Ein Tag der den Fortschrittsmythos ins Trudeln brachte. © quapan under cc

Die Welt besser machen, das wollten schon viele. Dass sie vielen derzeit wieder als ein nicht besonders heimeliger Ort erscheint, spricht nicht unbedingt dafür, dass dies gelungen ist.

Doch diese Diagnose wäre verkürzt bis unfair. Tatsächlich ist die Geschichte der Menschheit eine der Ambivalenzen, der Fortschritte, Stagnationen und Rückschritte. Da diese Ambivalenzen sowohl individualpsychologisch als auch kollektiv schwer verarbeitet werden können, ergaben und ergeben sich immer wieder Behauptungen der Eindeutigkeit, die sagen, dass der Mensch eben genau so sei und die verwirrend komplexe Vielfalt auf einen oder zwei Aspekte reduzieren. Nur ist man auch bei der Einschätzung dessen, worum es im Leben wirklich geht wie der Mensch nun so ist, nicht einig. Mal sollen wir rein rational, oder nur von Emotionen gesteuert sein; entweder egoistisch oder vollkommen kooperativ. Die Geschichte der Menschheit selbst wird als Weg des Fortschritts interpretiert und von anderen als ein Weg der Zerstörung und Degeneration.

Die Fortschrittsoptimisten gelten ihren Kritikern als Naivlinge, die Pessimisten als Menschenfeinde. Dabei ist eine solide Mitte ein Weg, der privates Glück und kollektiven Nutzen verbinden kann und so ziemlich alles, was wir dafür wissen müssen ist heute bekannt.

Die Extreme und ihre Psychologie

Man kann die Bausteine der Psyche als eine Kombination aus narzisstischen und paranoiden Komponenten beschreiben. Wem das zu pathologisierend klingt, der kann dazu auch Wunsch nach Wohlgefühl und Vorsicht sagen. Diese Komponenten beginnen im Gesunden und sie begegnen uns wieder in allen Stufen der Pathologie, wie in Narzissmus und Paranoia knapp dargestellt. Ebenso treffen wir in kollektiven Bereich auf sie, in den Stufen der Massenregressionen und je mehr man die roten Linien und Zusammenhänge zwischen beiden sieht und versteht, umso besser kann man sie auf das eigene Leben anwenden und umsetzen.

Das eine Extrem ist vorschneller Aktionismus und Augenwischerei. Man tut irgendwas, einfach um was zu tun, feiert sich gerne dafür, ohne den Blick darauf zu wenden, ob die Aktion sinnvoll war oder erfolgreich, auch über den Tag hinaus. Aber man hat sich Luft gemacht und Druck abgelassen. Die ebenfalls aktionistische Augenwischerei besteht oft darin, dass man nur so tut, als wolle man etwas verändern, wortreich ankündigt, was man dann doch nicht umsetzt, was aber nicht auffällt und auffallen soll, weil man schon wieder anderes ankündigt. Viel Getöse, wenig Konstruktives, in beiden Fällen. Das Grundgefühl was diese Akteure und auch jene, die sie im Grund nicht kritisieren wollen, teilen, ist, dass doch im Grunde alles viel zu kompliziert und aussichtslos ist, um sich wirklich damit zu befassen. Also macht man einfach irgendwas, von dem man denkt, dass es gut ankommt oder bei dem man Spannungen abbauen kann. Vordergründig sind die Aktionisten anders, aber oft genug ebenso wenig gewillt darüber nachzudenken, was denn nach der Veränderung kommen soll. Sie denken, der Wandel selbst würde automatisch zu einer Verbesserung führen, je revolutionärer, desto besser.

Das andere Extrem ist Suche nach Gründen dafür, warum das alles sowieso nichts bringt. Allein anfangen möchte man nicht, es müssten sich schon alle ändern, das werden sie aber nicht tun und darum macht man selbst auch nichts. Etwas virtuoser ist die Aufzählung, dass die eine kleine Veränderung nichts bringen wird, zwei oder drei weitere im Grunde auch nichts ändern und wenn man dann bei 64 von 65 Punkten angekommen ist, wie Greenzero Gründer Dirk Gratzel, werden die meisten sagen, dass man solche Veränderungen nun wirklich nicht von ihnen verlangen könne. Kurz, Veränderungen werden verweigert, weil sie ohnehin nichts bringen, bis zu dem Punkt, an dem sie eine Zumutung sind, unterm Strich eine effektive und vor allem bequeme Selbstentmachtung, nicht selten getragen von einer Erzählung, in der man sich selbst als Opfer des Lebens sieht, von dem man sowieso nichts erwarten darf. Im Gegenteil, hier wäre erst mal eine Entschädigung fällig, dann wäre man gewillt die Welt besser zu machen, vielleicht.

Eine gesunde und pragmatische Mitte

Die Welt besser machen, kann man eher von einer flexiblen Mitte aus, einer Mitte in vielerlei Hinsicht. Man kann sich schon selbst befragen, wie ernst man seine eigenen Einwände eigentlich nimmt oder ob sie eventuell Ausdruck von Bequemlichkeit sind. Gegen Bequemlichkeit ist erst einmal nicht einzuwenden, warum soll das Leben immer nur Plackerei sein, das Leben darf auch Spaß machen. Der pragmatische Ansatz wäre, den Bereich zu finden, den man wirklich gerne lebt.

So ist unser Leben ja ohnehin. Selbst bei Menschen, die gerne leben ist nicht jeder Tag ein 6er im Lotto, sondern es gibt die üblichen Schwankungen. Zufriedene Menschen gehen vermutlich nur anders mit ihnen um. Aber man kann sich eben auch, ohne es zu wollen auf Misserfolge und Unwirksamkeit programmieren, das ist ein depressiver oder paranoider Blick. Auch der Optimismus kann zu leichtfertig sein, nicht selten ist auch hier der Hintergrund eine gewisse Bequemlichkeit. Ich muss nichts ändern, irgendwer wird schon was erfinden, damit die Welt besser wird. Doch wenn man immer nur wartet, was andere machen hat man irgendwann mit dem eigenen Leben nichts mehr zu tun und diese an sich doch seltsame Geschichte, wird heute viel zu oft erzählt: Man ist in alles irgendwie so rein gerutscht und weiß eigentlich auch nicht so genau, wie es dazu kommen konnte. Die Rede ist dabei die vom eigenen Leben.

Manchmal haben wir es mit der nachvollziehbaren Sorge zu tun, von irgendwelchen Ideologen zu einer radikalen Umstellung des Lebens gezwungen zu werden, die uns zu gravierendem Verzicht führen würde, ohne dass man weiß, ob dieser Verzicht die Welt tatsächlich verbessert. Ohnehin ist die reine Aussicht auf Verzicht für die meisten Menschen nicht so prickelnd. Doch es stellt sich noch eine andere, viel grundsätzlichere Frage:

Kann die Welt überhaupt ein guter Ort sein?

Wir leben im aufgeklärten Westen nicht frei von Ideologien, auch wenn wir das gerne glauben wollen. Die inzwischen etwas angestaubte Lesart lautet, dass vom europäischen Westen die Aufklärung ausging und die Welt zum Positiven veränderte. An die Stelle des alten, religiösen Weltbildes setzte sich ein humanes und aufgeklärtes Weltbild und für Fortschritte von denen alle profitierten, war kein Gebet mehr nötig, sondern eine durch Wissenschaft und Technik initiierte Industrialisierung.

Manche mischen noch den Humanismus in die Erzählung hinein und so entstand ein ziemlich verklärtes Bild, in dem Fortschritt und Humanität Hand in Hand gingen und sich die Vernunft langsam, aber stetig, gegen den alten Aberglauben durchsetzten und die Welt immer besser machen würde. In der westdeutschen Geschichte lag der Höhepunkt dieses Fortschrittsglaubens irgendwo vom Beginn der 1970er bis zum Anfang oder der Mitte der 1980er, als die nahezu selbstverständliche Verbindung von Fortschritt und Technik symbolträchtig und vor den medialen Augen der Welt mit dem Space Shuttle Challenger und dem Atomkraftwerk in Teschernobyl explodierten.

Interessant war, dass der Fortschrittsoptimismus sich davon nie wieder erholte. Es kam die deutsche Einheit, die kurz alles überdeckte, das Ende des Kommunismus, der für manche das Ende der Geschichte sein sollte, es kamen Euro und Internet, aber dass sich in den relevanten Bereichen Wohlstand, soziales Miteinander, Sicherheit alles bestens entwickelte, kann man nicht behaupten. Der langsame Fortschritt der Vernunft verschwand allmählich, eine neue Unsicherheit bezogen auf die Zukunft machte sich breit und gleich in welcher Reihenfolge und aus welcher Perspektive man die jüngste Geschichte betrachtet, das verbindende Grundgefühl, dass die nächste Generation es mal besser haben wird, war irgendwann dahin.

Die Büchse der Pandora scheint geöffnet, man braucht nur die Stichworte aufzuführen: Bei der Lesart vom Sieg der Vernunft über die Religionen, als letzter Bremse der Vernunft schien irgendwas nicht zu stimmen, denn selbst da wo die Religionen zurück gedrängt wurden, sprudelte kein fröhlicher Humanismus, sondern eher ein lebensferner Funktionalismus. Es ging durch Phasen der Arbeitslosigkeit, des Terrorismus, der sozialen Desorientierung, der Neoliberalismus machte nicht alle reich, sondern immer mehr Menschen arm, die Umweltzerstörung und ist ein Thema, das trotz angestrengter Ignoranz nicht von selbst verschwunden ist: Der Klimawandel kommt noch dazu, wir sind sehr viele Menschen geworden, die Migrationsströme nehmen zu und sind nicht reibungslos, die Renten sind nicht sicher, dafür stecken wir in einer Phase der neuen kalten Krieges, inmitten einer Pandemie, die bei uns gerade Pause macht, bei der man weltweit aber das Kapital Delta schreibt. Dazu werden Themen die Eurozentrismus und Kolonialismus aufgearbeitet und wie immer man das findet, mit „Weiter so“ gewinnt man inzwischen keine Wahlen mehr. Irgendwas muss sich ziemlich dringend ändern, nur was?