Nehmen wir mal an, die Frauen würden als umtriebig, zügellos und sexuell leicht verführbar gelten. Und nehmen wir ferner an, die Männer wären jene, die ihre Triebe im Griff hätten. Kontrolliert, streng, ernsthaft. Unvorstellbar? Nicht ganz. Denn noch vor wenigen Jahrhunderten lauteten die Annahmen über die beherrschbare männliche und freizügige weibliche Lust genau so!
In einem Handbuch für Inquisitoren aus dem 15. Jahrhundert heißt es: »Die Fleischeslust (…) von Frauen ist maßlos.«
Was macht bloß die Kultur im Kopf?
Männer seien fähig, hochintellektuelle Freundschaften zu pflegen, Frauen eher nicht … So hieß es damals. Aber irgendwann fing das Lesen an …
»Frauen lesen, um zu leben, nicht selten auch, um zu überleben«, sagt der Bestseller-Autor Stefan Bollmann … erzählt vom lebensbedrohlichen Einfluss, den Goethes »Leiden des jungen Werthers« auf junge Männer hatte, porträtiert so bedeutende Autorinnen wie Caroline Schlegel-Schelling, Jane Austen und die Frankenstein-Erfinderin Mary Shelley und berichtet vom literarischen Ehebruch Madame Bovarys.
Unzählige Jahrhunderte lang waren flächendeckende Bildung und Lesen vornehmlich den Männern vorbehalten. Doch dieser Umstand änderte sich rasant aufgrund einiger weiblicher Vorreiterinnen wie Austen und Co. Frauen bildeten sich über Bücher, kommunizierten über Themen, die bis dato undenkbar waren – die Emanzipation nahm weiter Fahrt auf. Die weibliche Lust ebenso …
Frauen sind gebildet UND haben Bock auf Sex!
Heute, im einundzwanzigsten Jahrhundert, können wir noch einen Schritt weitergehen – wieder mittels Schrift-Medium, online in unserem Fall. Frauen können auf eigenen Beinen stehen; Frauen können aktiv für die Befriedigung ihrer Lust sorgen. Punkt! So wie sich die Gesellschaft viele Jahrhunderte verständnisvoll nach männlichen Vorgaben ausrichtete, kann sie es auch zukünftig ebenso für die Frau tun. Dann sind wir wirklicher Gleichberechtigung einen weiteren Schritt näher gekommen.
Vermutlich wird es Wandlungen im Selbstverständnis der weiblichen Sexualität geben. Vermutlich werden einige offenere Partnerschaftsmodelle sich stärker durchsetzen. Eventuell werden Sex und die Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe auch aus weiblicher Sicht stärker voneinander abgekoppelt. Vielleicht wird mit dem zunehmenden Wertewandel sogar ein Paradigmenwechsel kommen. Es bleibt (zu h)offen.
Frauen wollen weniger Sex mit ihrem Partner: Biologische Ursachen?
Es existieren mehrere Vermutungen, warum bei Frauen mit den partnerschaftlichen Jahren die Lust auf ihre Männer sinkt. Schauen wir mal nach den Ursachen fernab vom stressigen Alltag. Der niederländische Biochemiker Adriaan Tuiten (der mit der Wunderpotenz-Pille für Frauen) bringt die Debatte um weibliche Sexualität – nicht ganz uneigennützig provokant – auf den Höhepunkt:
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir wandeln uns zu einer polygamen Gesellschaft – oder Frauen nehmen meine Pillen.
Die Eroberung des Mannes … Und dann?
Einige Sexualforscher gehen davon aus, dass Frauen ihr Interesse an Sex verlieren, sobald sie den Mann erobert haben. Diesen Schluss lassen auch Beobachtungen aus dem Tierreich zu.
Bei Rhesusaffen zum Beispiel ist auffallend, dass die Weibchen die Führungsrolle im Sexualleben übernehmen. Sie fordern die Männchen aggressiv zum Sex auf. Doch die Äffinnen brauchen Abwechslung. Etwa alle drei Jahre müssen die Forscher die Männchen in der Gruppe durch neue ersetzen. Sonst läuft sexuell nichts mehr.
(Daniel Bergner, Interview im Fokus)
Eigenverantwortung und Kontrolle über den Körper
Viele Männer würden gar nicht glauben, wie häufig ihre Geschlechtsgenossen noch indirekt sexuell übergriffig werden. Indem sie zum Beispiel bockig werden, wenn es mal wieder keinen Sex gibt. Indem sie das »Nein, ich habe heute keine Lust« der Frau versuchen zu umgehen und doch noch ein bisschen weiterfummeln, in der Hoffnung der Schalter bei der Frau würde umgelegt. Indem sie ihre Frauen durch Spott und Belustigung unter Druck setzen oder bloßstellen, weil diese zu wenig Lust auf sie haben. Und nein, das sind keine Einzelfälle. Zuhauf berichten Frauen in der psychologischen Praxis jenes aus Partnerschaften.
Also: Wie soll FRAU sich überhaupt entspannt mit ihrer Lust auseinandersetzen, wenn MANN im Kopf der Frau einen solchen Übergriff vornimmt? Wohlgemerkt: nicht alle Männer. Aber doch mehr, als man im 21. Jh. noch annehmen möchte.
Sollten Sie also zu den Männern gehören, die hin und wieder versuchen, ihre Frauen zum Sex eindringlicher zu »verführen«? Lassen Sie es besser! Ich bin sicher, wenn Sie sich den Gedanken deutlich machen würden, dass Ihre Frau nur um Ihretwillen nachgibt, würden Sie es ebensowenig wollen.
Am wenigsten emanzipiert ist die deutsche Frau im Bett.
(Ursula Herking, Kabarettistin)
Bergab mit der weiblichen Lust: Sex als Partnerschaftsanzeiger
Die Rolle der Frau hat sich in der Gesellschaft rasant verändert. Aber in puncto Sex und Partnerschaft hinkt die Emanzipation bei den meisten noch hinterher. Dafür braucht es feministische Frauen und Männer!
Michael Rosenfeld, Soziologieprofessor an der Stanford University, resümiert nach Auswertung einer Langzeitstudie, dass nach der Hochzeit häufig noch traditionelle Rollenbilder gelebt werden. Anscheinend, so Rosenfeld, verändere sich die Ehe als Institution nicht schnell genug, um den emanzipatorischen Bestrebungen der Frauen gerecht werden zu können. Vor allem seitens der Männer bestünde immer noch die selbstverständliche Annahme, dass Frauen einen Großteil der Hausarbeit und der Kindererziehung übernehmen würden und so folglich größere Einschnitte im Leben haben. Das ist wenig sexy, oder? Eine solche Annahme steht nicht für eine partnerschaftliche Begegnung auf Augenhöhe. Und Augenhöhe fordern die Frauen des 21. Jh.! Demzufolge sind es eben auch die Frauen, die häufiger die Scheidung einreichen und angeben, in der Ehe unglücklicher zu sein.
Narzissmus in der Partnerschaft
Käme zudem noch Narzissmus in der Partnerschaft hinzu, mitsamt Gängelung der Partnerin, mit Silent Treatment, Verwaschung der Wahrnehmung der Frau, Beleidigung und Untergrabung ihrer Integrität, ist der Ofen (bei der Frau) gleich ganz aus. Das tötet die weibliche Lust – die auf ihren Partner zumindest.
Wagen wir mal eine mutige These: Vermutlich könnte ein wirklich und andauernder respektvoller Umgang in der Partnerschaft die Lust der Partnerin stärker erhalten. Vielleicht zudem, wenn man wirkliche Freiräume gewehrt. Keine Kontrolle, etwas mehr Abstand.
Niemand außerhalb von uns kann uns innerlich beherrschen. Wenn wir das wissen, werden wir frei.
(Buddha)
Ausblick: Der Feminist als männliches Ideal
- Wie wäre es also tatsächlich mit etwas mehr Abstand? Um das Prickeln zu erhalten? Zwei Wohnungen gar oder zumindest verschiedene Zimmer zur Steigerung der weiblichen Lust?
- Wie wäre es damit, sich die Kindererziehung wirklich zu teilen und nicht nur zwei Proforma-Monate-Erziehungszeit zu nehmen? Kinder brauchen etwas mehr Zeit, um größer und eigenständig zu werden.
- Wie wäre es mit bedingungslosem Respekt im alltäglichen Umgang miteinander?
- Wie wäre es, sich nicht mehr gegenseitig zu kontrollieren und keine Erwartungshaltung einzunehmen? Stattdessen bedingungslose Liebe zu geben, die sich steigert und Kraft schenkt?
- Und für ganz Mutige: Wie wäre es damit, sexuelle Lust und Geborgenheit/Liebe voneinander mehr zu trennen? Und die vermeintliche Untreue beider Ehepartner nicht mehr als Bedrohung für den Selbstwert anzusehen? Ob Seitensprünge dann tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Meist genügt ja die hypothetische Freiheit im Kopf, um den Reiz des Verbotenen zu nehmen.
Das sind nur gedankliche Ansätze, deren Umsetzung muss jeder in Abhängigkeit von Temperament und Gemüt selbst entscheiden. Es gibt viele Arten von Leben und Liebe, damit BEIDE glücklich werden in der Partnerschaft und man nicht Gefahr läuft, sich gegenseitig in die Tasche zu lügen. Und vielleicht ist dann alles gar nicht so schlimm mit der »sexuellen Umtriebigkeit« der Frau (und des Mannes). Vielleicht genügt es, ein Pflaster des kulturellen Umdenkens auf die verletzte Seele zu kleben, und alles würde wieder gut werden mit der männlichen und weiblichen Lust und der Liebe. Küsschen drauf!