Eine Traumatisierung kann nicht nur die Psyche, sondern auch den Körper prägen. Selbst Jahre später können neben psychischen Symptomen auch physische damit verbunden sein. Der Körper kann eine Traumatisierung erinnern, selbst wenn wir uns dessen gar nicht bewusst sind. Chronische Schmerzen, Kopfschmerzen, Nervosität, Dissoziationen und viele weitere Symptome können in Zusammenhang mit einer Traumatisierung stehen.

Traumatisierung: Was gilt als ein Trauma?

Gemäß der Deutschen Traumastiftung wird ein Trauma verstanden als ein belastendes Ereignis beziehungsweise eine Situation, die von der betreffenden Person nicht bewältigt und verarbeitet werden kann. Häufig ist es ein Resultat von Gewalteinwirkung, die sowohl physischer als auch psychischer Natur sein kann. Und weiter:

Als traumatisierend werden im Allgemeinen belastende Ereignisse wie schwere Unfälle, Erkrankungen und Naturkatastrophen, aber auch Erfahrungen erheblicher psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen bezeichnet. Sie können tiefe Wunden in der Seele hinterlassen, die einen Menschen das Leben lang beeinträchtigen.
 Wie eine körperliche Verletzung Zeit braucht, um zu verheilen, ist auch ein Trauma eine Verletzung der Seele, die ebenfalls Zeit braucht zum Verheilen.

zitiert nach Deutsche Traumastiftung

Emotionale Gewalt nicht unterschätzen

Sonnenuntergang am Meer

Starkes Stresserleben und schwere negative Erlebnisse in der Kindheit können die Psyche verdunkeln. © Freddy Fehmarn under cc

Ein Beitrag der Tagesschau macht auf die oft unterschätzten Folgen der psychischen Gewalt aufmerksam. Laut einer Studie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wurde, ist die emotionale Gewalt die häufigste Form der Misshandlung von heranwachsenden Schutzbedürftigen und scheint die schwerwiegendsten Belastungen für die psychische Gesundheit mit sich zu bringen. Auch bei körperlicher oder sexueller Gewalt ist in der Regel emotionale Gewalt mit im Spiel.

Problematisch ist, dass die Grenzen zu psychischer Gewalt schwerer abgrenzbar sind im Gegensatz zu körperlicher und sexueller Gewalt, die juristisch klar definiert sind.
Beschimpfungen, Abwertungen, Drohungen, Vernachlässigung sowie eine Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind (Parentifizierung) zählen unter anderem dazu. Der Psychiater Lars Otto White von der Universität Leipzig und die Psychologin Iris-Tatjana Kolassa von der Universität Ulm werden in dem Tagesschau-Beitrag wie folgt zitiert:

„Generell wird es bei Kindern und Jugendlichen immer dann problematisch, wenn die Eltern, die eigentlich eine Quelle von Trost und Sicherheit sein sollen, diese Funktion nicht mehr wahrnehmen können und stattdessen zu einer Quelle der Angst und der Bedrohung werden“, erklärt White. Auch die Zeit spiele eine Rolle und wie oft solche Misshandlungen erlebt werden.
Die Forschung spricht von der sogenannten Traumalast: „Traumatische Erfahrungen können sich im Laufe des Lebens aufsummieren“, sagt Psychologin Kolassa. Wenn missbräuchliches Verhalten wiederholt oder dauerhaft stattfindet, steige die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Erkrankung – gerade bei Kindern.

zitiert nach Alexander Steininger, tagesschau.de

Auswirkungen auf das Gehirn

Der Psychiater Udo Dannlowski von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Münster weist in dem Tagesschau-Beitrag darauf hin, dass psychische Gewalt auch Hirnstrukturen schädigen kann, vor allem bei Kindern. Er sagt: „Der Hippocampus – der wichtig für unsere Emotionsregulation und die Gedächtnisbildung ist – besitzt besonders viele Rezeptoren für das Stresshormon Cortisol. Und wenn Kinder dauerhaft Stress empfinden, kann das toxische Folgen haben für dieses Hirnareal.“

Mögliche Folgen könnten unter anderem sein, dass der Hippocampus nicht mehr gut wächst und hinsichtlich seines Volumens verringert ist. Ferner scheint eine Hyperresponsivität, also eine erhöhte Reaktivität der Amygdala, die als Angst- oder Alarmzentrum im Gehirn zu verstehen ist, eine mögliche Folge zu sein.

Dr. Martin H. Teicher und seine Forschungskolleg:innen vom McLean Hospital, der Harvard Medical School und der Northeastern University zeigten in einer MRI-Studie Unterschiede in der Gehirnstruktur bei jungen Erwachsenen, welche in der Kindheit Missbrauch und Vernachlässigung erfahren hatten. Die Ergebnisse veranschaulichen, dass Misshandlungen unter anderem mit Veränderungen in den Bereichen für Emotionsregulation, selbstbezogenem Denken, Selbstaufmerksamkeit, internaler emotionaler Wahrnehmung sowie dem akkuraten Zuschreiben von Gedanken und Absichten bei anderen zusammenhängen können.

Maltreatment was associated with decreased centrality in regions involved in emotional regulation and ability to accurately attribute thoughts or intentions to others and with enhanced centrality in regions involved in internal emotional perception, self-referential thinking, and self-awareness. This may provide a potential mechanism for how maltreatment increases risk for psychopathology.

zitiert nach Teicher et al. (2013)

Weitere körperliche Folgen von Traumatisierung

DNA-Darstellung blaue Balken und rote Striche

Traumatisierungen in der Kindheit können sich auch auf somatischer Ebene wie zum Beispiel in der Epigenetik zeigen. © Micah Baldwin under cc

Neben den Auswirkungen auf das Gehirn zeigen weitere Studien, die Prof. Dr. med. Paul L. Plener vom Universitätsklinikum Ulm zusammenfasst, auch epigenetische Veränderungen durch eine Traumatisierung oder starkes Stresserleben sowie Einflüsse auf das Immunsystem.

Neue Forschungserkenntnisse legen nahe, dass eine Traumatisierung bestimmte Risikogene aktivieren kann. Die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen könnte dadurch steigen. Der Wissenschaftsjournalist Frank Luerweg resümiert für den Spektrum der Wissenschaft Verlag wie folgt: „Traumatische Ereignisse in der frühen Kindheit können die fein abgestimmte Regulation offenbar aus dem Ruder laufen lassen. Denn Studien zeigen, dass bei einem Teil der misshandelten Kinder das FKBP5-Gen an bestimmten Positionen schwächer methyliert ist, wodurch es vermutlich dauerhaft überaktiv ist. Bei den Betroffenen sorgt das für eine lang andauernde Stressantwort. Und die erhöht wiederum das Risiko, eine Angsterkrankung oder Depression zu entwickeln. …“

Chronisches Schmerzrisiko erhöht

Andere Studien verdeutlichen, wer in der Kindheit vernachlässigt, misshandelt oder gemobbt wurde, der hat im Erwachsenenalter offenbar häufiger mit einem höheren Risiko für chronische Schmerzzustände zu tun. Gemäß einer Studie war der empfundene Schmerz bei unter anderem Rücken- und Kopfschmerzen umso mehr ausgeprägt, je mehr negative Erfahrungen in der Kindheit (gemessen mit dem Childhood Trauma Questionnaire) angegeben wurden. Außerdem lagen die größten Effektstärken bei emotionalem Missbrauch vor. In einer weiteren Studie gaben 34,2 % der Betroffenen mit episodischem Spannungskopfschmerz und 40,2 % der Migräne-Betroffenen mindestens eine Form der Misshandlung in der Kindheit an. Zusätzliche Berechnungen deuten auf einen Zusammenhang zwischen Angst, Depressionen und Kopfschmerzen hin.

Auswirkung der Traumatisierung für die Betroffenen

Das Nervensystem bei Personen, die in der Kindheit einer Traumatisierung oder starkem Stresserleben ausgesetzt waren, kann von einer Dysregulation betroffen sein. Man befindet sich sozusagen schneller in Alarmbereitschaft. Vermehrte Ängste und Sorgen, katastrophisierendes Denken, erhöhte Wachsamkeit, stärkere emotionale Reaktionen, übertriebene Euphorie, Dissoziationen (also das Abspalten von Erinnerungen, emotionalen Eindrücken etc.), Verdrängungen, emotionale Taubheit sowie ein negativer Blick auf die Welt können damit in Zusammenhang stehen. Bereits kleine Auslöser können mitunter zu einem starken Stresserleben führen.

Somatische Veränderungen bei Symptomverbesserung

Es gibt erste Studienhinweise darauf, dass eine erfolgreiche psychotherapeutische Arbeit nicht nur auf der Ebene des Erlebens und Verhaltens, sondern auch auf somatischer Ebene Wirkung zeigen kann. Dies zeigt eine Studie in Bezug auf die Absolvierung einer sechswöchigen Verhaltenstherapie, bei der sich im Anschluss die Symptome bei verschiedenen Patientinnen deutlich verringerten und parallel dazu auch eine Veränderung auf epigenetischer Ebene zu beobachten war. Die Professorin Katharina Domschke von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Freiburg wird vom Spektrum der Wissenschaft Verlag hinsichtlich der Veränderungen bei den therapierten Frauen wie folgt zitiert:

Nach der Behandlung unterschied sich ihr MAOA-Gen in epigenetischer Hinsicht nicht mehr von dem gesunder Frauen. »Wir haben also erste Hinweise darauf, dass eine erfolgreiche Psychotherapie die Hypomethylierung womöglich rückgängig machen kann«, resümiert die Freiburger Professorin.

zitiert nach Frank Luerweg, Spektrum der Wissenschaft Verlag

Insgesamt ist die Forschung dazu noch verhältnismäßig jung und es benötigt weitere Studien zu diesem Thema. Betroffene sollten sich verdeutlichen, dass sie mit ihrer Problematik nicht allein sind. Leider sind auch heutzutage körperliche, sexuelle und emotionale Gewalt weit verbreitet. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Auswirkungen von Misshandlungen aufgearbeitet werden können und sie kein umumkehrbarer oder unüberwindbarer Schicksalsschlag sind. Die psychischen Prozesse sind veränderbar.

Neuronale Plastizität: Veränderung ist möglich!

untere Gesichtshälfte einer lächelnden Frau

Trotz einer belasteten Kindheit ist durch die seelische Aufarbeitung ein unbeschwertes Leben möglich. © Jacob Bøtter under cc

Dieser Artikel soll Mut machen, weil er bewusst machen soll, dass psychische Belastungen kein individueller Mangel sind, sondern häufig die Folge von Traumatisierung sein können. Es ist nicht die Schuld der Betroffenen, sich so zu fühlen, wie sie sich fühlen.

Die Plastizität des Gehirns und Nervensystems sorgt dafür, dass die Verknüpfungen nicht starr und invariabel sind, sondern sich lebenslang, etwa durch Lernen und Umgewöhnen, verändern können. Auch eine „Beruhigung“ des Nervensystems mit einem Rückgang von Ängsten, Grübeleien, Katastrophendenken etc. zeigt sich im Zuge der seelischen Aufarbeitung und Heilung. Mit der richtigen Anleitung und viel Geduld mit sich selbst kann eine Verbesserung des seelischen Erlebens sowie eine ruhigere emotionale Baseline erreicht werden. Psychische Veränderungsprozesse können manchmal eine lange Zeit benötigen, dennoch geschehen sie.

Unsere größten Ängste sind die Drachen, die unsere tiefsten Schätze bewahren.

Das Zitat wird zumeist Rainer Maria Rilke zugeschrieben.

Viele kämpfen nahezu tagtäglich mit ihren inneren Drachen, in der Hoffnung, sie eines Tages zu bezwingen. Damit sie an die Schatzkammer der in ihnen verborgenen Kompetenzen gelangen. Doch das geht nicht von Heute auf Morgen. Der Prozess der Heilung von einer Traumatisierung ist harte Arbeit, die mit einigen Rückschlägen, Resignation, scheinbaren Mini-Schritten und immer neuer Hoffnung einhergehen kann. Genau diese Kämpfe mit den Drachen mögen Betroffene zwar zunächst schwächen, doch insgesamt sorgen sie für ein Stärkerwerden. Auch wenn man es vielleicht zunächst nicht bemerkt.

Einige Anhaltspunkte dazu, die jedoch keinesfalls die Komplexität einer Psychotherapie ersetzen können, finden sich hier:

Destruktives Denken schadet dem Selbstwert – Raus aus der Denkfalle (2)

Ständig Grübeln: Aus dem Gedankenkarussell aussteigen – Sorgen und Grübeln (2)

Glaubenssatz auflösen: »Ich bin nicht gut genug« – Wie es funktioniert

Trennung, Angst, Minderwert: Wie geht loslassen? – Seelischen Ballast loswerden (2)

Anmerkung: Psychologische Beiträge im Internet ersetzen keine psychotherapeutische Behandlung, Krisenintervention oder psychologische Beratung. Bei einer akuten psychischen Krise sowie Gedanken an eine mögliche Selbst- und Fremdgefährdung wende dich bitte an den Notruf (112), den ärztlichen Bereitschaftsdienst (Tel. 116117) oder an Kriseninterventionsdienste.