tibetisches Mandala

Nach der Expansion geht es zurück und der weite Weg nach innen beginnt. © Cea under cc

Wir sind es gewohnt, Innen- und Außenwelt zu unterscheiden, was voraussetzt, dass der weite Weg nach innen bereits ein Stück weit beschritten ist.

Im Grunde ist die Unterscheidung von innen und außen ein künstlicher Akt, denn wir selbst erleben nur eine Welt. Zwar gibt es Gefühle und Gedanken, Wetter und Straßenverkehr, Träume und Befürchtungen, Gesetze und Absprachen, aber in uns sind diese nicht in unterschiedliche Schubladen einsortiert, sondern gehören zu dem, was wir die Welt nennen, die uns all das und noch viel mehr anbietet.

Ob man bewusst darüber nachdenkt oder es einfach als Normalität kennenlernt, man weiß irgendwann, dass der Baum da von allen, die in seiner Nähe sind, gesehen werden kann, meine Gedanken kann jedoch nur ich wahrnehmen, sie sind privater Natur. Wie weit das geht, darüber könnte man lange reden, es soll hier nicht das Thema sein. Uns geht es um diesen Raum des Inneren und was ihn eigentlich ausmacht.

Was erscheint, wenn wir uns nach innen wenden?

Wie erwähnt, liegen innen und außen bei uns bereits gemischt vor, in etlichen Nuancierungen. Wir erleben etwas von da draußen und haben zugleich bestimmte Gefühle und Gedanken dazu. Vielleicht tragen sie uns für Minuten oder Stunden davon, manchmal sind sie so unbedeutend, dass wir sie kaum wahrnehmen. Aber es geht auch anders herum, indem wir nämlich unsere Innenwelt auf die äußere übertragen, was dann in der Psychologie Projektion genannt wird.

Entwicklungsgeschichtlich muss es aber mal ein erstes Innen gegeben haben. Ganz am Anfang könnte die Empfindung gestanden haben, dass wir uns unseres abgegrenzten Soseins bewusst sind. Eine nonverbale Erfahrung von: Ich kann auch anders. Indem man einfach etwas tut, was andere nicht tun und merkt, dass man es anders macht. Die Gründung eines Ich, noch ohne Worte, insofern kann man diese Erfahrung sprachlich nicht darstellen.

Der nächste Schritt ist der, dass man weiß, was man tut. Auch das ist für uns bereits vollkommen selbstverständlich, wir wissen, was wir wollen, können Gründe dafür angeben, selbst dann, wenn sie nicht unbedingt stimmen, aber dazu gleich mehr. Dies nur, um den zweiten Schritt auf dem langen Weg nach innen zu markieren.

Denn schon der dritte Schritt ist nicht mehr selbstverständlich. Er besteht darin, eine Idee zu haben, warum wir tun, was wir tun. Mit anderen Worten nicht nur denken, sondern reflexiv denken zu können. Auch die Antwort „Weil man es mir gesagt hat“, ist eine adäquate Antwort, man weiß dann, warum man etwas tut, gewöhnlich wird man aber schon in jungen Jahren mit der Frage konfrontiert, ob man denn alles tun würde, was anderen einem sagen. Meistens in der Form von: „Und wenn man dir sagt, dass du aus dem Fenster springen sollst, dann springst du aus dem Fenster?“

Was uns zu der Frage führt, ob man eigentlich eigene gute Gründe für das vorbringen kann, was man tut. Beziehungsweise, man steht erst mal in einer Spannung und sieht sich genötigt, über die aufgeworfene Frage nachzudenken. Würde ich alles tun, was man mir sagt? Kaum einer würde das mit ‚Ja‘ beantworten, aber wo zieht man eigentlich die Grenze? Und warum gerade an der Stelle und nicht an einer anderen?

Dieser dritte Schritt auf dem weiten Weg nach innen ist einer, der einen sehr hohen Grad an Komplexität ins Spiel bringt, weil er mir erlaubt, alles zu hinterfragen. Das kann verwirren, ist aber auf der anderen Seite der Weg in die geistige Freiheit. Dass ich alles hinterfragen kann, heißt nicht, dass ich alles hinterfragen muss. Aber wie bei jedem Spielzeug will man auch hier oft die Möglichkeiten und Grenzen austesten.

Wenn Reflexion nicht zum albernen Spiel wird, mit dem man andere nervt und sich selbst blockiert, hat man damit ein Werkzeug an der Hand, mit dem man sich und anderen Rechenschaft ablegen kann, warum man eigentlich die Einstellung vertritt, die man hat. Manchmal stößt man dabei auf innere Widersprüche, die man auf diesem Weg klären und ausräumen kann.

Die Fähigkeit zur Reflexion ist etwas, die uns selbst ein Bedürfnis ist, ‚das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen‘ ist das, was uns Menschen definiert und eint. Freuds Einstieg in die Psychoanalyse war die Beobachtung, dass wir auch dann gute Gründe für unsere Handlungen angeben, wenn sie nicht von uns initiiert wurden, sondern in diesem historischen Fall, durch Hypnose-Experimente. Wir wollen das Gefühl haben, dass wir wissen, warum wir tun, was wir tun.

Der Vorstoß in therapeutische Dimensionen

Es gibt viele verschiedene Arten von Psychotherapie, darunter jene, die die Reflexion bemühen. Die Grundstruktur dieser Therapieformen liegt in der Deutung von Symptomen. Diese Deutung kann nicht einfach übergestülpt werden, so dass man sie als Idee glaubt und sich selbst dann einfach eine andere Geschichte erzählt, als vor der Therapie. Das passiert in der Regel auch nicht, denn dazwischen liegt das, was man Deutungswiderstand nennt. Das ist nichts anders, als die Ablehnung einer Deutung, die dem Patienten vollkommen falsch erscheint.

Da aber auch Therapeuten Gründe für ihre Deutungen haben, kommt es zu einem anstrengenden Konflikt für Patienten. Entweder ist der Therapeut vollkommen inkompetent – aber was würde das dann für die Therapie bedeuten? – oder er hat recht – und was würde das dann für meine Sicht auf die Welt bedeuten? Der Deutungswiderstand tritt auf, weil man an einer Stelle angekommen ist, bei der ungeheuer viel Lebensgeschichte umgeschrieben und neu bewertet werden müsste.

Das Angebot der Therapie ist, dass die Deutung das zusammen bringt, was im Leben der Patientin irgendwie quer steht: die eigene Lebensgeschichte, in der man sich auf eine bestimmte Art und Weise sieht und die Sicht der Therapeutin, die diese Lebensgeschichte neu deutet, in einer Weise, die auch die Symptome der Patientin einbezieht.

Die Deutung ist nichts, was einfach übernommen werden soll, sondern ein Angebot, wie man die eigene Lebensgeschichte auch sehen könnte. Wenn sie trotz aller ersten Widerstände (die auch Wochen oder Monate dauern können) überzeugender wirkt, als die eigene Geschichte, ist man einen Schritt weiter. Die Fähigkeit, die man dazu haben muss, ist nicht nur die der Reflexion, sondern auch die, fremde Geschichten, andere Deutungen bewusst in die Geschichte meines Lebens einzubauen. Das ändert meine Sicht auf die Welt, meine Beziehungen und mich selbst und das ist kein rein virtueller Akt, sondern etwas, was unser Selbstbild erheblich verändern kann und uns zwingt, gravierende Teile unserer Lebensgeschichte neu zu erzählen und zu bewerten.

Dies zu können, kann zu einer Reduktion an Spannungen und Symptomen führen und ist ein sehr komplexer Akt in der eigenen Innenwelt, der einen hohen Grad an Abstraktionsvermögen erfordert. Aber da viele Menschen von einer Therapie, die Selbstreflexion in Anspruch nimmt, profitieren, ist dieser Akt der Reflexion etwas, was in der Praxis vielen Menschen gelingt. Der weite Weg nach innen ist um einen Schritt erweitert.

Der Aufbruch in meditative Bereiche

Wer schon einmal meditiert hat, weiß, dass in dem Moment, wo man die Außenreize und Aktivitäten immer mehr reduziert, nicht nichts passiert, sondern sogar jede Menge. Die Gedanken scheinen eine Art Eigenleben zu führen, man kann nahezu beobachten, wie sie etwas suchen, auf das sie sich stürzen können, um den, der denkt, mit auf eine Reise irgendwo hin zu nehmen.

Doch mit der Zeit kehrt etwas Ruhe ein, das Gedankenkarussell dreht sich langsamer, manchmal kommt es fast zum Stillstand und immer wieder gibt es auch Tage, an denen man Achterbahn fährt. Doch dann auch solche, an denen man die Gedanken einfach passiv beobachtet, ohne sich von ihnen mitreißen zu lassen. Sie sind da, man registriert es und sieht dann auch, wie sie wieder austrudeln.

Manchmal kann man ihnen sogar bis zum Entstehungsort folgen, erlebt, wie die Gedanken auf einmal, wie aus dem Nichts aufsteigen. Aber wer denkt da eigentlich, wenn man selbst nur da sitzt und beobachtet? Vielleicht läuft beides parallel ab, die Entstehung von Gedanken und ihre Beobachtung? Auf jeden Fall haben wir die Möglichkeit, Gedanken einerseits halbwegs bewusst zu steuern, wenn wir uns auf einen bestimmten Gedankengang konzentieren. Auf der anderen Seite entstehen manche Gedanken spontan und fast irgendwie ohne uns, ein Spiel der freien Assoziation oder Reaktion auf Wahrnehmungen. Etwa Geräusche, denen wir dann gedanklich nachghehen: Was mag das gewesen sein?

Mit der Zeit kann sich das beruhigen, wenn man meditiert und die Gedanken nur noch kurz aufblitzen, aber dann auch schnell wieder vergehen, wenn man sie nicht beachtet. Dasselbe mit Gefühlen und Körperempfindungen oder Reaktionen auf Außenreize. Sehr weit fortgeschrittene Meister der Meditation regaieren so gut wie gar nicht mehr, selbst wenn in ihrer unmittelbaren Nähe ein lauter Knall ertönt.

Doch auch, wenn man bei der absichtslosen Meditation immer mehr von dem was ist beobachtet und den Fokus maximal weit stellt, so steht noch immer ein Zeuge, dem was entsteht und vergeht, gegenüber, man bleibt den Objekten verhaftet, auch wenn es jene sind, die aus dem eigenen Bewusstsein kommen, wie die immer wieder aufblitzenden Gedanken.

Wer beobachtet das alles?

Ein Weg, der hinter die Objekte zurückgeht, ist jener, der fragt, wer das alles beobachtet. Ich bin es. Folgt man diesem Ich, findet man eher heraus, wer man nicht ist, denn ich bin auch dann noch, wenn ich meine Gedanken, Gefühle, Empfindungen und Wahrnehmungen bezeugen kann. Wenn all das, was ich bin, bezeugt werden kann, wer bin ich dann eigentlich wirklich oder wer beobachtet das alles?

Der Zeuge, sagen manche, aber wer oder was ist nun wieder das? Es steht ja noch immer ein Beobachter einer Reihe von Phänomenen gegenüber, die durch ihn beobachtet werden. Selbst Gefühle der Einheit, der Transzendenz, des Glücks oder des Verlöschens aller Eindrücke gehen vorüber und wenn das der Fall ist, hat man wieder ein Subjekt-Objekt Spaltung. Nun könnte es sein, dass genau das unsere Natur ist: eine Spaltung von etwas oder jemandem (irgendwo da drinnen), der Objekte oder Phänomene (da draußen) beobachtet, bezeugt oder wahrnimmt.

Aber andere sagen, dass der weite Weg nach innen hier noch nicht beendet ist und man dafür konsequent und immer wieder den Beobachter selbst betrachten muss. Nicht die Objekte, wie verlockend sie auch immer sein mögen, sondern das Subjekt. In dem Moment, wo man dies näher untersucht und die Phänomene konsequent ignoriert, geht man gewissermaßen die Wurzel der Spaltung an.

Wer beobachtet? Ich. Wer ist dieses Ich? Jemand, der dies oder das gerade sieht, hört oder denkt. Bin ich auch noch, wenn ich nicht sehe, höre oder denke? Ja. Woher weiß ich das? Man erlebt es jede Nacht im traumlosen Tiefschlaf. Was erlebt man da? Nichts, dennoch ist man. Man braucht sich die Existenz in dieser Zeit nicht von anderen bezeugen zu lassen, man merkt selbst, dass man geschlafen hat. Nur hat man dort nichts erlebt, weil da eben niemand ist, der etwas erlebt. Kein Ich, keine Welt, aber Sein, Existenz. Man kann mit Übung diesen Zustand des reinen Seins auf bewusst erleben und das ist es, worum es bei diesem Ansatz geht.

Denn, damit sind wir fast am Ende der Reise, der weite Weg nach innen kennt nur noch einen letzten Schritt. Wenn es durch konstante Übung gelingt, das Ich und auch den Zeugen aufzulösen, ist auch der Dualismus beendet. Kein Subjekt mehr, das Objekten gegenüber steht. Was bleibt, ist das Selbst, genau eines. Wenn das Ich sich auflöst, löst auch Welt sich auf. Alle Gedanken, dass da aber doch immer noch etwas da ist, wenn das Ich weg ist, beziehen sich wieder darauf, dass jemand sagt, dass Baum und Lampe aber doch erhalten bleiben und man sie noch immer sehen kann. Was eine Version des Ich ist, das irgendwo da draußen Objekte sieht. Ohne Trennung von Ich und Welt gibt es keine Obejekte, weil es kein draußen gibt.

Ist die Hinwendung auf das Innen eigentlich eine Reduktion oder eine Erweiterung?

Auf der einen Seite kann man argumentieren, dass die Wendung nach innen die Welt reicher macht, denn nun gibt es nicht nur Welt da draußen, sondern eine immer reichere Innenwelt mit Reflexionen und Beobachtungen kommt hinzu.

Ebenso gut kann man sagen, dass, wenn man weiter geht, ja immer mehr Erleben wegfällt, bis am Ende rein gar nichts mehr übrig bleibt oder zumindest übrig zu bleiben scheint. Wenn das Ich tatsächlich eine Illusion ist, dann war das, was mit ihm entstand, nie da, sondern das Produkt dieser illusionären Trennung. Diese Trennung könnte man dann aber als eine Form der Abspaltung, der Dissoziation ansehen, die selbst nur eine Reduktion des großen Ganzen wäre. Die Rückkehr in die Einheit, wäre in jedem Fall eine Rückkehr zu mehr, als die Abspaltung sein kann.

Diese Einheit ist oft beschrieben worden, phänomenologisch besteht kaum ein Zweifel an ihrer Existenz und die wäre ein legitimes Ende der Reise. Der weite Weg nach innen ist gegangen, nur sind wir nicht so weit, eine Ahnung zu haben, wie man das alles erklären soll. Doch überall steht man vor Durchbrüchen, die im Grunde ziemlich abgefahren sind und es ist nach wie vor so, dass die Kosmologie und das Bewusstsein vermutlich die größten Rätsel beherbergen.