Irgendwann im Leben macht man sich Gedanken über die Frage, wie alles begann.
Bereits hier kann man einhaken und fragen: Was denn? Alles ist ja etwas viel und unpräzise. Stimmt, doch genau das ist hier gemeint. Wie hat das überhaupt alles angefangen, das Leben, der Kosmos, wie trat zum ersten Mal etwas in die Existenz? Aber auch da kann man denken, nette Frage, aber im Grunde geklärt.
Urknall
Der Urknall war’s. Sicher ist da noch nicht jedes Detail erforscht, aber die Geschichte ist in groben Umrissen bekannt und die Frage kann beantwortet werden. Blickt man aber nicht auf unbekannte Details, sondern auf sich logisch ergebende Fragen, dann stößt man auf Unwuchten. Fragt man zum Beispiel was denn vor dem Urknall war, so hört man oft, die Frage sei sinnlos, denn mit dem Urknall sei auch die Zeit erst entstanden und eine Frage nach einer Zeit vor der Zeit ist sicher widersprüchlich.
Es gibt allerdings auch ein logisches Davor und die Frage danach, was denn da so explosionsartig in die Existenz drängte kann schon gestellt werden. Gemäß der berühmtesten Formel können Materie und Energie ineinander umgewandelt werden und hier tritt man auf der Stelle. Materie oder Energie müssen dann irgendwie schon da gewesen sein, immer. Aber wo eigentlich? Warum sie dann plötzlich explodierten, ist unklar, aber warum sie überhaupt da sind ist kein bisschen klarer. Es gibt sie halt. ‚Es gibt‘-Aussagen heißen in der Philosophie Existenzaussagen und haben die Eigenschaft prinzipiell nicht widerlegbar oder falsifizierbar zu sein.
Die prinzipielle Möglichkeit Behauptungen oder Theorien zu falsifizieren ist eine Bedingung der Wissenschaft. An der Quelle der Wissenschaft stehen also unwissenschaftliche Behauptungen, solche, die nicht widerlegt werden können, die geglaubt werden müssen. Man kann dennoch behaupten, diese Rekonstruktion sei überzeugender als jede andere Erzählung, wären da nicht weitere Unwuchten gerade in der Kosmologie, deren Theorien sehr uneinheitlich sind und die die Fragen nach dem Anfang gerade dann nicht klären können, wenn die Kosmolologie weitgehend richtig liegt, aufgrund des Informationsverlustes.
Gott
Eine Erklärungslücke, in die die Religion stoßen kann? Auch die Religion kann vieles nicht erklären, setzt aber auf einen anderen Ansatz, nämlich den Glauben. Gott wird dann zum Schöpfer, wie er das genau gemacht hat, braucht uns nicht zu interessieren. Wir können es vielleicht auch nicht verstehen, müssen es aber auch nicht, gerade dafür gibt es ja Gott, der allmächtig, allwissend und allliebend ist.
Der Glaube ist in Europa aktuell ein Auslaufmodell, weltweit wächst er. Auch wenn gläubigen Menschen Gott als Begründung reicht und reichen darf (es eine Gnade ist, glauben zu können), kann man schauen, was es bedeutet, wenn man Gott sozusagen als Prämisse setzt. Ebenso kann man fragen, wo Gott denn her kommt. Weitere Fragen sind, wie das Böse in die Welt kommt, spezieller auch die der Theodizee, wie also Gott massives Leid und Unglück zulassen können. Man muss sich damit begnügen, dass Gottes Wege für uns nicht immer zu durchschauen sind, was in sich stimmig, aber auch keine Antwort ist, die jeden befriedigt.
Deshalb wurde Gott, vor allem in Europa fundamental infrage gestellt, als Projektion angesehen und vermutlich durch den massiven Fortschritt im Alltag, im Laufe der industriellen Revolution für immer mehr Menschen überflüssig. Weil die Erklärungen und Praktiken, die aus Wissenschaft und Technik resultierten, verlässlich waren. Eine in Teilen sagenhafte Erfolgsgeschichte, die eventuell gerade ihr Ende findet und zwar wieder auf den Ebenen der Erklärungen und Praktiken.
In Orientierung: Gott ist tot! Und die Wissenschaft verwundet! sind wir darauf näher eingegangen, doch es gibt noch einen ganz anderen Ansatz.
Ich
Man kann die Erzählungen von Gott und vom Urknall rekonstruieren und ohne sich in der Frage festlegen zu müssen, kann man eine ganz andere Fährte verfolgen, indem man fragt, wer diese Geschichten eigentlich rekonstruiert. Auf der anderen Seite jeder Erzählung, sei sie eine Offenbarung, eine Theorie, eine plausible Erklärung, finden wir immer ein Subjekt.
Es gibt diesen Moment an dem bestimmte rudimentäre Selbstkonzepte, über die man verfügen muss, wenn man in der Welt leben will, zu einem Bewusstsein von sich selbst erwacht sind. Ein fundamentaler Schritt, denn nun laufen in biologischen Wesen nicht einfach nur Programme ab, die der Bioorganismus, durch innere Gestimmtheiten und äußere Reize getriggert, ausführt. Ob gefühlt, gewusst oder geahnt, auf einmal ist ein Bewusstsein von sich selbst, davon, dass man anders ist, dass man jemand, ist in der Welt.
In dem Moment entstehen im Universum auf diese Art und Weise aber erst ich und der andere, ich und Welt. Man ist noch immer eingebunden in die Um- und Mitwelt, aus der man stammt und doch steht man qua dieser Entdeckung des Selbst auf einmal ein Stück weit außen vor. Natürlich nicht im Sinne der Ontologie, des Sein, man ist ja noch immer Teil der Welt aus der man stammt, sondern aufgrund der Fähigkeit zur Reflexion. Man ist Beobachter und Teilnehmer.
Der Moment des gleichursprünglichen Anfangs von Selbst- und Welterkenntnis ist ein anderer Anfang, als der historische, der mit Gott oder dem Urknall markiert ist.
Wir haben zwar einen Anfang gefunden, aber dieser setzt notwendig andere voraus.
Sprache und Du
Wir wissen nicht, wie sich ein rudimentäres Ich-Bewusstsein genau anfühlt. Aber wir wissen, dass Tiere und kleine Kinder darüber verfügen. Ein richtiger Turbo, besonders auf der Ebene der Entwicklung der Abstraktion, der Theorie, der Möglichkeiten ist die Sprache. Die Sprache ist nun nicht einfach an Etikett, das wir an etwas kleben, was sowieso da ist, äußerlich Wolken, Autos und Hunde, innerlich Wut, Schmerz und Freude.
Mit der Sprache erschließen wir uns unsere Innenwelt. Sie ist nicht einfach schon fertig da und wird benannt, sondern wir tasten uns in sie und damit in uns selbst vor. Sie wird konstruiert durch die Erklärungen der anderen. Wir können Angst und Lust, Schmerz und Geborgenheit empfinden, aber wir müssen unsere Gefühle gedeutet bekommen, um zu wissen, dass es Schmerz ist, den wir gerade empfinden. Dieses Wissen ist aber nicht einfach ein Benennen von dem was ohnehin schon da ist, sondern es ermöglicht uns, uns selbst und die Welt zu verstehen, weil nicht nur Worte gelernt werden, sondern Begriffe. Das ist der situationsadäquate Einsatz dieser Worte und damit gleichzeitig eine normative Praxis und eine emotionale Verknüpftheit und wie in Spitzenaffekte ausgeführt, ist das immens wichtig.
Das heißt aber auch, dass uns (oder vielleicht sogar dem Kosmos) im Ich Welt zum ersten Mal bewusst wird, als dieses Ich. Doch gleichzeitig müssen wir abermals rekonstruierend erkennen, dass dem Ich notwendigerweise eine Sprachgemeinschaft, ein Du vorausgeht und natürlich Welt. Die historische und logische Abfolge greifen hier ineinander. Auch das Ich ist kein Anfang, aber andererseits setzen vernünftig sprechende andere ihrerseits voraus, dass sie ein Ich sind.
Phänomenologie
Die philosophische Strömung der Phänomenologie sagt, dass wir Erkenntnisse aus den Erscheinungen selbst gewinnen. Was wir zur Verfügung haben ist das, was uns erscheint und mehr gibt es nicht, was wir untersuchen könnten. Doch auch hier ist es schwierig einen Anfangspunkt zu finden. Ein Vertreter der Phänomenologie ist Edmund Husserl, der den Psychologismus kritisiert. Kurz gesagt, sieht er die Logik den empirischen Erkenntnissen vorgeordnet, allerdings ergibt sich daraus die Frage, wo die Logik denn herkommt, wenn nicht aus dem menschlichen Geist. Wenn sie ganz woanders wohnt und wirkt, wie interagiert sie dann mit der empirischen Welt?
Manche Lesarten der Phänomenologie gehen so weit den Existenzcharakter der Realität infrage zu stellen, in der Auffassung, die Realität können man nicht erkennen, sondern immer nur das, was man wahrnimmt und dies sei nicht die Realität. Zumeist bleibt jedoch unklar oder unterbestimmt was die Realität sein soll und warum man meint, sie nicht erkennen zu können.
Aber die Phänomenologie kennt immerhin schon mal unsere Eingebundenheit in verschiedene Welten. Der umstandslose Rückgriff auf eine bereits gegebene, empirische Welt, die alles erklären soll und mit dem Urknall begann, wird hier hinterfragt.
Spiritualität
Spiritualität ist kein religiöser Glaube, sondern eine Praxis. In ihr kann man sich der Frage, wie alles begann noch einmal ganz anders annähern. Im Rahmen spiritueller Erfahrungen können die Grundüberzeugungen, mit und nach denen wir leben, infrage gestellt werden. Ob diese eine Produktion des Gehirns sind, also eine Variante der Urknall Geschichte, ist unklar und führt uns wieder im Bogen auf die obigen Fragen zurück.
Zeit, Raum und Ich, so wie die Verläufe bekannter Grenzen der Wahrnehmung können in der spirituellen Praxis manchmal anders erscheinen, als wir es gewohnt sind. Die gelegentliche Wucht dieser Erfahrungen sind für den, der sie erlebt, im hohen Maße überzeugend, so dass eine zu skeptizistische oder konventionelle Einordnung des Erlebten, denen, die es erlebten ein wenig wie ein kategorialer Fehlschluss erscheint.
Die Heimat, die uns Mystiker anbieten hat weit weniger mit dem Süßlichen zu tun, als gewöhnlich gedacht wird.
Alltag und Fazit
Im Alltag spielt die Frage, wie alles begann keine große Rolle. Uns interessieren hier in der Regel nur eine bestimmte, zeitlich überschaubare Linien: Wie geschah der Unfall? Wie haben wir uns kennen gelernt? Wie alles begann, in diesem absoluten Sinne interessiert hier weniger, dennoch sind es die großen Fragen der Menschheit, die uns alle mal mehr oder weniger streifen, wenn wir Zeit zum Nachdenken finden. Alle genannten Ansätze geben uns Teilantworten, aber vermutlich keiner die ganze Antwort.
Zu unserer Identität gehört es, dass wir wissen wollen wo wir herkommen. Sind die oftmals keinesfalls banalen Fragen nach der Herkunft aus Familie, Land und Tradition geklärt, stellen sich Fragen, die darüber hinausgehen. Was uns alle verbindet, wo wir all herkommen und eben, wie alles begann.
Darauf gibt es sehr verschiedene Antworten. Sobald der Mensch in der Lage ist bestimmte Theorien zu entwickeln, beginnt er ernsthaft zu fragen, ob die Welt, aus der er stammt überhaupt existiert. Das ist seltsam. In anderen Ansätzen wird jede Menge funktional erklärt, doch am Ende ist der Mensch vor lauter Funktionen nicht mehr zu erkennen. Da auf der anderen Seite einer Theorie immer ein Subjekt steht, ist das nicht weniger seltsam.