Der Psychopompos

Hermes ist einer der Seelenführer und wenn man so will, der Schutzpatron der Psychotherapie. © Francisco Anzola under cc
Es gibt kaum mehr Rituale der Heilung, die uns noch verbinden und in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft, gibt es immer weniger gemeinsame Nenner und gemeinsame Aktivitäten, die wir teilen und Werte, denen wir uns verbunden fühlen. In Narzissmus in der Gesellschaft wurde das ausgeführt. Dabei handelt es sich dabei lediglich um das gesellschaftliche Spiegelbild einer inneren Instanz, auf die man sich verlassen kann, auch dann, wenn äußere Kontrolle wegfällt. Dies ist nicht nur eine strafende oder kontrollierende Instanz, sondern es sind innere Freunde und manchmal auch ein innerer Wegbegleiter, ein Begleiter der Psyche, ein Psychopompos, der eigentlich die Seele ins Totenreich geleitete, aber immer wieder auch im Leben auftaucht, wie zum Beispiel in Vergil in Dantes Göttlicher Komödie.
Der Psychotherapeut ist ebenfalls ein Begleiter durch die inneren Reiche, seltener durch das Jenseitsreich (wobei das in der Reinkarnationstherapie[link] durchaus Standard ist), wohl aber durch das Schattenreich und natürlich können sich beide überschneiden, da die Angst vor dem Tod noch immer eine unserer tiefsten Ängste ist. Wenn sich also heute die psychologische Forschung dieser Themen annimmt, dann greift sie im Grunde eine alte Tradition wieder auf, nur mit einem neuen, wissenschaftlichen Anspruch. Und der ist beileibe nicht schlecht, denn im besten Sinne bedeutet er zu verstehen, was man machen muss um bestimmte innere Zustände beim anderen auszulösen oder zumindest wahrscheinlicher zu machen und zu wissen, wem das, unter welchen Bedingungen hilft und wem es eher schadet. Dazu muss der Kleinkrieg zwischen den Fraktionen beendet werden und genau das war in den letzten Jahren der Fall. Wie in einer Paartherapie ist es irgendwann nicht mehr hilfreich zu ergründen, wer denn nun eigentlich angefangen hat, sondern man muss sich der Frage zuwenden, ob man eine gemeinsame Zukunft haben will.
Und die Zukunft sieht so aus, dass wir heute viel breiter aufgestellt sind, als früher. Galt es früher als ausgemacht, dass Psychoanalyse eine antireligiöse Einstellung war, so ist das heute genauso überwunden, wie die antiwissenschaftliche Einstellung. Auf der anderen Seite werden Elemente der aufdeckenden und imaginativen Verfahren, die ihre Wurzeln in Meditationen oder schamanischen Elementen haben, in die Heilung integriert und das nicht nur auf der psychischen sondern auf der körperlichen Ebene, wenn man diese Trennung überhaupt aufmachen will und wenn sie noch zeitgemäß ist.
Denn so sehr man in den letzten Jahren die Disziplinen getrennt hat, um der besseren Systematik willen, so sehr erkennt man in vielen Bereichen, dass man wieder zu einer Synthese zurückfinden muss. Das macht die Psychosomatik die selbst längst in Unterbereiche aufgespalten ist, die langsam, aber sicher zu einander finden. Mit Christian Schubert findet man jemanden, der den Bereich der Psychosoamtik systematisch erforscht hat und dazu ein Buch mit dem Titel „Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie“ veröffentlicht hat.
Die Traumatherapeutin Luise Reddemann ist im besten Sinne realistisch und geerdet, weiß, was schweres Leid bedeutet und arbeitet gerade deshalb auch auf einer imaginativen Ebene.
Aus einer anderen Ecke stößt die wissenschaftliche Placeboforschung hier neue Türen auf. Die Professorin für Neurologie Ulrike Bingel untersucht systematisch den Placebo- und Nocebo-Effekt, der bei der Verabreichung von Medikamenten seinen Ausgangspunkt hat, aber dort längst nicht endet. Wie weit er reicht, sehen sie in einer Fernsehsendung zum Thema, mit Ulrike Bingel als Gast.
All diese Bereiche und noch etliche mehr fließen ineinander zu einer Synthese von neuen und alten Ansätzen, die oft beschworen wurden, aber nun in der Praxis Fuß fassen.
Systematische und begleitete Reisen nach Innen
So gibt es heute viele verborgene Räume im inneren Haus, die man entdeckt hat und inzwischen sogar gut kennt. Klaus Ulbrich, der Begründer der Individuations-Therapie erläutert uns hier wie Trance, Hypnose und Hypnotherapie zusammenhängen und nimmt uns mit durch weitere Räume des inneren Hauses.
Auch der Traum hat eine eigenartige und neue Geschichte. Freuds Durchbruch war sein Buch Die Traumdeutung und der von ihm so genannte Königsweg zum Unbewussten war der Traum, bis dieser als eine Art sinnloses Hirngewitter fehlgedeutet wurde und heute wieder Bestandteil einer systematischen Forschung ist, mitsamt seinen skurrilen Elementen wie den Klarträumen, über die uns die Yogis schon seit langer Zeit berichten.
Psychotherapeuten die mit inneren Bildern und imaginativen Verfahren arbeiten berichten nicht selten, dass sie mit ihren Klienten in Trance gehen und manchmal sogar deren Bilder sehen können, was eine auch für Therapeuten eigenartige Erfahrung ist. Das wirft natürlich Fragen über die Subjektivität innerer Bilder auf. So wie die Schamanen mitunter stellvertretend für jemanden in Trance gehen konnten und sich „Tipps“ aus der jenseitigen oder Geisterwelt holten, so gibt es auch heute alle Mischformen, so dass ein Klient allein oder zusammen oder ein andere für ihn in Trance geht.
Die Trance kennt verschiedene Tiefengrade, die man als Begleiter sowohl subjektiv bemerkt, als auch mit objektiven Messmethoden, wie Hautwiderstandsmessern oder neuerdings dem fMRT nachvollziehen kann. Neben der kompetenten Begleitung bei der eine nicht unerhebliche Frage die ist, ob der Begleiter sich in diesen Welten auskennt: es bringt nicht viel, wenn ein Begleiter, der die Situation nicht kennt, in Panik gerät, weil derjenige, den er begleitet gerade erzählt, dass er gestorben ist und seinen Körper da liegen sieht. Jemand der in diesem Bereich Erfahrungen gesammelt hat, wird das offen erzählen und auch über weitere Fragen nicht böse sein.
Wirkt das eigentlich?
Die Frage ist berechtigt und wichtig. Mehr und mehr stellt sich heraus dass innere Überzeugungen immens wirksam sind. Und das nicht nur psychisch, so in dem Sinne, dass man manchmal die Idee hat, die Psyche sei ein von der Welt abgekapselter Bereich irgendwo „da drinnen“, sondern natürlich wissen wir, dass die Psyche mit dem Körper interagiert, wie wir eben noch mal ausführten und damit nicht genug, unsere Gestimmtheit hat natürlich auch einen Einfluss auf unsere Mitwelt, schon durch die Spiegelneuronen.
In dem obigen link zur Placeboforschung von Prof. Ulrike Bingel ist etwa die Rede davon, dass die Wirkung eines stark wirksamen Schmerzmittels durch Überzeugungen komplett aufgehoben werden kann, der Anteil an der Wirksamkeit einer Kopfschmerztablette liegt zu etwa 50% daran, dass man überzeugt ist, dass sie wirkt. Nur muss man eben überzeugt sein und nicht jeder ist von allem in gleicher Weise überzeugt, eine Idee, die in der Weltbild-Methode aufgegriffen und ausformuliert wurde.
Besonders prägnant begegnet uns das Phänomen bei Nahtoderfahrungen, in denen, egal wie man ihr Zustandekommen bewertet, das subjektive Erlebnis in einem sehr hohen Maße geeignet ist und die Angst vor dem Tod zu nehmen und das auch noch bei gleichzeitiger größerer Wertschätzung des Lebens.[3]
Kurz und gut, kann man die Frage, ob das Erleben außergewöhnlicher Bewusstseinszustände wirksam ist, mit einem klaren Ja beantworten, mitunter ist es dazu geeignet jahrzehntelange Sichtweisen zu verändern. Doch nicht immer reicht es, eine außergewöhnliche Erfahrung zu machen um dann automatisch ein besserer oder gesünderer Mensch zu werden, manchmal kann die Ausgangssituation sogar noch verschlimmert werden. Erlebt jemand mit einem sehr labilen Ich außergewöhnliche Bewusstseinszustände, kann das sein Ich komplett destabilisieren, allerdings ist auch das kein Automatismus und wie oben erwähnt, ist das Umfeld hier sehr wichtig. Wenn man weiß, wie man jemanden erdet, sieht bereits vieles anders aus.
Die Synthese aus psychischer Entwicklung, kompetentem Umfeld, konkreter Erfahrung und Deutung, spielen hier zusammen. Unterm Strich kann man die Bedeutung dieser Räume im inneren Haus kaum zu hoch einschätzen. Es gibt tatsächliche Meister dieser inneren Räume und das sind nicht nur Psychologen oder Neurologen, sondern vor allem auch jene Menschen, die diese Wege nach Innen systematisch gegangen sind, oder um im Bild zu bleiben, auch die verborgensten Räume, Kammern und Winkel des inneren Hauses besucht und eine Zeit bewohnt haben.
Die therapeutische und philosophische Einordnung der außergewöhnlichen Bewusstseinszustände fällt für die therapeutische Seite so aus, dass sie auf jeden Fall wirksam sind, systematisch weiter erforscht und stärker in ein therapeutisches Gesamtkonzept eingebettet werden sollten, weil es nicht mehr darum geht, ob hier etwas wirkt oder nicht, sondern, wie man es zum Wohle der Menschen nutzen kann und hier sollte sich ein nicht ideologischer und nicht monetärer Trend weiter etablieren.
Doch die therapeutische und philosophische Einordnung hat noch eine andere, nämlich philosophische Seite, die nicht minder spannend ist und deren Bewegungen wir hier schon seit geraumer Zeit mit verfolgen.