Schatten über der Wikipedia ist ein weiteres Mal eine Reaktion auf tagesaktuelle Ereignisse, die wir normalerweise eher nicht betrachten. Zwar versuchen wir Strömungen und Trends aufzugreifen, aber wir analysieren eher, was psychologisch dahinter steht, soweit uns das möglich ist. Wenn wir nach dem Thema Flüchtlinge erneut ein aktuelles aufgreifen, dann aus der Überzeugung, dass es sich um ein Thema von einiger bis erheblicher Brisanz handelt.
Was ist passiert?
Wir alle tun es. Wenn wir etwas genauer wissen wollen, schauen wir in Suchmaschinen nach und oft kommt ein Verweis auf einen Artikel in der Wikipedia. Das ist auch gut so, denn in einer Vielzahl von Fällen werden wir ausführlich und sachlich informiert. Dieser Meinung ist auch der Diplombiologie, Musik- und Biologielehrer Markus Fiedler, der die Wikipedia zumeist für Artikel aus dem Bereich der Naturwissenschaften benutzt und in einem Interview erzählt, dass er die kritischen Stimmen einer Kollegin zunächst überhaupt nicht glauben konnte und sich fragte, ob hier über dieselbe Wikipedia geredet wird.[1] Es wurde. Nur, über verschiedene Sektionen der Wikipedia. Und diese müssen differenziert betrachtet werden.
Tut man das, ergibt sich ein in der Tat zwiegespaltenes Bild über die Wikipedia. Hervorragend recherchierte und schwarmintelligent überarbeitete Artikel einerseits, und andererseits sogenannte Edit-Wars: zermürbende Schlachten, in denen zwei feindliche Lager aufeinandertreffen und Beiträge wieder und wieder ändern, in die jeweils ideologisch bevorzugte Richtung. Damit das irgendwann einmal ein Ende hat oder ein fairer Kompromiss erreicht wird, ist Wikipedia hierarchisch organisiert und Administratoren sollten den Streit schlichten.
Nun sind aber genau einige dieser Administratoren ins Zwielicht geraten, deren Verhalten Markus Fiedler zufolge annähernd justiziabel ist und an „Demagogie“ oder Rufmord erinnern.[2] Das ist harter Tobak, aber Markus Fiedler und Frank-Michael Speer gehen in dem spannenden und aufrüttelnden Film „Die dunkle Seite der Wikipedia“ (der Film ist beim Anklicken des vorherigens Links zu sehen) diesem Vorwurf nach und belegen ihn akribisch und stellvertretend für weitere Fälle, an dem Beispiel der Diskussion um die Seite des Schweizer Historikers Daniele Ganser. Gegen Ganser wird ins Feld geführt, er sei ein Verschwörungstheoretiker, doch genau dieser Behauptung geht der Film nach und tut dies in überzeugender Weise.
Wikipedia hat ein Wissensmonopol
Wissen ist Macht, wir berichteten darüber. Wikipedia ist auf dem Weg zum Monopolisten, weil große Lexika nicht mehr existieren. An sich ist nichts dagegen zu sagen, wenn sich mit der Zeit und ihren Lebensformen auch die Formen der Wissensvermittlung und -archivierung verändern. Doch gerade in privilegierter Stellung hat man die Verpflichtung besonders sorgfältig und unparteiisch zu sein, ein Verhalten, gegen das einige Wikipedia Administratoren nachweislich verstoßen haben. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man den Film „Die dunkle Seite der Wikipedia“ gesehen hat.
Was muss ein Lexikon leisten?
Ein Lexikon sollte uns über Fakten informieren. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, geographischer und nicht interpretationsbedürftiger Ereignisse geht das vergleichsweise einfach, denn in vielen Fragen kann es keine zwei Meinungen geben und wenn sich ein Irrtum oder neue Fakten einschleichen, dann geht deren Veränderung meist schmerzfrei und unideologisch vor sich, wenn sich herausstellt, dass ein Berg doch ein paar Meter höher ist, als man dachte oder die Einwohnerzahl einer Stadt in Bolivien sich inzwischen verändert hat.
Doch längst nicht alle Gebiete der Wissenschaft sind unumstritten, unumkämpft oder beruhen auf reinen Fakten. Ideologie ist Teil der Wissenschaft und Betrug gibt es auch hier: aus Geldgier, Eitelkeit, ideologischer Verbohrtheit und all den menschlichen, allzumenschlichen Motiven, wie überall. Dort, wo die Faktoren Ideologie und wirtschaftliche Einflussnahme groß sind, wächst die Gefahr, dass es zu Verwerfungen und Verzerrungen kommen kann.
Hoch aufgeladen sind Themen wie der Klimawandel, die Evolutionsbiologie oder Genderwissenschaften. Mit wirtschaftlichen Interessen verflochten sind jene Bereiche, die der Rüstung dienen könnten, oder in denen Energietechnologie-, Pharmaunternehmen oder große Gentechnikkonzerne Einfluss nehmen. Einen weiteren Einflussbereich scheint die geopolitische Sphäre zu bilden, das ist der Verdacht, der beim Aufruhr um den Artikel um Daniele Ganser eine Rolle spielt.
Nichts davon gehört normalerweise in ein Lexikon, sondern es sollte uns über den aktuellen Stand der Forschung unterrichten und gegebenenfalls unterschiedliche Deutungen darstellen. Das ist eine große Herausforderung die der Biologie Markus Fiedler aber sportlich sieht: Notfalls müsse man es ertragen, dass es zwei Einträge über die Sicht auf die Evolutionsbiologie gibt, die in der Wikipedia dargestellt werden könnten. Interessanterweise spricht er von dem Glaubenssystem Wissenschaft.[3] Auch diese Diskussion bewegt sich auf einem ideologisch stark umstrittenen Terrain, ist aber ein Thema, dem man sich stellen muss. Ob es tatsächlich so geschehen sollte, dass Lexika alternative Versionen anbieten, muss Inhalt von Diskussionen bleiben, auf keinen Fall ist jedoch in Ordnung abweichende Meinungen zu unterdrücken, Inhalte bewusst zu entstellen oder gar Rufmord zu betreiben.