Wenn das eigene Ich in Anbetracht von Jobverlust, den Tod nahestehender Personen oder partnerschaftlicher Trennungen in eine starke Schieflage gerät, kann es bei einigen Menschen zu heftigen individuellen Krisen bis hin zu suizidalen Gedanken kommen. Je weniger man über gesunde Kompensationsmechanismen verfügt, um ein stabiles Selbst zu regulieren, umso wahrscheinlicher und tiefgreifender können solche psychischen Krisen ausfallen. Bei Personen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung, welche ähnlich oft wie Personen mit anderen Persönlichkeitsstörungen oder mit Depressionen in suizidale Krisen geraten können, ist ein besonderes Feingespür seitens der Therapeuten vonnöten, um narzisstische Krisen zu lindern. Welche therapeutischen Ansatzpunkte sind im Umgang mit narzisstischen suizidalen Patienten/Klienten zu beachten? Und was können wir alle aus dem Umgang mit solchen narzisstischen Krisen lernen?

Narzissmus: Ab wann wird es extrem?

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Bekommt man nicht die gewünschte Bestätigung, kann das eigene Selbst ins Wanken geraten. (All changes made to the image settings are applied to the selected photo only.) © Kiran Foster under cc

Wir alle haben narzisstische Anteile in uns. Sein Selbst zu schützen, indem man das eigene Dasein selbstwertdienlich ein wenig erhöht, selbstwertbedrohliche Situationen von sich wegschiebt und die Schuld eher bei anderen sucht, sind keine Gedanken und Verhaltensweisen, die ausschließlich bei Personen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung zu finden sind. Narzissmus ist auf einem Kontinuum angesiedelt. Ähnlich wie Körpergröße, Intelligenz oder Aufgeschlossenheit kann Narzissmus auch vor dem Hintergrund eines Persönlichkeitsmerkmals betrachtet werden. So wie es kleine, kluge oder verschlossene Menschen gibt, so gibt es eben auch narzisstische und weniger narzisstische Menschen.

Problematisch wird es, wenn die narzisstischen Persönlichkeitsmerkmale schadhaft für einen selbst und/oder andere werden, wenn der Leidensdruck von Betroffenen und/oder seinem Umfeld groß ist sowie wenn Einschränkungen in einem oder mehreren Lebensbereichen auftreten.

Wenn Narzissmus die Lebensführung beeinträchtigt

Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass eine gesunde Portion Narzissmus in der heutigen Welt gut ist und einen beruflich ebenso wie gesellschaftlich voranbringen kann. Auf diesen Aspekt sind wir bereits im ersten Teil dieser Artikelreihe mit dem Themenschwerpunkt der narzisstischen Krisen eingegangen. Narzisstische Charaktere, die zumindest zum Teil ihre eigenen Bedürfnisse zurücknehmen können und es verstehen, sich gesellschaftlich und sozial einzugliedern, sind häufig angesehene und beliebte Mitglieder in einem Freundeskreis, einem Verein beziehungsweise ganz allgemein in einer sozialen Bezugsgruppe. Sie haben gelernt, bestimmte Verhaltensweisen nicht an den Tag zu legen. Aus einer größeren sozialen Verträglichkeit entstehen häufig individuelle Vorteile, dessen ist sich auch ein narzisstisch motivierter Charakter durchaus bewusst.

Gehen die narzisstischen Anteile bei einer Person allerdings zu stark ins Extreme bzw. ins Negative, wird eine solche Person in ihrem Umfeld immer anecken und beruflich bzw. privat Probleme bekommen. Schon allein deshalb ist es wichtig, die eigenen narzisstischen Anteile konkret zu hinterfragen.

Wenn es zu narzisstischen Krisen kommt

Bei stark narzisstischen Personen fehlt die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit, wie sie nun einmal bei jedem Menschen zu finden ist. Jeder Mensch macht Fehler. Doch es gehört eben auch eine gewisse Stärke dazu, sich diese Fehler ohne Wenn und Aber selbst zuzuschreiben. Meistens muss man erst an einen Tiefpunkt im Leben gelangen, um sich einzugestehen, dass man etwas an dem eigenen Dasein/Auftreten bzw. den eigenen Einstellungen grundlegend ändern muss.

Die (narzisstische) Krise als Chance für den therapeutischen Einstieg

Befindet sich ein Mensch aufgrund von Trennung, Jobverlust etc. in einer Krise und gerät das Ich in starke Instabilität bis hin zum Katastrophisieren des eigenen Daseins und Selbstmordgedanken, wie im ersten Teil dieser Artikelreihe dargestellt, so ist dieser Tiefpunkt eine Chance für einen therapeutischen Einstieg. Dammann & Gerisch (2005) betonen die Chance seitens der Betroffenen, ihren Widerstand gegen eine Therapie aufzugeben, anzuerkennen, dass man selbst etwas ändern muss und sich der Arbeit an sich selbst zu stellen.

Wie lange dauert die Bereitschaft zur Therapie an?

Bei Personen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung währt diese Bereitschaft unter Umständen nicht lang. Sobald eine solche Person ihre narzisstische Krise überwunden hat, kann es sein, dass sie lieber auf ihre gewohnten narzisstischen Mechanismen der Selbsterhöhung und Fremdabwertung zurückgreift, anstatt sich auf therapeutische Art mit sich selbst auseinanderzusetzen. Nicht wenige möchten am liebsten das Verhalten in der Krise, wie etwa den Suizidversuch, verdrängen.

Auch weniger narzisstische Personen kennen das. Ist man nach einer Krise wieder halbwegs stabilisiert, schwindet die Motivation für eine Therapie. Wenn es einem gut geht, scheint es leichter, das eigene Leben zu bewerkstelligen. Doch wenn es einem schlecht geht, müssten eigentlich neue Kompensationsstrategien her. Deshalb ist es wichtig, die eigene Therapiemotivation aufrechtzuerhalten, um sich selbst langfristig und für alle Lebenslagen die bestmögliche Behandlung angedeihen zu lassen.

Umgang mit einer Person in der narzisstischen Krise

Befindet sich jemand in bzw. nach einer narzisstischen Krise, ist therapeutisches Feingespür überaus wichtig.

Der Therapeut muss empathisch und wohlwollend sein, gerade wegen der Scham und der Schuld, die der Patient nach dem Suizidversuch möglicherweise empfindet, aber er darf den Patienten wiederum nicht zu sehr von dem, was passiert ist, entlasten, also nicht verharmlosen, dies könnte nämlich eine weitere Verstärkung von dessen Insuffizienzgefühlen und Schwächung seiner Autonomie bedeuten.

Nach Dammann & Gerisch (2005)

Alle Menschen benötigen nach einer Krise wie einem Suizidversuch eine besondere Form der schützenden Zuwendung. Zudem ist es aus klinischer Perspektive ebenso wichtig, ihnen neben der Ruhe auch Verlässlichkeit und Orientierung zu bieten.
Nach einer suizidalen Krise fühlen die Betroffenen oft große Erschöpfung und eine Palette an teilweise sich widersprechenden Gefühlen. Erleichterung und Verärgerung. Trauer und Scham. Verwunderung und Trotz.

Psychologische Ansatzpunkte in/nach narzisstischen Krisen

Mann auf Boot geknickt Schrift Therapy

Sich den Therapiebedarf einzugestehen, erfordert innere Stärke und Mut. © Jason Rojas under cc

Bei der therapeutischen Betrachtung der suizidalen Auslösesituation bzw. allgemein der Krisensituation sollte nach Dammann & Gerisch (2005) gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet werden, worin mögliche externe Ursachen, aber auch die individuelle Kränkung oder Störung der narzisstischen Balance liegen:

Die Patienten wollen oft schnell über die Suizidalität hinwegschauen, weil sie diese (bewusst) als peinlich oder jetzt überwunden erleben (unbewusst an ihr jedoch festhalten können wollen). Statt dessen wird ihnen ein psychodynamischer Therapeut empathisch versuchen deutlich zu machen, dass er, der Patient, mit seinem Suizidversuch oder seiner Suizidalität versucht, in seiner Phantasie die Kontrolle über seine Lebenssituation zu behalten, sein Selbstgefühl zu retten und sich so zu entlasten. Die «Suizidalität» ist für den Patienten demnach Feind und Verbündeter zugleich, was eine schwierige und gefährliche innerpsychische Situation darstellt.

Unter keinen Umständen sollte der Suizidversuch als theatralisch oder als Appell an andere abgetan werden. Einen allseits respektvollen Umgang mit dem Patienten setzen erfahrene Therapeuten für sich voraus. Darüber hinaus wissen diese, dass das Suizid-Ansinnen bestehen bleiben kann, selbst wenn die depressive Symptomatik nachgelassen hat.

Affektiv ist die Suizidalität nicht immer mit Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit assoziiert. Alle möglichen Formen anderer affektiver Zustände sind beschrieben, bis hin zu «ekstatischen Formen» [52].

Erhöhte Kränkbarkeit ist zu berücksichtigen


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Obacht! Bei narzisstischen Krisen kann die Kränkung in Wut umschlagen. © anyone123 under cc

Im Umgang mit suizidalen Patienten ist der Sachverhalt, dass selbst berechtigte Kritik als stark verletzend wirken kann, zu berücksichtigen. Auch das Kränkungen bei narzisstisch geprägten Personen zu aggressiven Ausbrüchen führen können, muss seitens der anderen verstanden werden. Einerseits benötigen die Betroffenen stabile Personen in ihrem Umfeld nahezu dringlich, andererseits neigen sie dazu aufgrund ihrer narzisstischen Kompensation diese anderen wegzustoßen und abzuwerten. Dies führt zu Schwierigkeiten für den Betroffenen in seinem häuslichen und gegebenenfalls auch aktuell klinischen Umfeld.

Vorsicht: Kränkung kann in aggressiven Ausbrüchen münden!

Kränkungen dieser Patienten führen zu massiven aggressiven Ausbrüchen, die den Partner verletzen und womöglich den Abbruch der Beziehung bedingen. Um ja nicht den Abbruch der für den Patienten lebensnotwendigen Beziehung zu riskieren, richtet er die Aggression gegen das eigene Ich bis hin zur letzten Konsequenz, dem Suizidversuch oder Suizid. Henseler betont dabei, dass der Suizident sein eigenes aggressives Potential überschätzt, d. h. für so zerstörerisch hält, dass es den anderen Menschen vernichten könne. … Typisch für den Suizidenten ist auch eine fehlende oder unrealistische Einstellung zum Sterben. Henseler bezieht sich dabei auf die auch hier im Buch dargestellten Todesphantasien, die Ringel (1953) zum ersten Mal beschrieben hatte: Das Sterben wird vollständig verleugnet, der Suizident erlebt sich in seiner Phantasie auch nach dem Tode als lebendig, und zwar als körperlich lebendig.

Nach Bronisch & Frank (2014)

Jemand droht, sich umzubringen. Was tun?

Im Zusammenhang mit einer persönlichen Krise lernt jeder Mensch seine eigenen Dämonen kennen. Bei narzisstischen Krisen, also jene, die das eigene Ich elementar ins Wanken bringen, hat ein respektvoller und ruhiger Umgang mit dem Betroffenen oberste Priorität.

Menschen im Umfeld einer sich in der Krise befindlichen Person sollten sich dieser Besonderheiten im sorgsamen Umgang bewusst sein, ohne sich jedoch selbst in Gefahr zu bringen, sich von dem anderen erpressen zu lassen oder sich für das Handeln des anderen verantwortlich zu fühlen. Viele Suizidgefährdete wollen ihre Gedanken aussprechen können, deshalb kann ruhiges Zuhören oft hilfreich sein. Ferner ist es möglich, den anderen zu ermutigen, sich in therapeutische Behandlung zu begeben, mit ihm in die Notfallambulanz einer psychiatrischen Klinik zu gehen oder sich ambulant psychologische Beratung einzuholen.

Bundesweit gibt es viele Beratungsstellen für Menschen mit Suizidgedanken, aber auch für Angehörige. Nähere Informationen findet man zum Beispiel auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: hier.