Euromünzen

Können wir die Bedeutung des Geldes reduzieren? © Adrian Korte under cc

Wir müssen nicht verzichten. Wenn es ein Narrativ, eine Erzählung gibt, hinter der wir uns versammeln können, dann ist es vielleicht das.

Immer wieder hören oder ahnen wir, dass es so nicht weiter gehen kann. Neu ist die Rede davon, dass wir den Gürtel nun enger schnallen müssen nicht. Aber müssen wir das überhaupt?

Wachstum (fast) überall

Dass wir verzichten müssen, ist der Elefant im Raum. Die einen sehnen diesen Verzicht herbei, um vielleicht doch noch die Kurve zu kriegen, bei den diversen Problemen von Klima über Müll, bis zu einer Ausbeutung der Ressourcen, die anderen verweigern jede Form des Verzichtsgedankens, indem sie auf andere verweisen, die anfangen oder mitmachen sollten (aber das Gegenteil tun), auf große Reste von Ressourcen und technische Lösungen, von denen man hofft und denkt, dass sie gefunden werden. Jeder meint, die besseren Quellen, Daten und Argumente auf seiner Seite zu haben, was normal ist, sonst wäre man nicht von dem überzeugt, was man denkt.

Einer der leicht zu verstehenden Grundgedanken derjenigen, die für einen Verzicht argumentieren, ist, dass unendliches Wachstum auf einer endlichen Erde nicht funktioniert. Alles wächst und das auch noch rasend schnell. Vertieft man sich ein wenig in diese Darstellung, bekommt man ein Gefühl dafür.

Um 1600 lag die Weltbevölkerung bei etwa 500 Millionen Menschen. 200 Jahre später, um 1800, bei 1.000 Millionen. Ungefähr 125 Jahre später, 1927 bei 2.000 Millionen. Weitere 50 Jahre später, 1974, sind es 4.000 Millionen Menschen und im nächsten Jahr, 2023, wird das Knacken der 8.000 Millionen Marke erwartet.[1]

Die Menge an Tieren, die wir essen, an Autos, die wir fahren, an Reisen, die wir tätigen, an weltweitem Transport wächst mit. Die Menge an Energie, die wir verbrauchen ist gewaltig und wächst, die Menge an Geld wächst und noch stärker die Menge an virtuellem Geld aus Spekulationsprodukten des Finanzsystems und zudem wächst die Menge an Schulden. Es wächst die Zahl der Internetkonsumenten, der verschickten Datenmengen, der Smartphones und ein Ende ist nicht absehbar.

Kunststück, sagen die einen, da die inzwischen annähernd die gesamte Lebensweise von unserem Wirtschaftssystem dominiert ist, das in Wahrheit viel mehr ist als nur ein Wirtschaftssystem, weil es nämlich längst und überall unseren Alltag bestimmt und außerdem einem dem System inhärenten Wachstumszwang unterliegt.

Aber nicht alles wächst. Die Menge an Regenwald, die Vielfalt der biologischen Arten schrumpft, aber nicht nur das. Die Hirngröße des Menschen hat seit der Steinzeit abgenommen und auch der Intelligenzquotient in einigen Ländern sinkt, in einigen entwickelten Ländern auch die Lebenserwartung.

Es ist vorbei

Das seien gewisse Turbulenzen, aber kein genereller Trend, hört man. Doch die Turbulenzen gehören längst dazu. Das Sinken der Lebenserwartung in den USA, das sei doch nur der Opioidkrise geschuldet. Neuerdings führt Corona zu einer Übersterblichkeit, diese befeuert ebenfalls eine Abnahme der Lebenserwartung. Aber wenn das alles vorbei ist … ja, was eigentlich? Kommt dann die ersehnte Normalität zurück?

Man weiß es nicht, aber das Durchbrechen des Gewohnten könnte die neue Normalität sein. Was ist es dann? Eine Naturkatastrophe, ein großer Stromausfall aufgrund einer Cyberattacke oder werden auf einmal die Antibiotika schneller unbrauchbar als man meint? Der Phantasie sind auch hier keine Grenzen gesetzt.

Was uns die Klimakrise-, einige sprechen lieber von einer Katastrophe noch bringen wird, wissen wir nicht. Probleme, die direkt vor unserer Tür stehen, gibt es reichlich. Der Wunsch die Uhr wieder auf vorher zu drehen ist menschlichen verständlich, aber es ist vorbei.

Ohnehin erleben wir gerade in einer Wende, in der ein alter Lebensstil uns abhanden kommt. Das sorgt für Trauer und Wut auf der einen Seite, andere sehen dies als großen Gewinn und wieder andere wissen noch nicht genau, was sie davon halten sollen.

Effizienz oder Suffizienz? Eine weitere Position

Wir müssen nicht verzichten. Das ist die Position des Effizienzlagers. Letzten Endes wird es der technische Fortschritt sein, der uns retten wird. Vor allem, wenn man ihn nicht über die Maßen behindert. Sprunginnovationen sind hier das Stichwort. Große technische Innovationssprünge, die einen Unterschied machen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wir haben in der Geschichte der Menschheit viele Sprunginnovationen erlebt, die jüngste ist vielleicht die mRNA Technik in der Medizin, doch das Endergebnis steht noch aus, wie wir alle wissen und erleiden. Ansonsten war es das Internet. Davor schon jede Menge: Buchdruck, Papier, Nagel, Abwassersystem, Flugzeug, Radio und Personal Computer, um nur einige zu nennen.

Dass Suffizienzlager hat zwei wesentliche Kritikpunkte. Zum einen: Es ist wahr, dass es andauernd viele kleine Verbesserungen gibt und diese sind zwar einzeln vielleicht unbedeutend, doch in der Summe machen sie einen Unterschied. Der wird allerdings durch Reboundeffekte aufgefressen. Heißt, zig Millionen Glühbirnen, die keine 40 oder 100 Watt mehr brauchen, sondern 7, machen etwas aus, aber weil die Leute wissen, dass es ja jetzt viel weniger ’schlimm‘ ist, das Licht brennen zu lassen, wird es viel länger angelassen. Oder eben andere an sich sparsamere Geräte, so dass am Ende noch mehr verbraucht wird. Zudem kann man echte Sprunginnovationen eben nicht bestellen, man kann sie nicht sicher einpreisen. Was, wenn man nichts findet, das das Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre holt?

Deshalb müssen wir verzichten, sagt das Suffizienzlager. Wir müssen anders leben, ganz anders, sparsamer und das auch noch schnell. Ein sozialer Wandel muss her. Das wiederum findet das Effizienzlager naiv, denn wo soll der soziale Wandel auf einmal herkommen? Die aktuellen Probleme sind alle seit Jahrzehnten bekannt, kaum einer war bereit sein Verhalten umzustellen und Corona zeigt uns, dass selbst dort, wo die einen eine Notlage sehen, die anderen eher gegen die Schutzmaßnahmen demonstrieren. Warum sollte es bei anderen Themen anders sein?

Wir müssen nicht verzichten. Das ist auch meine Meinung. Aber die Herleitung ist etwas anders, als die des Effizienzlagers. Denn unser realistisches Ziel sollte nicht Verzicht sein, sondern ein besseres Leben. Zum einen aus psychologischen Gründen. Wer das Gefühl hat, dass ihm etwas genommen wird, der wird konservativ, der empfindend Veränderungen als Bedrohung. Wir sind, hoffentlich, am Ende eines Jahrzehnte langen Prozesses der schleichenden Abwärtsentwicklung. Aber das soll nicht nur ein gute Laune Argument sein, denn dass wir nicht verzichten sollten und müssen, meine ich ernst.

Ich würde dem nur die Analyse voran stellen, die fragt, wie es uns wirklich geht. Ich hege eine gewisse Skepsis gegen oberflächliche Umfragen zum Glück. Wer will sich schon als unglücklich outen? Die Neurowissenschaftlerin Rebecca Böhme hat mit ihrem Vater Gernot Böhme ein Buch darüber geschrieben: Über das Unbehagen im Wohlstand. In einem Interview mit den beiden lesen wir von dem Mangel im Überfluss und wie wir versuchen, unsere innere Leere zu stopfen.

Ein Luxusproblem? Nicht unbedingt. Es ist nicht wie frieren oder Hunger, aber unser Argument ist ja, dass wir besser leben wollen und aktuell beruhigen wir uns damit, dass es woanders noch schlimmer ist. Das kann und soll nicht unser Anspruch sein. Wir wollen besser leben, ernsthaft besser und glücklicher leben, als heute.