulrektoren, Soldaten, Pflegekräfte, Polizisten und stellenweise sogar Ärzte und Bürgermeister haben, neben etlichen Handwerksbetrieben, die keine Nachfolger mehr finden ist allerdings etwas, was uns noch um die Ohren fliegen könnte, auch weil das dazu führt, dass die Renten demnächst knapp werden könnten, was dann gleich die nächste Zukunftssorge ist, die weder gelöst noch irrational ist.

Wer sich in etlichen Lebensbereichen an der Nase herum geführt fühlt, ist irgendwann nicht mehr bereit, sich mit seinem Land zu identifizieren. Wir haben was zu verlieren und wir sind gerade dabei uns in einem recht umfassenden Sinne dessen bewusst zu werden. Die passende Antwort wäre, dass man überhaupt eine hat und das ist derzeit noch immer nicht in Sicht. Schlimmer aber: Wer etwas zu verlieren hat, verliert Offenheit, Risikobereitschaft und Neugier, zugunsten einer Art von Konservativismus, die ängstlich und/oder aggressiv versucht zu sichern, was sie noch hat. Psychologisch relevant ist, dass die zweite Variante sich obendrein mies anfühlt. Hier spielen objektive Größen keine Rolle. Wer gerade 500.000 Euro im Lotto gewonnen hat, macht vermutlich einen Freudensprung, wer hingegen die Hälfte seines Aktienguthabens von einer Million in den Sand gesetzt hat, verfügt über die gleiche Summe, wie der Lottogewinner, die Stimmung dürfte deutlich unterschiedlich sein. Der Mangel an Antworten, Strategien und Visionen macht uns Glauben, das wir festhalten müssen, was wir noch haben, wenigstens ein Stück davon.

Durchatmen und das Ganze betrachten

Daumen runter

Das kann und muss besser werrden. © Paul Downey under cc

Wir leben in regressiven Zeiten. Nicht erst seit ein paar Jahren, vermutlich seit ein paar Jahrzehnten. Sie sitzen, dass macht die Vermittlung dessen, worum es geht, so schwer, an anderen Stellen, als man denkt. Regressiv das sind immer die anderen. Über die Moral der Latenzphase, die für etwa 10-Jährige Kinder typisch ist, schreibt Kernberg, dort und im Kitsch „übt das Einfache und Triviale eine größere Anziehungskraft aus als das Tiefgründige. Die für die Moral der Latenz typische Unfähigkeit, Ambivalenz zu ertragen, kommt vielleicht am eindrucksvollsten darin zum Ausdruck, dass Konfliktlösungen oft darin bestehen, „böse Feinde“ von „guten Freunden“ zu scheiden. Die Moral der Latenz weist starke Parallelen zum Kitsch auf, also zu Kunstformen ohne künstlerischen Wert, die aber sehr beliebt sind. Die üblichen Merkmale von Kitsch sind Sentimentalität, Eindeutigkeit, Bombast; Grandiosität, unbekümmerte Vereinfachung von traditionell herrschenden Ausdrucksstilen, geistige Oberflächlichkeit und das Trachten nach kindlichen Idealen: die Idealisierung des Kleinen, Behaglichen, Amüsanten; Bilder von Clowns, ein Kaminfeuer vor einer Winterlandschaft, die warme, geschützte, sichere, einfache und glückliche Welt der (Phantasie-)Kindheit.“[1]

Viele Elemente dieser moralisch regredierten Versionen kennen wir, aber leitend ist die Trennung in böse Feinde und gute Freunde, ist der vermeintliche Zwang sich entscheiden zu müssen. Da gibt es nur grobe Kategorien zu verteilen. Wir kennen die unterschiedlichen Versionen, aber sind wir in der Lage dem anderen zuzuhören, uns nicht gleich auf eine Seite zu schlagen? Finden wir es plausibel, dass man sich eben entscheiden muss, jetzt, da wieder mal Endzeit ist? Empfinden wir jede andere Haltung lauwarm und waschlappig oder als eine Taktik des Gegners? Dann sind wir schon ziemlich tief drin.

Wenn wir ein positives Ziel haben, wissen, wofür es sich lohnt morgens aufzustehen, wenn wir einen Feind als Schuldigen nicht mehr brauchen und dennoch nicht alles in rosarotem Wellnesscolor sehen, kommen wir da raus. Es sind immer nur wenige die dem regressiven Sog widerstehen können, aber immerhin ist das ein echter Qualitätsnachweis. Verstehen, ohne sich zu verwickeln. Liegt gerade nicht im Trend der allgemeinen Empörung, die viele Menschen schlecht gelaunt und aggressiv macht. Das ist zum Abreagieren gut, langfristig macht es nur noch schlechtere Laune.

Es kann verärgern, wenn man sich viele Bereiche ansieht, jeder hat da etwas andere Prioritäten. Doch manchmal hat man, liest man Kritiker, den Eindruck, als lebten wir im schlimmsten Land der Erde. Laut World Happiness Report 2018, ist Deutschland auf Platz 15 von 156 gemessenen Ländern. In über 90% der Länder lebt man schlechter. Das Empfinden einzelner Menschen kann natürlich bedeutend abweichen. Oft sagen und schreiben sie mehrmals täglich das, von dem sie meinen, dass sie es nicht sagen und schreiben dürfen. Die Meinung frei äußern zu dürfen, heißt ja nicht, dass sich sogleich jeder nach dieser Meinung richten muss. Andere könnten anderer Meinung sein, das muss man ertragen. Meine private Liste, auf der stehen würde, was mich derzeit, manchmal auch ganz grundsätzlich, nicht nur als kleines Symptom stört, wäre lang. Aber sehr vieles klappt bei uns sehr gut, gerade im Vergleich zu anderen Ländern. Tauschen würde man oft gerne einzelne Segmente. Die Sozialpolitik der Skandinavier, kombiniert mit der Sonne und Entspanntheit der Südseeinseln, der Solidität der Schweiz, dem US-amerikanischen Selbstbewusstsein und der kanadischen Einwanderungspolitik. Oder eben anders kombiniert. Nur das US-amerikanische Gesundheitssystem will dann kaum jemand haben, der nicht äußerst wohlhabend ist.

Wer schafft den Sprung über den eignen Schatten?

Dennoch, die Stimmung bleibt angespannt, vielleicht bei einer Minderheit, aber doch bei einer, die groß ist. Eine soziale Spaltung gilt es zu verhindern, die liegt nicht nur im monetären Bereich, sondern gerade auch in der Spaltung des Empfindens: Wut hier, Gelassenheit dort. Den einen ist das Land viel zu links, den anderen viel zu rechts. Prima, könnte man sagen, wenn die einen das Gegenteil der anderen meinen, macht man öfter mal alles richtig, einfach weil irgendwer immer was zu meckern hat, aber so einfach liegen die Dinge nicht. Wenn die Eckdaten stimmen, ist das nicht schlecht, doch die Zukunftsfragen müssen ebenfalls gelöst sein.

Es ist vergleichsweise unsinnig das eine oder andere Thema weil es gerade nicht auf der eigenen Agenda stehen darf komplett zu ignorieren. Das gilt für Migration, Arbeit und Wohnen, Terrorangst, Kriminalität, soziale Spaltung, Rente, Versorgung im Alter ebenso wie für Klimawandel, Ressourcenknappheit, Plastikmüll, Insektensterben und Energiepolitik. Das Fahren auf Sicht ist keine adäquate Antwort mehr. Die Diskussion über die Ursachen der Regression ist vielleicht nicht einfach, weil sie beiden Lagern etwas abverlangt, nämlich wenigstens ein Stück weit über den eigenen Schatten zu springen. Man will sein geliebtes Feinbild ungern hergeben: Die Einwanderer oder den Neoliberalismus. Wenn an anerkennt, dass an beidem etwas dran sein könnte, bleibt mindestens im Falle des Neoliberalismus die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass so viele mitmachen. Eine wichtige und nachvollziehbare Antwort gibt Diana Diamond und es ist eine psychologische Antwort. Von linken Theoretikern formuliert, bohren sie doch am Nerv der Linken, wenn es um Wert und Bedeutung der Familie geht, ein eher konservatives Thema:

„Horkheimer, Adorno und Lasch führen das Auftauchen des Narzissmus als dominanten Charakterzug und die Ausweitung Narzisstischer Persönlichkeitsstörungen als vorherrschende Psychopathologie auf den Zusammenbruch väterlicher Autorität und die Verwässerung mütterlicher Fürsorge im Zuge veränderter familiärer Strukturen und ökonomischer Produktionsprozesse zurück. Die Übernahme elterlicher Funktionen durch Medien, Schule und Sozialeinrichtungen haben zu einer Verwässerung elterlicher Autorität und zur Beeinträchtigung der Fähigkeit von Kindern geführt, starke psychische Identifizierungen mit ihren Eltern auszubilden. Autorität und Autonomie des Vaters werden mehr und mehr durch die Trivialisierung seiner Rolle im Produktionsprozess unterminiert, während Effektivität und Fürsorge der Mutter durch die zunehmende Professionalisierung von Kindererziehung und den Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung ihrer Rolle als Trägerin dieser Qualitäten (d.h. Liebe, Zärtlichkeit, Gegenseitigkeit) infrage gestellt werden – Qualitäten, die einer Reduzierung des Menschen auf ein bloßes Anhängsel von Produktionsprozessen entgegenstehen.

Nach Auffassung von Horkheimer, Adorno und Lasch interferiert dieser Schwund elterlicher (insbesondere väterlicher) mit ödipalen und präödipalen Internalisierungsprozessen. Der Ödipuskomplex dient in den Augen dieser Theoretiker nicht nur als Medium zur Internalisierung, sondern auch als Fundament moralischer Autonomie, die ihrerseits zum Hort gesellschaftlichen Widerstands werden kann. Viele Mitglieder unserer Gesellschaft, so die These, entbehrten aufgrund der Abwesenheit des Vaters von zu Hause sowie seiner Machtlosigkeit innerhalb der sozialen Welt einer starker Identifikationsfigur, was den Verlust eines starken Ichs zur Folge habe, das normalerweise den langwierigen Auseinandersetzungen mit einem geliebten und verehrten, wenngleich gefürchteten Vater entspringt. Vielmehr sei der Einzelne, so Lasch (1982), seinen primitiven Phantasien über einen unnötig strengen und strafenden Vater ausgeliefert, mit dem Ergebnis, dass auch das Über-Ich seine primitiven personifizierten Qualitäten behalte und auf die soziale Welt projiziere, die dann als gefährlich und irrational erscheine. Der Zusammenbruch väterlicher Autorität als zentrales Sozialisationsmoment machen so den Weg frei für die direkte Manipulation des Ich durch Massenmedien, Schule, Peergroups und politische Führer. Das Ich-Ideal entspringe nicht der Auseinandersetzung mit dem Vater, sondern einem unterentwickelten Ich bzw. dem direkten Einwirken von Kräften außerhalb der Familie. Eine derartige Aufpfropfung des Ich-Ideals auf das entstehende Ich prädisponiere zu dessen rascher Reprojektion auf äußere Figuren, sowie zu Regressionen, die mit einer Verdichtung von Ich und Ich-Ideal in Richtung narzisstischer Pathologie einhergehen.“[2]

Die Linke verkennt die Bedeutung der inneren Struktur mit souveräner Zuverlässigkeit, wer schafft den Sprung über den eigenen Schatten ohne dabei in gute alte Zeit Romantik und Eindeutigkeit zu versinken?

Quellen