Privatisierungen haben sich selten bewährt
Das Pflegesystem eng mit dem Aspekt Wirtschaftlichkeit zu verknüpfen ist etwas, was sich so gut wie nie bewährt hat. Es kann nicht darum gehen, aus Patienten möglichst viel Geld herauszupressen, wie es derzeit durch überflüssige Operationen, nutzlose IGeL Produkte und Sparen am Personal geschieht. Alle Unternehmen, die mit der Pflege gut verdienen haben, sind oft wegen gravierender Mängel ins Gerede gekommen.
Geradezu grauenhaft ist die Situation zu nennen, dass sich amerikanische Hedgefonds deutsche Altenheime kaufen. Das Modell der Hedgefonds ist immer gleich, ein Unternehmen kaufen und durch das Verscherbeln des Tafelsilbers oder geschickte Umlaugen und Personalabbau in den Bilanzen das Unternehmen für kurze Zeit gut dastehen lassen und es dann wieder verkaufen. Für die ohnehin sehr angespannte Situation in Altenheimen ist das ein Desaster. Das sind jene Orte in denen unsere Großeltern und Eltern mitunter leben, die sündhaft teuer sind und in denen die Pflege wegen des Personalschlüssels vernachlässigt werden muss.
Und Probleme in der Pflege sind, wie eingangs erwähnt, kein Thema eines Berufsstandes, sondern ein gesellschaftliches Thema. Wir alle müssen uns klar machen, was wir gesellschaftlich in diesem Punkt wollen. Unser medizinisches, pflegerisches und soziales System ist im Vergleich mit anderen Ländern eines, was sich sehen lassen kann, ein Grund mehr, es nicht sehenden Auges vor die Hunde gehen zu lassen. Wer in Amerika krank ist und kein Geld hat, hat ganz andere Sorgen.
Es ist die Frage, ob wir wirklich eine Gesellschaft sein wollen, in der man sich demnächst immer offener utilitaristisch fragt, ob es sich noch lohnt, dies oder das für einen Menschen auszugeben. Gerade wenn man uns unablässig erzählt, wie viel Geld wir haben, sollte man es sich leisten, eine Gesellschaft zu sein, in der Gleichheit und Würde mehr als nur schöne Worte sind und vor allem bleiben. Geld und Ethos sollte man also nicht gegeneinander ausspielen, wenn man nicht eine Situation provozieren will, in der die Pflege mit immer mehr Billigkräften durchgeführt wird, die für Geld oder aus Not alles tun.
Häusliche Pflege
Wenn unsere Angehörigen nur notdürftig versorgt werden, weil gerade auch in der häuslichen Pflege Zeit- und Kostendruck enorm sind, ist es praktisch so, dass doch wieder viel an uns privat hängen bleibt. Das war die Situation, die eingangs beschrieben wurde und die oft mit einer Menge Leid und Entbehrungen verbunden ist. Entweder man muss sich selbst aufopfern oder die Angehörigen, oft mit schlechtem Gewissen in ein Heim ‚abschieben‘. Längst wird das durch einen grauen Markt an osteuropäischen Frauen kompensiert, die zwar keine Pflegekräfte sind, aber sich privat etwas dazu verdienen und in vielen Fällen unendlich wertvolle Hilfe leisten. Aber auch das ist nicht ohne Geld zu haben und mitunter können diese Menschen auch nicht die ganze Arbeit übernehmen.
Wohl dem, der 500 Kilometer weit von den Eltern weg wohnt und genügend Geld hat, könnte man sagen. Nur ist das für dessen Eltern eben nicht immer so gut, denn Kontrolle durch körperliche Präsenz ist noch immer der beste Garant, damit man im Altenheim nicht untergeht. Häusliche Pflege ist eine Alternative und im Allgemeinen eine der unbeliebtesten Arbeiten in der Pflege, weil die Situation oft so ist, dass die Pflegekräfte mit dem Auto und von vorn herein unrealistischen Fahrtzeiten, die viel zu knapp bemessen sind von Patient zu Patient fahren, dort häufig zu spät kommen, was die Laune der Patienten nicht unbedingt steigert und oft noch Anrufe von ihrem Büro bekommen, mit der Frage, wo sie denn bleiben und warum sie denn so lange brauchen. Dennoch, es gibt auch hier Pflegekräfte, die die Unabhängigkeit dieser Art zu arbeiten schätzen und die Chefs haben, die sie nicht drangsalieren. Hat man dann noch ’seine‘ Patienten stellt sich eine gewisse Routine ein, die für beide Seiten vorteilhaft sein kann, aber natürlich auch Gefahren mit sich bringt, kann das Spaß machen, wenn man gerne eigenverantwortlich arbeitet. Insgesamt ist die häusliche Pflege für Patienten oft der Einstieg in den dauerhaften Kontakt mit dem Pflegesystem.
Neu denken, anderes denken
Neben dem Punkt, dass wir klären müssen, ob wir wirklich wollen, dass wir unser medizinisches und pflegerisches System komplett den Spielregeln der Wirtschaft überlassen und ich würde dazu raten, da noch mal sehr genau hinzuschauen, ist es durchaus sinnvoll, in einem größeren Kontext anders zu denken. Es wäre nicht schlecht auch den ‚Wert‘ alter Menschen anders zu berechnen, als dadurch, was sie verdienen, noch an Guthaben besitzen oder kosten. In so einem Klima kann man nur depressiv werden, wenn das Höchste was man leisten kann, das ist, nur ja niemandem zur Last zu fallen. Ich sagen das ausdrücklich vor dem Hintergrund, dass ich ansonsten eine einpolige Kritik am Kapitalismus oder Neoliberalismus, der dann für alle Über dieser Welt geradezustehen hat, ablehne, wie in Narzissmus in der Gesellschaft ausgeführt.
Der Respekt vor dem Alter ist uns, wie überhaupt viele Formen des Respekts abhanden gekommen. Auch die Altenheime der Zukunft könnten und sollten anders aussehen. Tendenziell lieber mit Internetanschluss, Musikinstrumenten, Tieren, Rotwein und Yogakurs als mit einer Kasernierung mit Menschen, mit denen kaum mehr ein intellektueller Austausch möglich ist. Das wird auch durch Spieleabende und Volksmusik nicht kompensiert. Vielleicht sind Alt und Jung WGs oder Wohnzentren da eine bessere Option. Das ist nicht die Lösung für alles, soll es aber auch nicht sein, sondern ein Stein in einem neuen Gebäude.
Im Internetzeitalter bedeutet schlechter Service längerfristig ist ein Verlust Image und Geld, umso mehr, wenn es auch Unternehmen gibt, die sich bemühen und guten Service anbieten. Doch noch kommt man mit miserabler Qualität durch, weil die Angehörigen, die plötzlich mit der Situation konfrontiert sind, oft überfordert sind. Sie sind froh, irgendeinen Platz zu bekommen, haben oft ein schlechtes Gewissen und sich vorher nicht informiert, auch, weil das Thema keines ist, worüber man sich in der Familie gerne unterhält. Hier können gegenseitige Ängste und Befürchtungen jedoch oft und vergleichsweise leicht abgebaut werden, indem man drüber redet. Der Nachteil ist, dass man nicht weiß, was kommt und wie man alt wird. Die Onlinewelt bietet demnächst aber auch neue Möglichkeiten der Hilfe im eigenen Haus, die Zukunft wird zeigen, wohin die Entwicklung geht.
Wie kann man die Löcher stopfen?
Schnell wird sich das Kind nicht aus dem Brunnen ziehen lassen. Mit Prämien erreicht man einige wenige, das Berufsbild muss insgesamt attraktiver werden. Vielfältig und erfüllend ist der Beruf, wenn man eine Neigung dazu verspürt. Die motivierten jungen Menschen nicht systematisch zu demotivieren, wäre ein Anfang. Mehr Kollegen, mehr Geld, anders wird es nicht gehen. Da man sich Pflegerinnen nicht aus den Rippen schneiden kann, ist eine Überlegung, ob nicht ein Teil der Migranten Pflegekräfte werden können. Da die Migranten aber überwiegend Männer sind, Pflege aber noch immer in stärkerem Maße von Frauen durchgeführt wird, ist die Zahl hier eher begrenzt, weiter ist die Sprachbarriere zu beachten, in einem Bereich in dem Kommunikation wichtig ist. In der Not geht es das, wie manchmal bei den osteuropäischen Hilfskräften sichtbar wird, also wäre auch das eine ergänzende Möglichkeit.
Immer wieder hört man von Robotern der Pflege, aber auch das muss man wollen und was in Japan kulturell goutiert wird, muss hier nicht mit der selben Begeisterung aufgenommen werden. Roboter können manche Arbeiten übernehmen und gerade beim Tabletten stellen und ähnlichen Routinearbeiten wäre digitale oder robotoide Unterstützung denkbar und vielleicht sogar wünschenswert, aber insgesamt wird der Mensch in der Pflege noch sehr lange Zeit unersetzbar sein, weshalb die Branche krisensicher ist und Zukunft hat.
Die Probleme in der Pflege werden uns schon allein aufgrund der demographischen Entwicklung noch lange Zeit begleiten und genau diese Veränderung und ein schleichendes Wegbrechen der Familien, eine größere Zahl arbeitender Frauen, lässt die Probleme in diesem Bereich wachsen. Sie betreffen viele Familien, was durchaus eine Chance sein, aber auch schief gehen kann und oft vermutlich einfach eine hohe Belastung darstellt. Die Probleme in der Pflege gehören zu jenen, die man nicht ignorieren kann, weil sie in das Leben so gut wie jeder zukünftigen Familie direkt eingreifen werden.