Die Wiedervereinigung war eine Mischung aus Euphorie und Skepsis, der bald weitere Enttäuschungen folgten. Von jammernden und undankbaren Ossis und Besserwessis war die Rede. Es ging den meisten immer noch gut, vielen sogar deutlich besser, aber es lief nicht mehr so richtig rund.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich alt genug war um bewusst wahrzunehmen, dass wir nun 4 Milliarden Menschen auf der Welt seien. Ende der 1980er waren wir 5 Milliarden, gut 25 Jahre später, heute, knapp unter 7,5 Milliarden. Mehr als eine Verdoppelung der Weltbevölkerung in den letzten 50 Jahren.
Man hat den Einruck, dass es irgendwie eng auf der Welt wird, gerade im Zusammenhang mit der Umweltproblematik und den Migrationsströmen, die Zahl der produzierten Autos hat sich weltweit in den letzten 50 Jahren mehr als verdreifacht, ein Zeichen für Wohlstand, Umweltverschmutzung und Staus.

Das anbrechende Jahrzehnt brachte dann schnell neue Themen mit, zum dritten mal Fußballweltmeister, doch dann die erwähnten Kriege in Jugoslawien und dem Irak, vor der Haustür. Letzterer in Echtzeit, mit Reportern auf dem Dach. Die Medien rücken uns immer näher, Inszenierung und Wirklichkeit verschwimmen, denn einerseits sehen wir die Dinge ja mit eigenen Augen, andererseits genau das, was wir sehen sollen.

Die medial-digitale Revolution

Zeuichnung, Menchen schauen auf ihr Smartphone

Das Samrtphone ist nicht mehr wegzudenken und verändert uns. © Wendelin Jacober under cc

Handys und n-tv wurden zunehmend zum Teil unseres Lebens, der rote Balken mit wiederholtem Fließtext, die „Breaking News“ kamen in unser Leben und eine zunehmende Fokussierung auf die Wirtschaft mitsamt der Börsendaten. Aktualität wurde immer bedeutender und die Börse in New York oder ein Flugzeugabsturz in Asien oder eine Pressekonferenz irgendwo in der Welt zog in unsere Wohnzimmer ein, bald auch liefen sie in Autobahnraststätten und anderen öffentlichen Orten. So ging ausgerechnet die kritische Esoterikbewegung, die zu Beginn der 1980er richtig Fahrt aufnahm, immer mehr in die Breite, wurde zugleich immer populärer und flacher und überlappte mit einem Börsenhype, der bisher unbekannt war. Die Telekom bot eine Aktie an, die für kurze Zeit als Volksaktie galt, letztlich war sie ein Flop, bei dem viele Leute Geld verloren. Esoterikseminare gingen fließend in Managementseminare über und viele wollten so sein, wie die Börsenmanager, die heute keiner mehr leiden kann.

Das Internet breitete sich rasant aus, kurze Zeit später ein Interesse an sozialen Medien, dann brauchten Handy und Computer nur noch zusammen zu wachsen, was sie in den folgenden Jahren im Smartphone taten, die Zahl der Internetanschlüsse und das Social Media Interesse stiegen sprunghaft weiter an und das ist aktuell der Stand der Dinge.

Geschehen die Veränderungen in der Welt zu schnell?

Wir haben eine Zeit außerordentlich dichter und nachhaltiger Veränderungen erlebt. Die gab es auch vorher immer wieder, aber die Veränderungen in der Welt betreffen heute direkt unser Kommunikationsverhalten und das nimmt breiten Raum in unserem Alltag ein. Es ist nicht zu erwarten, dass das Internet bald keine Rolle mehr spielt, die Welt rückt uns immer näher, wir können Fakten und Fakes, Werbung und Information nicht mehr richtig trennen und eine Reaktion darauf ist steigendes Misstrauen, eine andere Anpassung. Doch das Internet ist ein schnelles Medium, immer mehr Menschen haben ihr Smartphone überall dabei und jederzeit an. Jeder kann sein privates Video einstellen. Wir können uns alles auf der Welt anschauen, wenn wir wollen, zu jeder Zeit. Klatsch und Tratsch, Privates und Öffentliches, Bedeutsames und Belangloses fließen ineinander. An sich nicht schlimm, wenn man es untescheidenn kann, ungünstig ist nur, wenn das nicht gelingt. Auch die mediale Propaganda kommt heutzutage gleich aus mehreren Ecken, auch das verwirrt.

Es fehlen die Welterklärer, es fehlen die Vertrauen erweckenden Institutionen, es gibt das unangenehme Gefühl, kaum mehr jemandem trauen zu können und die Massenmedien mit ihrer regressiven Kraft verstärken diesen Effekt. Regressive Bewegungen stabilisieren sich mit der Zeit von selbst allerdings auf einem niedrigen moralischen Niveau, das keinerlei Ambivalenzen toleriert.

Rechtspopulisten wollen neuerdings zurück in die 1950er. Eine konservative Welt, in der noch nichts aus dem zweiten Weltkrieg aufgearbeitet war, wo Männer noch Männer und Frauen noch Frauen sein durften. Man kann zumindest die Verwirrung einiger Menschen verstehen, die ihrerseits die Welt nicht mehr verstehen und lieber eine schlichte Ordnung als eine weitere Zunahme komplexerer und immer schnellerer Entwürfe möchten. Wir haben mehr Zeit denn je und fühlen uns immer gehetzter, mehr Kontakte und fühlen uns vereinsamt. Aber zurück in die gute alte Zeit zu wollen es ist eine seichte Version, die nur Freund und Feind kennt, richtig und falsch, auch wenn die Sehnsucht nach Orientierung verständlich ist. Eine verkitschte Welt, in der man sich an eine gute alte Zeit erinnert, die es, wie die heile und glückliche Kindheit stets nur in der Phantasie gegeben hat.

Die Veränderungen in der Welt von heute geschehen vermutlich nicht zu schnell, aber es finden welche statt, die nicht ohne sind und die uns erhalten bleiben. Sie werden intensiv medial begleitet und manchmal hat man den Eindruck, dass mediales Geschehen irgendwie realer ist, als selbst erlebtes Geschehen, aber wie wir wissen sind einflussreiche Denker durchaus vom weitreichenden Einfluss der Massenmedien überzeugt. Zudem ist die Stimmung mies, nicht weil es uns tatsächlich schon wahnsinnig schlecht geht, aber die gemeinsame Perspektive auf ein Ideal scheint verschwunden. Das immerhin hatten die 50er zu bieten. Der Wiederaufbau stand auf der Agenda. Zudem hatten Visionen zuletzt einen schweren Stand und immer mehr Grüppchen sorgen dafür, dass die Gesellschaft zersplittert. Europa ist als großes Projekt vermutlich erledigt und was uns verbinden könnte wären oftmals Ideen um einen drohenden Schaden zu vermeiden, Migrationsströme und Klimawandel eindämmen, irgendwie Rente bekommen, das klingt mehr nach Abwehrgefecht, als nach saft- und kraftvollem Entwurf. Sexy ist anders.

Ich denke, es ist diese Kombination die uns das Gefühl der Überforderung vermittelt und die eigenartige Koexistenz von Ansichten erklärt, die, nimmt man alles zusammen, einmal sehr gelassen sein können und bei anderen den Untergang einläuten, der aus ihrer Sicht ohnehin kaum noch zu verhindern ist. Was ernst zu nehmen ist, ist, dass offenbar weltweit Vorstellungen von einer harten und ordnenden Hand, die klar in Freund und Feind unterscheidet, für viele Menschen attraktiv genug sind, um auch in fairen Wahlen reichlich Stimmen zu bekommen. Diese Menschen scheinen eine solide bis rigide Ordnung weiteren Veränderungen vorzuziehen. Vielleicht würde es schon helfen, wenn man Großvisionen entwickelt, die mit echter eigener Überzeugung vorgetragen werden und uns etwas als Ziel in Aussicht stellen, das sich lohnt und als positive Vision und nicht als zaghafte Absicherung empfunden wird.