Narzisstische Menschen hinter sich zu lassen, ist für viele gar nicht so leicht. Gerade wenn es sich um Personen aus der Familie handelt oder um eine langjährige Partnerschaft, hilft uns das theoretische Wissen um Narzissmus und die Erkenntnis, dass man sich in einer von Toxizität geprägten sozialen Beziehung befindet, nicht unbedingt weiter.
Empfehlenswert ist es, an sich selbst zu arbeiten, damit man zu einer inneren Unabhängigkeit gelangen kann. In welchen physischen Abstand wir letztendlich zu den Personen mit den uns degradierenden Verhaltensweisen gehen, bestimmt jede:r von uns ganz für sich. Im ersten Teil der Artikelserie haben wir die ersten drei Punkte benannt (1-3), nun folgen im zweiten Abschnitt weitere Ansatzpunkte, um die Kraft zu entwickeln, damit man sich von einem narzisstischen Menschen sukzessive entfernen kann.
Narzisstische Personen loslassen
Es gibt einige spezielle Verhaltensweisen bei narzisstischen Personen, die von einer starken Eigenerhöhung sowie einer damit einhergehenden Fremdabwertung gekennzeichnet sind. Das Gefühl der Überlegenheit und das Anspruchsdenken machen den Umgang mit Menschen dieser Charakterstruktur zu einer Herausforderung, die den eigenen Selbstwert und die individuellen Bedürfnisse hintanstellen lassen. Ihre starke Verletzlichkeit und das häufige Missverstehen der Aussagen von anderen Menschen kann zu degradierenden Abwehrmechanismen führen. Befindet man sich mit einer narzisstischen Person in einer wie auch immer gearteten sozialen Beziehung, werden die eigenen Gefühle eigentlich ständig in Schach gehalten. Wirkliche Ruhe und Harmonie kehren so gut wie nie ein. Das Miteinander zehrt einen auf.
Nach den Punkten 1-3 folgen nun die Punkte 4-6, die dabei helfen können, eine narzisstische Person loszulassen.
4. Das Ansinnen anderer einschätzen lernen
Auf deinem Weg in die innere Unabhängigkeit solltest du nicht nur deine eigenen Glaubenssätze in Bezug auf deine Person hinterfragen, sondern auch überprüfen, mit welcher Brille du auf die Welt blickst. Manche von uns suchen so stark nach Nähe und Halt, dass sie die Red Flags für toxische Beziehungen nicht wahrnehmen. Andere glauben, von den Menschen in ihrem Umfeld abgelehnt zu werden und nicht liebenswert zu sein, weil es ihnen vielleicht jahrelang unbewusst so vermittelt wurde. Und nun gehen sie mit diesem Blick durch die Welt und sehen sich im Verhalten der anderen vermeintlich bestätigt. Um das Ansinnen anderer Menschen richtig einschätzen zu können, ist es hilfreich, auf deren Taten zu achten und weniger auf deren Worte.
Worte zeigen an, wie jemand gern sein würde, das Verhalten zeigt demgegenüber an, wie die Person momentan ist. Dementsprechend ist auch in Partnerschaften, Affären, Freundschaften plus etc. das Verhalten einer Person eine verlässlichere Quelle im Gegensatz zu ihren Worten.
Das heißt nicht, dass wir alle nicht auch mal Zusagen oder Versprechungen tätigen und sie dann nicht einhalten. Oder dass wir nicht auch mal ausflippen, unterschwellig passiv-aggressiv sind oder lügen, überfordert sind etc. Der Alltag ist viel zu energieraubend, als dass einem diese Fauxpas nicht passieren können. Allerdings kommt es auch immer darauf an, ob im Anschluss ein Gefühl der Reue empfunden wird, eine Selbstreflexion erfolgt und sich Verhaltensänderungen abzeichnen. Gemeinhin sind diese Prozesse bei narzisstischen Personen seltener zu beobachten. Insgesamt geht es also nicht um ein vorschnelles Urteil, sondern um eine Beobachtung über einen längeren Zeitraum.
5. Das Schlechte sehen, bringt dich nicht voran
Ängste genauso wie das Gefährliche und Schlechte in der Welt zu sehen, bringen dich nicht voran. Natürlich ist es gut, eine gewisse Vorsicht an den Tag zu legen, doch manche von uns neigen zur »Übervorsichtigkeit«. Wie sich zeigt, können Personen, die in der Kindheit starken negativen Prägungen und lang andauerndem Stress ausgesetzt waren, mitunter im späteren Leben zu einer Übererregbarkeit des Nervensystems neigen. Das bedeutet unter Umständen:
- schneller in Alarmbereitschaft, erhöhte Wachsamkeit
- bereits kleine Auslöser können zu einem starken Stresserleben führen
- länger andauernde Stressantworten
- höhere Anspannung, Ängste, verstärkte Grübeleien, Herzrasen und Panik können damit einhergehen
- häufiges Grübeln, öfter auch nachts
- eventuell kommt es zu katastrophisierendem Denken, starken emotionalen Reaktionen, leerer Euphorie, Dissoziationen (also dem Abspalten von Erinnerungen, emotionalen Eindrücken etc., die sich als »Erinnerungslücken« ausdrücken), emotionaler Taubheit, einem negativen Blick auf die Welt sowie einer insgesamt erhöhten Ängstlichkeit im Leben
Ruhige emotionale Baseline finden
Im Prozess der inneren Unabhängigkeit geht es also auch darum, eine neue ruhigere emotionale Baseline zu finden, um seine Kompetenzen für das Erlangen von mehr Gelassenheit zu stärken. Das kann zum Beispiel durch das Etablieren einer Tagesstruktur geschehen, um unser geistiges und emotionales Erleben im Gleichgewicht zu halten und ein Gefühl von Sicherheit zu schenken, mit dem man sich zukünftig ruhiger durch das Leben manövriert. Auch Yoga und meditative Praktiken können helfen, wie verschiedene Studien zeigen.
Die Achtsamkeit im Moment hilft uns dabei zu erkennen, wann wir in dem Modus des emotionalen »Angeknipstseins« sind. Indem man zeitig spürt, wann einen die Gefühle überfluten und der Geist von Angst und Anspannung geprägt ist, lässt sich innerlich ein Schritt zurücktreten. Statt reaktiver Handlungsmuster, die von Impulsivität oder Verzweiflung begleitet sein können, hilft es, sich erst einmal bewusst zu beruhigen durch eine entspannende Atmung und dem Suchen eines inneren Abstandes zu dem, was uns aufwühlt. Sobald wir unsere Handlungen nicht mehr von unseren Gefühlen bestimmen lassen, erlauben wir uns, emotional zu reifen. Auch an dieser Stelle sei noch einmal auf die professionelle Hilfe durch eine psychotherapeutische Behandlung verwiesen.
6. Narzisstische Personen: Dein innerer Spiegel
Andere persönlich zu kritisieren und herabzusetzen, mag vielleicht einen kurzen Egoboost bringen, doch er ist nicht von Dauer und er bringt dich nicht voran. Im Gegenteil, eine solche Verhaltensweise kann unsere Gedanken ziemlich einschwärzen. Sie basiert auf Abwertung und Neid und bietet unserem Ego ein recht instabiles Gerüst. Darüber hinaus sind vielen Personen im Umgang mit narzisstischen Menschen doch solche negativen Verhaltensweisen nur allzu gut bekannt. Wir sollten nicht vom Adressaten zum Absendenden wechseln.
Es geht also nicht darum, stets und ständig die Schuld bei anderen zu suchen, sie zu kritisieren, zu bewerten und zu bashen. Vielmehr geht es darum, sich von schadhaften Verhaltensweisen anderer Personen, die einem wehtun, abzugrenzen, zu der betreffenden Person auf Abstand zu gehen, um selbst zu einem inneren Frieden gelangen zu können. Sobald wir selbst den negativen, abwertenden, kritisierenden Gedanken in uns den Vorzug geben, sind wir wieder energetisch, emotional und kognitiv gebunden. Wir werden zu Gegenspieler:innen von Personen, die uns mit ihrem negativen Verhalten erreichen wollen. Und das wäre konträr zur persönlichen inneren Unabhängigkeit.
Im Grunde spiegeln die Zugewandtheit und Akzeptanz, die ich für andere habe, die Zugewandtheit und Akzeptanz wider, die ich für mich selbst habe. Wir werden mehr Frieden im Geiste erlangen, wenn wir uns selbst und andere nicht permanent bewerten. Reminder: Damit ist nicht gemeint, dass wir uns alles gefallen lassen, sondern lediglich, dass wir eine Person nicht ändern können, nur unsere Beziehung zu ihr können wir anders gestalten, indem wir beispielsweise innerlich und gegebenenfalls äußerlich auf Abstand gehen. Egal, ob man eine vollständige Trennung vorzieht oder sich lediglich nicht mehr vereinnahmen lässt und die Kontakte begrenzt, es lebt sich wesentlich ruhiger, wenn wir die eigene Energie für uns selbst nutzen und uns nicht mehr fremdbestimmen lassen. Das bedeutet ein wirkliches Loslassen in Bezug auf eine narzisstische Person.