Blick ins Tal

Eine Gipfelerfahrung der wörtlichen Art. © C. Börger

Gipfelerfahrungen treten in vielen Fällen unvermittelt auf. Man steht morgens auf und plötzlich ist irgendwie alles oder zumindest einiges anders. Man verrichtet eine Tätigkeit, die man schon unzählige Male verrichtet hat, doch heute in einer Stimmung, die unüblich ist.

Eine Gipfelerfahrung wird als positiv und beglückend empfunden und doch kommt noch ein begrifflich schwer zu fassendes Element hinzu. Gipfelerfahrungen sind nicht nur oder vornehmlich schön und erfüllend, sie sind immer auch so ganz anders. Ansonsten wären diese Begriffe ausreichend, das Phänomen zu beschreiben, aber offenbar empfinden einige, dass sie nicht das treffen, was erlebt wird.

Flow-Erfahrungen und Gipfelerfahrungen

Flow-Erfahrungen sind mit Gipfelerfahrungen eng verwandt und eine Abgrenzung ist vermutlich schwierig bis sinnlos, dennoch fehlt Flow-Erfahrungen ein wenig der Aspekt des Wunderbaren. Der Begriff Flow wird heute mit dem Psychologieprofessor mit dem unaussprechlichen Namen Mihály Csíkszentmihályi in Verbindung gebracht.

Flow-Erfahrungen zeichnet aus, dass man irgendwie selbstvergessen, zufrieden und völlig fokussiert bei einer Tätigkeit ist und auf einmal läuft alles wie geschmiert, wie von selbst. Wo ist man da? Irgendwie ganz bei sich oder ganz bei dem, was man da tut, oder ganz woanders? Schwer zu sagen, alles stimmt ein wenig. Man ist zugleich hochkonzentriert und entspannt. Etwas, was wir bereits von Heiligen und Psychopathen kennen.

Flow-Erfahrungen treten in einem Bereich auf, der zwischen Über- und Unterforderung liegt. Überforderung frustriert und auf Unterforderung kann man nicht stolz sein und das körpereigene Belohnungssystem springt nicht an. Aber ist das alles nur ein Hirnphänomen? Und was hieße „nur“? Die entscheidende Seite ist ja, wie man etwas erlebt.

Gipfelerfahrungen sind auch beglückend, man ist auch bei sich, aber oft ist noch eine Art Einheitserleben dabei. Das alles, von dem man weiß, dass es nicht zu einem gehört, empfindet man dennoch als zu sich gehörend, ganz nah, vertraut, manchmal als Teil vom Ich. Viele Gipfelerfahrungen sind Glückserfahrungen und Einheitserfahrungen, aber sie resultieren nicht unbedingt aus Tätigkeiten, die man konzentriert ausführt.

Wobei treten Flows und Gipfelerfahrungen auf?

Gipfelerfahrungen treten nicht selten spontan auf, ohne erkennbaren äußeren Grund. Man geht eine Straße entlang, auf einmal hat man ein sonderbares Gefühl, als wäre alles in diesem Moment perfekt. Man steht morgens auf und fühlt sich auf einmal so gesund, wie man sich nie gefühlt hat. Oft ein Gefühl, als wäre die Welt „meine Welt“, aber ohne Besitzansprüche daraus abzuleiten.

Wenn man im Museum Kunstwerken begegnet oder auch privat ein Musikstück hört, kann man spontan eine Gipfelerfahrung erleben. Manche Menschen sind dann gerührt bis erschüttert, dass sie ein Teil jener Menschheit sind, die so Wunderbares hervorgebracht hat, wie diese Dichtung, Musik oder jenes Gemälde. Auch die atemberaubende Schönheit bestimmter Naturphänomene ist oft eine Quelle spontaner Gipfelerfahrungen.

Ob Flow- oder Gipfelerfahrung, die Arbeit gilt als häufigste Quelle dieser Erfahrung, sei es, dass man durch die Routine einer Tätigkeit emotional aussteigt oder häufiger so gebannt und bei der Sache ist, dass alles um einen herum verschwindet, man weiß, was man tut und das Gelingen der Tätigkeit selbst ist die größte Belohnung. Man ist eins mit dem, was man tut. Das setzt natürlich voraus, dass man mit seiner Arbeit halbwegs ausgesöhnt ist und nicht im völligen Widerstand arbeitet. Exzentriker scheinen andauernd in einem zumindest ähnlichen Zustand zu sein und sind vielfach glücklich dabei.

Sport ist auch eine Quelle von Flows oder Gipfelerfahrungen. Sie treten nicht nur bei Ausdauersportarten auf, Sportler, die mit Schlägern oder anderen Sportgeräten agieren, kennen manchmal das Gefühl, als seien diese ein Körperteil. Doch nicht nur das, auch hier kann die Wahrnehmung manchmal verändert sein, alles läuft wie im Traum, auch wenn man ganz klar ist, bei Sportlern wird das oft „Tunnel“ genannt. Von Efren Reyes, der von einigen als der allzeit beste Poolbillard-Spieler betrachtet wird, ist überliefert, dass er bei einem 14 und 1 Spiel irgendwann sein Queue auseinanderschraubte, nach Hause ging und sagte, er würde heute sowieso keinen Ball mehr verschießen. Ob das nun Wahrheit oder Legende ist, ist weniger wichtig, denn es ist aus vielen Sportarten bekannt, dass es seltene Tage gibt, an denen einfach alles passt.