Hütte am Flussufer mit Palmen, schwarzweiß

Auch Wohnverhältnisse können bescheiden sein. © Quinn Mattingly under cc

Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr, lautet das Dichterwort. Aktuell fristet Bescheidenheit nämlich eher ein Schattendasein.

Je lauter und scheinbar selbstbewusster jemand seine Position vertritt, um so glaubwürdiger scheint er oder sie zu sein. Wir wissen heute, dass selbst bei offensichtlichen Lügen oder himmelschreiendem Unsinn immer etwas hängen bleibt. An oft wiederholten Unsinn glaubt man irgendwann, einfach dadurch, dass man ihn schon zig mal gehört hat.

Auch in die andere Richtung wirkt das, dann wird es Gaslighting genannt. Einem Menschen, der sich sicher ist, etwas erlebt zu haben, wird immer wieder suggeriert, er müsse sich getäuscht haben, es sei alles ganz anders gewesen. Irgendwann beginnt man an seinem eigenen Verstand zu zweifeln.

Doch es ist nicht so einfach, wie viele Faktenchecker uns glauben machen wollen, dass die Wahrheit am Ende doch immer gewinnt und sich durchsetzt, wenn man nur den Fakten folgt. Auch da könnte der Selbstgewissheit eine Prise Bescheidenheit nicht schaden.

Unbescheidene Diagnosen

Denn inzwischen ist sogar der Verweis auf den Dunning-Kruger-Effekt schon inflationär. Kurz besagt er, dass Menschen, die sich selbst überschätzen, das deshalb tun, weil das was sie bräuchten, um ihre eigene Position kritisch zu hinterfragen, nämlich die Fähigkeit oder Reflexion oder Metakognition, bei ihnen nicht ausgebildet ist.

Das kann allerdings als Diagnose selbst zum Totschlag-Argument werden. Ich behaupte einfach, dass jemand zu blöd ist, um zu erkennen, wie blöd er ist. Das kann dann zu einem Hauen und Stechen im Internet auf bestimmten Plattformen werden, aber klare Argumentationsfehler findet man auch in Bereichen, in denen man es nicht erwarten sollte.

Die politische Linke hat nicht nur nicht zu Ende gedachte Einwände gegen Alternativmedizin, einen biologisch-dynamischen Lebensansatz und das was dort unter Esoterik verstanden wird, auch der Psychotherapie wird unterstellt, die kuriere nur an der Oberfläche und repariert Menschen, damit sie in einem an sich falschen Lebensansatz weiter funktionieren. Das kann man machen, interessant ist, wie man dort mit Kritik umgeht.

Ist man nämlich anderer Meinung, wird behauptet, man sei bezüglich der Basis der eigenen Argumente, die alle aus dem kapitalistischen Denken gespeist werden, unbewusst. In diesem einen Fall lässt man das Unbewusste zu, in allen anderen Fällen wird aber behauptet, die Idee des Unbewussten sei selbst vom kapitalistischen Denken infiltriert. Ein klassischer Selbstwiderspruch: Mein Unbewusstes gilt, deines nicht, warum, wird nicht erklärt. Man gehört zu den Großdenkern, wenn man die kapitalistischen Zusammenhänge erkennt und ist unbewusst, wenn man sie nicht erkennt. Dass man aber ganz einfach anderer Meinung ist, wird nicht mehr verarbeitet, weil es im ideologischen Konstrukt nicht vorgesehen ist, dass es hinter der Kapitalismuskritik noch ein Zurück gibt.

Unbescheidene Wissenschaft

Neurowissenschaftler schafften es, einen Selbstwiderspruch an den anderen zu nageln. Einer der prächtigsten ist, dass die rationalen Erwägungen in uns eigentlich überhaupt keinen Effekt haben und letztlich alles von den Emotionen geleitet und bestimmt sei. Dumm ist nur, dass die Wissenschaft ein rationales Geschäft ist. Dort möchte man dann wissenschaftliche Erkenntnis als rational begründbar und nicht als Gefühlssturm verstanden wissen.

Eine Aussage, wie: „Ich bin ganz stark überzeugt davon“ oder „Ich fühle, dass es wahr ist“, würde in der Wissenschaft aus gutem Grund durchfallen, die Behauptung, dass die Rationalität also nichts entscheidet, entzieht also sowohl sich selbst – da sie rational gewonnen wurde – oder der Wissenschaft selbst – da ihre Geschäft die Rationalität ist – den Boden. Grober Unfug.

Dann gibt es Wissenschaftsfreunde, die es als prinzipiellen Fehler ansehen, wenn jemand den Regeln der Wissenschaft nicht absoluten Vorrang einräumt. Die Argumentation ist dann ungefähr so, dass man behauptet, die Wissenschaft folge den allerhöchsten Standards, wer die erkennt und anerkennt, liegt richtig, wer nicht, ist eben nicht in der Lage dazu. Das ist ein Zirkelschluss, der gegen Kritik immunisiert.

Man könnte etwa die Prämissen oder Methodik der Wissenschaft kritisieren, dann kann das Gegenargument nicht sein, dass man sie nicht verstanden habe oder den Methoden des Wissenschaft nicht genügt.

Wer legt eigentlich fest, was ein Fehlschluss ist?

Die interessante Antwort ist, dass das niemand festlegt, sondern es ergibt sich aus der Kommunikation selbst und fällt dann als Muster irgendwann auf. Man hat mit der Zeit festgestellt, dass es vielleicht naheliegend sein mag, dass eine Aussage oft richtig ist, weil ein Nobelpreisträger sie geäußert hat, aber auch die können sich irren, man ist also nicht prinzipiell auf der richtigen Seite.

Man hat festgestellt, dass, wenn etwas bislang immer so war, es zwar wahrscheinlich ist, dass es auch weiter so sein wird, aber auch das ist nicht sicher. So ergibt sich eine Reihe rein logischer Fehlschlüsse, von denen etliche hier aufgeführt sind.

Gewisse Unwuchten in unseren Anschauungen und Wertvorstellungen sind jedoch sehr normal, man erkennt sie nur bei sich selbst nicht. In Einstellungen und Handlungen haben wir das etwas ausgeführt, es geht um Fehler, die nahezu jeder von uns macht, egal wie intelligent und gebildet man ist. Alle heldenhaften Versuche, das perfekte Leben zu führen, sind eher zum Scheitern verurteilt. Was das angeht, sitzen wir also ohnehin im selben Boot, könnten uns entspannen und uns in Bescheidenheit üben, anderen, aber auch uns selbst gegenüber. Man könnte also schon mal in Eigenregie eines tun:

Privat abrüsten

Es ist schön, wenn man etwas weiß oder bestimmte Fähigkeiten besitzt. In der Kombination dessen, was man kann, ist jeder Mensch einzigartig, da die Talente und Fähigkeiten breit gestreut sind. Darauf kann man durchaus stolz sein, wenn man möchte. Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl an Dingen, die man nicht beherrscht und das gilt wiederum für jeden von uns.

Vielleicht ist das Klischee vom weltfremden Professor etwas überstrapaziert, auch wenn es Menschen gibt und wohl immer gab, die in geistigen Welten unterwegs und nicht unbedingt für den Alltag zu gebrauchen sind. Ähnliches sagt man einigen Künstlern nach. Natürlich kann man auch praktisch geschickt und sehr intelligent sein, aber Intelligenz ist nicht alles und zwar wirklich nicht.

Intelligent zu sein, heißt nicht erfolgreich zu sein und erfolgreich zu sein, heißt nicht unbedingt glücklich zu sein oder empathisch oder die Fähigkeit zu haben, dass Tiere Vertrauen zu einem haben. Kann ich ein Instrument spielen, kenne ich mich in der Social Media-Welt gut aus und kann mit dem Smartphone umgehen?

Oft braucht man nur den Kontext ein wenig zu ändern und der Überflieger von eben ist hilflos. Manager trauen sich oft nicht, die Schuhe auszuziehen, in der Öffentlichkeit. Kann ich mein eigenes Gemüse anbauen und schmackhaft zubereiten? Traue ich mich öffentlich zu reden oder zu singen? Manche Kinder können heute nicht mehr rückwärts laufen. Verlieren wir Fähigkeiten oder passen wir uns einfach erfolgreich an eine Zeit an, in der man eben nicht mehr zur Jagd oder aufs Feld geht, sondern beim Lieferdienst bestellt?

Manchmal weiß man, dass man nicht alles beherrscht, aber ist der Meinung: Das, was ich kann, ist das, was im Leben wirklich zählt. Vielleicht für das eigene Leben, wenn es einem gut darin geht, aber schon für Partnerin und Nachbarn muss das nicht mehr gelten. Die brauchen ihre eigene Mischung. Man muss andere aber gar nicht abwerten, sondern kann auch deren Eigenschaften schätzen. Sich mit anderen freuen zu können, nimmt dem eigenen Glück nichts, im Gegenteil. Neid und Missgunst tun einem jedoch auch selbst weh.

Wir alle haben es mal erlebt, überlegen gewesen und auf anderem Gebiet völliger Loser zu sein. Mit diesen Erfahrungen im Hinterkopf, muss man nicht dunkelhäutig sein, um Diskriminierung zu kennen, jeder hat solche beschämenden Erfahrungen in Ansätzen erlebt und kann theoretisch nachvollziehen, wie sich das anfühlt. Und seine Schlüsse daraus ziehen, jedes nächste mal ist wieder eine neue Chance für Freundlichkeit und Bescheidenheit.

Kritik an der Boomer-Generation

Es ist ein Running Gag, dass sich schon die Sumerer über die Verdorbenheit der Jugend äußerten und der Meinung waren, die Welt müsse zugrunde gehen, tausende Jahre später ist das noch immer nicht geschehen. Heute sind wird in der ungewöhnlichen Situation, dass Teile der jungen Generation die der Boomer als generell übergriffig, unfreundlich und respektlos erachtet.

Man muss der Generation der Boomer zugute halten, dass sie anders sozialisiert worden sind und eingestehen, dass viele auch bereit sind, sich der neuen Zeit anzupassen, auch wenn sie sie nicht mehr richtig verstehen. Aber mit dem mahnenden Hinweis auf mehr Respekt ist man gut bedient, das Abgleiten in eine Weltsicht, in der alle Gruppen der Gesellschaft unkooperativ werden, ist kein Spaß.

Schon spieltheoretisch sind Raubtiere unter Raubtieren die allerschlechteste Variante, eine, bei der es keine Gewinner gibt. Raubtiere sind unter vielen Beutetieren erfolgreich, wenn es immer mehr Raubtiere gibt, wächst der Druck und irgendwann zerfleischen sich alle gegenseitig, dann sind die Friedliebenden wieder im Vorteil. Die graugoldene Mitte.

Respekt allein ist nicht alles. So wie es keine Toleranz gegenüber Intoleranten geben sollte – oft aber unklar ist, was das nun wieder heißt – ist es nicht sinnvoll, alles was Quatsch ist, als unerkannte Genieleistung zu betrachten. Blödsinn ist einfach Blödsinn, nur wie erkennt man ihn? Das sind wir wieder am Anfang, wer sich selbst überschätzt, weiß nicht, dass er es tut.

Aber zugegeben, das alles ist etwas überfordernd. In Was wir alle üben sollten. Eine Gebrauchsanweisung in Schärfegraden versuchen wir, Lücken zu schließen. Dennoch gibt es bei uns allen weitaus mehr, was wir nicht können: Auf eine Palme klettern. Ukrainisch sprechen. Stricken. Jonglieren. Einfach bei sich und damit zufrieden sein. Bescheidenheit kultivieren.