Die nächste Generation soll es besser haben

Das war die stille Agenda der Nachkriegszeit. Aus Trümmern geboren wurde ein immenser Glaube an den Fortschritt auf allen Ebenen. Die Selbstverständlichkeit mit der man unterstellte, dass es immer weiter bergauf geht, brachte vielleicht erst die anderen Themen, sich um bessere soziale und ökologische Bedingungen zu kümmern, auf die Agenda. Es war genug da, man würde nie wieder Mangel leiden, die Fortschritte von Wissenschaft und Technik waren immens, man schickte Menschen auf den Mond, die Ära der Antibiotika begann, Seuchen verschwanden zusehens und man war der Überzeugung, dass ein paar ernst gemeinte Investitionen auch den Krebs besiegen würden. Es war eine Zeit grundlegend optimistischer Stimmung, dass die nächste Generation es besser haben sollte und würde, war eine tief gefühlte Überzeugung und wurde fast wie eine Art Naturgesetz erlebt.

VW Bus in bunten Farben vor Meer

Ein Relikt aus der Stimmung der Flower Power Zeit. © Per-Olof Forsberg under cc

Allmählich, schleichend, begann dieses Bild feine Risse zu bekommen, erst so, dass es noch niemand merkte, doch dann immer mehr. Fortschrittspessimismus und Technologieskepsis gab es auch vorher schon, aber diese Stimmen wurde in der Breite nicht gehört, die realen Fortschritte sprachen dagegen und wissenschaftlich-technischer Fortschritt hieß zu jener Zeit, noch ganz direkt, dass es den Menschen besser geht. Etwa zeitgleich mit der erstarkenden Ökobewegung kam auch eine Esoterikbewegung auf, die kaum historisch aufgearbeitet ist. Sie war zu Beginn eine kritische Bewegung, nicht politisch kritisch sondern fortschrittsskeptisch, vor allem den Bereich der Medizin und Psychotherapie betreffend. Ausgerechnet jene Bewegungen, die gerade kräftig abräumten. Dass Öko- und Esobewegung überhaupt im breiteren Rahmen Zuspruch bekamen, zeigt bereits, die oben angesprochenen Risse im Bild. Etwa zu Beginn der 1980er nahmen die kritischen Stimmen Fahrt auf, doch die Stimmung war insgesamt noch immer positiv. Es würde weiter bergauf gehen. Vielleicht nicht mehr so schnell, aber Fortschritt und Wachstum waren weiter positiv gefärbte Begriffe.

Drei wichtige Faktoren

Doch dann gab es einen Bruch, der meines Erachtens wichtig ist. Wir sahen dicht gedrängte Veränderungen im Wechsel vom 19. zum 20.Jahrhundert, mit epochalen Perspektivverschiebungen. Ich weiß nicht, wie die Stimmung zu jener Zeit war, aber die massenmediale Begleitung war dezent und verglichen mit heute äußerst langsam. Zur Zeit der 68er Bewegung waren die Massenmedien einen Schritt weiter, das Radio war längst verbreitet, der Fernseher begann allmählich seinen Siegeszug, die nun folgenden Veränderungen wurden massenmedial intensiver begleitet. Doch die Stimmung weiterhin gut, optimistisch.

Die Veränderungen in der Welt, die nun kamen, waren vielleicht weniger dramatisch, aber zwei Dinge änderten sich. Zum einen gewannen einige Themen an Fahrt und Einfluss und man hatte den Eindruck, dass man sie nicht wieder los wird. Es waren Langlaufthemen, die in den Blick gerieten, keine kurzen Episoden. Und es waren keine schönen Themen, womit wir beim zweiten Punkt sind.

Ungefähr mit dem Beginn der 1980er Jahre begann der Mythos vom Fortschritt zu bröckeln, es wurden fortan zwei parallele aber diametral entgegengesetzte Geschichten geschrieben und beide Lesarten halten sich in unterschiedlichen Gewichtung bis zum heutigen Tag.

Die eine Geschichte erzählt den Fortschrittsmythos ungebrochen weiter. Kurzfassung: Natürlich gibt es hier und da Schwierigkeiten, doch die hat es immer gegeben, nie hat sich Menschheit davon aufhalten lassen, das Jammern bringt nichts, nur weiter machen, besser werden und ohne jeden Zweifel ist unsere Welt heute so gut wie nie zuvor. Klar, es könnte noch besser sein, aber so gut wie es jetzt ist, war es noch nie. (Diese Version wurde in Weltuntergang etwas ausführlicher beschrieben.)

Die andere Geschichte erzählt uns von Fehlern und Verirrungen, die schon längst bestehen und sich jetzt rächen. Ob der Aufhänger Gesundheit, Kapitalismus, Arm und Reich-Schere, Umweltsünden, soziale Missstände oder sonst etwas ist, die Lesarten sind trübe, manche finster, andere direkt apokalyptisch.

So parkt die Legende, dass wir aktuell in der besten aller möglichen Welten leben, dicht neben der, dass wir willenlose Sklaven in einer Bananenrepublik sind, die längst noch nicht das ganze Ausmaß des Desasters konfrontiert haben, kräftig an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen und ein Licht am Ende des Tunnels ist schon gar nicht zu erkennen.

Wir haben es nun mit einem neuen, ziemlich einzigartigen Dreiklang zu tun, der aus realer Veränderung, deren massenmedialer Begleitung oder Inszenierung und einer allmählich kippenden Stimmung besteht, denn die zweite Lesart gewinnt mehr Gewicht, wird zumindest immer schriller.

Warum kippt eigentlich die Stimmung?

In letzter Zeit ist oft von Wirklichkeit und gefühlter Wirklichkeit die Rede. Zum ersten Mal kam das vermutlich breiter auf, als der Euro eingeführt wurde und viele Menschen das Gefühl hatten, der Euro sei ein Teuro, sprich, die Einkommen wurden annähernd halbiert, die Preise jedoch nicht, so zumindest war der Eindruck. Immer wieder rechnete man uns vor, der Eindruck trüge, aber es scheint in vielen Bereichen des Lebens einfach so zu sein, dass wir Dinge, die uns negativ vorkommen, verstärkt wahrnehmen, Positives hingegen unter normal abhaken (siehe auch: Warum immer ich?).

Immer wieder und aus verschiedenen Ecken ist zu hören, dass man den Blick auf Positives, sowie einen Sinn dafür, dass es uns jetzt gerade gut geht, richtiggehend lernen muss. Man muss die Aufmerksamkeit dafür schulen. Und so lautet die Geschichte, dass es uns, betrachtet man reale Daten, wie Einkommen, Hunger, Lebensalter, Intelligenz, Kriege statistisch immer besser geht, doch die gefühlte Realität ist aktuell die der Bedrohung, Verunsicherung und dass die besten Jahre irgendwie vorbei zu sein scheinen.

Der stille Mythos, dass die nächste Generation es besser haben wird, ist nicht mehr da. Jedenfalls sinkt die Zahl derer, die davon tief überzeugt sind. Klimawandel, Migrationsströme, Terror, Ausbeutung von Ressourcen, unsichere Renten sind dominierende Themen. Und vielleicht ist es noch nicht mal viel mehr als ein Abwehrkampf auf hohem Niveau, aber schon das Gefühl, dass es nicht mehr ungebrochen weiter bergauf geht, ist belastend. Sogar sehr, wie uns Kahneman lehrt. Es war vielleicht gar nicht der eine große Knall, der eine Wende brachte, es waren viele kleine Nadelstiche. Anfang der 1980er begann der Trend milde, doch die Enttäuschungen kamen. Der Krebs wurde nicht besiegt, Zivilisationskrankheiten waren sogar eher auf dem Vormarsch und AIDS kam als Seuche hinzu, die Antibiotikatherapie hatte Grenzen und brachte eigene Gefahren mit sich. 1986 explodierte am Himmel über Amerika der US-Raumschuttle Challenger und in Tschernobyl ein Atomkraftwerk, die Euphorie von Ärmel hoch, dann schaffen wir es auch, schien verflogen. Die Folgen eines „weiter so“ rückten immer negativerer Bedeutung in unser Bewusstsein. Zwar gab es weiterhin technische Fortschritte, aber sie hatten nicht mehr die direkte Auswirkung auf unser Leben, so dass jeder unmittelbar davon profitierte, wie etwa von einer Waschmaschine.