Verlustängste sind tief in uns verankert. Sie gehen oftmals auf Ereignisse in der Kindheit zurück. Fortan beeinflussen sie unser Denken, Fühlen und Handeln. Sie sind wie ein argwöhnender Kobold, der auf unserer Schulter sitzt und uns Misstrauen ins Ohr raunt. Das erschöpft. Und es führt zu Komplikationen in der Partnerschaft. Deshalb widmen wir uns aus psychologischer Sicht dem lange überfälligen Thema: Warum habe ich Verlustangst und wie kann ich sie bewältigen?

Verlustangst zeigt sich unterschiedlich

Es kann sein, dass du dich in einer Partnerschaft befindest und deine*n Partner*in mit Argusaugen überwachst. Ein falscher Blick, der zu einer anderen Person geht, und deine Eifersucht schießt impulsartig in die Höhe. Vielleicht wurdest du sogar schon in der Vergangenheit betrogen.
Möglicherweise bist du aber auch in einer Beziehung, die dir nicht guttut. Eigentlich möchtest du Schluss machen. Eigentlich … Wäre da nicht diese Angst vor dem Alleinsein, die manchmal auch von Schuldgefühlen begleitet ist. Was ist, wenn ich meinem Gegenüber unrecht tue? Wie wird er sich fühlen nach der Trennung? Was, wenn ich mich täusche und dann gibt es kein Zurück mehr in die Partnerschaft? Was, wenn ich es allein nicht schaffe …?

Verlustangst und Selbstunsicherheit sind eng verbunden

Zeichnung von Frau mit schwarzen Haaren und einer Träne auf der Wange

Warum habe ich Verlustangst? Diese Frage geht mit Traurigkeit und Verzweiflung einher. © Ivan Friande under cc

Verlustangst ist oft auch mit einer großen Unsicherheit, einem Minderwert und Selbstzweifeln behaftet. Letztendlich erschwert diese emotionale Last unsere Entscheidungen in Liebesdingen. Eine unbeschwerte Partnerschaft ebenso wie eine Leichtigkeit in der Lebensführung sind dadurch weniger möglich. Personen mit Verlustangst boykottieren – überspitzt gesagt – sich selbst. Sie vertrauen sich weniger, untergraben ihren eigenen Wert und geben sich eher mit schadhaften Beziehungen zufrieden. Wie ist das im Detail gemeint?

Verlustangst als selbsterfüllende Prophezeiung

Das Problematische an der Verlustangst ist, dass sie zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann. So wird die beständige Eifersucht und die Angst, ein*e Partner*in könnte uns verlassen, eventuell tatsächlich unser Gegenüber in die Verzweiflung treiben. Wegen der ständigen Unterstellungen, dem Klammern am anderen und den Streits erkaltet die Liebe bei Partner*innen, sodass kein anderer Ausweg als die Trennung bleibt.

Ängste führen zur Unterordnung

Der verlustängstliche Part geht durch seine Ängste automatisch in den Minderwert. Er ordnet sich in seiner Bedürftigkeit und Ängstlichkeit unter dem anderen ein und verkauft sich sozusagen unter Wert. Viele Partner*innen verlieren dadurch schneller das Interesse, denn die Unterordnung schwächt die gewisse Spannung und gegenseitige Anziehung ab.

Für die Personen mit Verlustangst bestätigt sich dann unbewusst ihre Annahme, nicht liebenswert zu sein.

On-Off-Beziehungen schüren Verlustangst

Häufiger fühlen sich Menschen mit Verlustangst von selbstbestimmten, unabhängigen Menschen angezogen. Diese bringen Autonomie und Selbstsicherheit mit sich, die man bewundert und auch so gern hätte. Nicht wenige Personen mit einem starken Unabhängigkeitsstreben haben jedoch auch mit Bindungsängsten zu kämpfen. Dadurch kann die Passung rasch in ein emotionales Ungleichgewicht und Machtgefälle kippen. Ein*e Verlustängstliche*r rennt der Person, welche Angst vor Bindungen hat, hinterher.

Menschen, die von einer Verlustangst geplagt sind, neigen dazu, weniger Grenzen zu setzen, und lassen sich mehr gefallen. Sie sind meistens harmoniebedürftig und tendieren zur Konfliktscheue. Wer Angst hat, anzuecken, tut seltener seine Meinung kund. Und runtergeschluckter Ärger entlädt sich dann des Öfteren phasenweise in emotionalen Ausbrüchen, die mit der aktuellen Situation gar nicht so viel zu tun haben. Wurde ihre Geduld überstrapaziert, richten sich Verlustängstliche in ihrer Wut auf und wollen vielleicht ihrerseits den anderen verlassen, um nicht mehr diese Ängste und Schmerzen zu fühlen. Dadurch werden sie wieder zu einer interessanten „Trophäe“ für den Bindungsängstlichen, der sie nun zurückerobern will. Zwischen den beiden Partnern spielt sich dann das Szenario eines Nähe-Distanz-Konfliktes ab. Eine On-Off-Beziehung kann die Folge sein.

Schmerzhafte Bindungen befeuern Verlustangst

Zwei Freundinnen mit Schirm, im Hintergrund Mädchen, das eifersüchtig ist

Schon als Kind verspüren wir Eifersucht. © Antoine K under cc

Die vorangegangenen Beschreibungen machen deutlich, wie viele Blüten die Verlustangst in einer Partnerschaft treiben kann. Letztlich kommt es nicht selten vor, dass Menschen mit Verlustangst auch tatsächlich betrogen werden, dysfunktionale Beziehungen durchmachen und verlassen werden. Und das, obwohl sie liebevolle, zugewandte Partner*innen sind. Hierbei geht es nicht um irgendeine Schuldfrage, sondern um ungleiche Passungen, die schmerzhaft sind. Die Verlustangst wird durch die negativen Erfahrungen immer wieder bestätigt. Zu recht fragen sich also Betroffene: Warum habe ich die Verlustangst eigentlich?

Der Ursprung: Warum habe ich Verlustangst?

Verlustangst geht in den meisten Fällen auf unsere Kindheit zurück. Die Scheidung der Eltern, ein Elternhaus, in dem man sich wenig gut aufgehoben fühlte, oder der Tod einer nahestehenden Person können zu Verlustängsten im Erwachsenenalter führen. Auch können von den Eltern oder Geschwistern (unbeabsichtigt) vermittelte Empfindungen, man würde als Kind nicht ausreichen und wäre weniger liebenswert, zu tiefen Gefühlen von Minderwert, Einsamkeit und Verlassensangst werden. Zur Verlustangst gehört eben auch, sich selbst nicht zu genügen, weil man tief in seinem Inneren glaubt, man sei nicht gut genug.
Als Erwachsener möchte man diese Gefühle der Einsamkeit unter keinen Umständen mehr spüren. Deshalb huschen so viele von uns von einer Partnerschaft in die nächste, sind über die Maßen eifersüchtig oder leiden unter Minderwertigkeitskomplexen und Verlustängsten.

Gehe in dich: Mögliche Gründe für deine Verlustangst

Es lohnt sich für dich, in dich zu gehen, und zunächst erst einmal zu erspüren: Warum habe ich Verlustangst? Viele verschiedene Gründe sind denkbar. Nimm dir etwas Zeit für dich und erforsche deine Prägungen aus der Kindheit, die zu unschönen Glaubenssätzen in deinem Erwachsenenalter geführt haben. Mögliche Gründe für deine Verlustangst können sein:

  • Stritten meine Eltern oft? Fühlte ich mich schuldig deshalb?
  • Hat der Vater die Familie verlassen?
  • Gab es einen Todesfall (Großeltern, Verwandte, Bekannte), mit dem in der Familie nicht gut umgegangen wurde? Wurde ich mit meiner Trauer allein gelassen?
  • Habe ich bedingungslose Liebe erfahren oder wurde mir vermittelt, ich müsste etwas für die Zuneigung der Eltern tun?
  • Wurde ich für unerwünschtes Verhalten mit Liebesentzug und Gefühlskälte bestraft?
  • Wurde Mutter/Vater wie aus dem Nichts böse und bestrafte mich?
  • Wurden meine Geschwister bevorzugt behandelt?
  • Waren meine Eltern gefühlsarm und konnten keine Liebe zeigen?
  • Glaube ich, weniger wert zu sein? Denke ich, mir steht weniger zu?

Das alles können Themen für Verlustängstliche sein. Wenn du Antworten auf die Frage „Warum habe ich Verlustangst?“ findest, bist du mit deinen Erkenntnissen schon mal einen guten Schritt weitergekommen. Dadurch machst du dir deutlich, dass die Verlustängste nichts mit dir und deinem Wert als Person zu tun haben, sondern vielmehr die Problematik deiner Eltern sind, die sie auf dich als Kind übertragen haben. Im zweiten Teil unserer Artikelreihe widmen wir uns dem Inhalt, wie wir mit unserer Verlustangst umgehen können, um dieser endlich Herr zu werden: Wie überwinde ich meine Verlustangst? – Verlustangst bewältigen (2).