Isi* spricht mit mir über ihr Leben mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und dem Gefangensein zwischen innerer Leere und Anspannung. Im zweiten Teil des Interviews erzählt sie von ihrer Kindheit und der Suche nach Geborgenheit. Auch an dieser Stelle merke ich noch einmal an, dass der zweite Teil des Interviews ebenfalls Trigger für manche Menschen hinsichtlich etwaiger potenziell traumatischer Erlebnisse enthalten kann.
Instabilität in Beziehungen: »Geh weg, bleib da«
Isi, wie würdest du allgemein dein Verhalten in einer Partnerschaft umschreiben?
Geh weg, bleib da, immer in so einem … Ich fühle mich lost. Es gibt immer Konflikte, irgendwas. Viele Männer lügen und betrügen. Wenn man jemanden über den Abend zwanzig Mal anruft und er nicht rangeht, obwohl er doch nur mit seinen Freunden in der Kneipe ist, angeblich. Keine Ahnung, ich bin verbuggt. Weil er nicht rangegangen ist, bin ich eskaliert. Just fuck off and leave me alone! Nachts durch die Stadt gerannt, in die nächstbeste Kneipe. Mir war egal, ob mir jemand etwas antun würde. Mein Körper ist mir egal. Deshalb habe ich auch so viele One Night Stands.
Ist das auch deine Form der Suche nach Nähe? Oder hat das mit – ich überlege wirklich, ob ich das fragen soll …?
Nicht dein Ernst?! Wenn ich etwas hasse, dann wenn die Leute denken, sie müssten einen in Watte einpacken, damit ich nicht am Ranten bin.
Also gut. Wenn du mit fremden Männern schläfst, hat das auch etwas mit Selbstschädigung und Selbstabwertung zu tun?
Kann sein. Ich bin da weird. Keine Ahnung, ich mache das einfach. Manchmal fühle ich mich danach gut und manchmal einfach schlecht und weine danach. Ich glaube, eure Leser denken, ich bin eine Bitch.
Sicher nicht. Wir wollen in unserem Magazin vor allem aus der psychologischen Perspektive aufklären. Soll ich diesen Teil des Interviews lieber weglassen?
Nein. Ich habe mich dazu entschieden, ehrlich zu sein, und das will ich jetzt auch. Wenn man einmal für sich verstanden hat, dass man freaky ist, kann man mit allem leben. Und so kann es sowieso nicht weitergehen. Ich muss mein Leben auf die Reihe kriegen.
Impulsivität nach innen und außen: »Ein schiefer Blick genügt«
Mir scheint, dass Bewertungen dich stark beschäftigen: Wie sehen mich andere, finden sie mich komisch? Liege ich diesbezüglich richtig?
Ja, total man. Ich denke, alle schauen mich an, weil die mich nicht mögen, weil ich lächerlich und albern bin.
Auf mich wirkt es ein bisschen so, als würdest du dich in deinen Gedanken selbst bloßstellen.
Ja, total.
Hast du eine Erklärung dafür, woher das kommt? Darf ich dich nach deiner Kindheit fragen?
Klar.
Wie ist die Beziehung zu deinen Eltern?
Gar nicht. Ich habe den Kontakt abgebrochen.
Borderline: Gefangen zwischen innerer Leere und Anspannung
Wie verlief deine Kindheit?
Ich wurde nie beachtet, außer wenn ich mich falsch verhalten habe. In deren Augen. Ich war schon als Kind lost. Wie jedes Kind habe ich mich immer angestrengt, lieb zu sein. Weil ich geliebt werden wollte. Ich dachte mir, wenn ich so und so bin, werden sie mich mehr mögen. Aber ich bin meinen Eltern ziemlich egal. Ich hatte zu Hause viele Wutausbrüche, weil ich nicht so sein durfte, wie ich bin. Meine Mutter hat immer gesagt: »Glaubst du wirklich, du kannst das? Täusch dich mal nicht.« Sie sagte auch: »Komm endlich klar, du bist vollkommen gestört.« Zu einer Neunjährigen! Ich wäre ein anstrengendes Kind, hat sie mir immer gesagt. Körperliche Gewalt war auch angesagt.
Als Kind hatte ich schon Todessehnsucht. Ich wollte rein in die Schwärze und einfach verschwinden. Alles scheint so sinnlos. Ich glaube, ich fühle mich wohl in dem Schmerz. Der ist wie ein Zuhause für mich. Nach dem ersten Selbstmordversuch wollten sie mich nicht wieder bei sich aufnehmen. Meine Eltern. Der kam ihnen gerade recht. Seitdem lebe ich in Kliniken oder Heimen.
Keiner will mich
Fühlst du dich also heimatlos?
Ja. Keiner will mich. Nirgendwo bin ich richtig. Mit den Männern habe ich auch kein Glück. Ich wähle immer die Falschen. Wirklich nett war keiner. Aber ich bin ja auch nicht unbedingt uncomplicated. Ich wechsele oft meine Erscheinung.
Wie genau meinst du das?
Ich färbe mir oft die Haare oder kaufe mir Sachen, wenn ich Geld habe. Ich will einfach immer anders aussehen und auch anders sein.
Hast du eine Erklärung dafür?
Not really. Sag du es mir. Du bist die Psychologin von uns beiden.
Ich könnte mir vorstellen, dass man sich wünscht, durch die Veränderung eher angenommen zu werden. Eine Fortführung aus der Kindheit: Wenn ich so und so bin, werden sie mich mögen. Das sagtest du ja über deine Eltern. Vielleicht hoffst du auch, dich durch die Veränderung selbst besser annehmen zu können. Selbstbewusster werden zu können. Vielleicht hoffst du aber auch, den Männern dadurch mehr zu gefallen auf deiner Suche nach Liebe. Ein Mischung aus allem.
Ja. Total. Wenn ich mir die Haare färbe oder mein Äußeres verändere, denke ich, wenn ich das so habe, dann bin ich schön, dann werde ich geliebt, aber das minderwertige Gefühl bleibt.
Wie steht es mit deiner Arbeit an dir in der Therapie? Was sind die aktuellen Themen?
Ich lerne Skills, um mit der Anspannung zurechtzukommen. Ich habe ein Notfall-Set mit Therapieknete und Ammoniak. Daran muss man riechen, wenn die Spannung drinnen zu groß wird. Der brennende Schmerz in der Nase löst meine innere Anspannung. Es sollen natürlich weitere Selbstmordversuche verhindert werden.
»Wie weit muss ich mich rüberlehnen, bis ich rausfalle?«
Hast du Angst, es könnte nochmal passieren?
Klar. Ich habe Angst, in die alten Muster zurückzufallen. Stabil bin ich noch nicht. Ich habe auch Zwangsgedanken, wenn ich ein Messer sehe oder mich zu weit aus dem Fenster beuge. Wie weit muss ich mich rüberlehnen, bis ich rausfalle?
Also geht es in der Therapie vor allem um die Gefühls- und Verhaltensregulation? Damit dieses Wechselspiel zwischen innerer Leere und Anspannung kontrollierbarer wird?
Auch. Ich lerne, wo meine Grenzen sind. Was mich stört und wie ich damit umgehe.
Für die Ausbildung und Abgrenzung deiner Identität? Du lernst dich immer mehr selbst kennen?
Genau. Ich wusste ja nie, wer ich bin. Ich wusste nur, dass ich falsch bin. Heute sind meine Prognosen gut. Ich bin noch nicht stabil, aber ich will anderen Menschen Mut machen, es wird immer besser.
Die impulsiven Ausschläge in deinem Inneren werden kleiner?
Ja, total. Zum ersten Mal überhaupt habe ich ein Gefühl von Besserung. Ich glaube, ich kann es schaffen. Die Schematherapie hilft mir dabei.
Die Therapeutin als korrigierendes »Elternteil«
Worum geht es bei der Schematherapie?
Um die Auseinandersetzung mit den strafenden Eltern. Gemeinsam mit der Therapeutin durchlebe ich Situationen von früher, die mich bis heute nicht loslassen. Die Therapeutin zeigt mir, wie eine gesunde Reaktion wäre. Sie übernimmt die Rolle der Eltern. Damit es in mir drin heilen kann.
Wir besprechen auch auslösende Situationen für meine Selbstverletzung und entwickeln alternative Einstellungen und Verhalten, aber da bin ich noch nicht. Das fangen wir gerade an. Aber es wird, das hoffe ich.
Isi, das klingt für mich, als wärst du auf einem guten Weg. Ich danke dir für deinen wichtigen Beitrag in unserem Magazin. Ich wünsche dir für die Zukunft von Herzen alles Gute.
Danke. Ich versuche es.
Isi und ich sprachen noch eine Weile über das Leben und seine manchmal harten Bedingungen. Sie und andere Betroffene zeigen, wie beschwerlich ein Weg mit Borderline-Persönlichkeitsstörung ist, dass man es aber schaffen kann, dank professioneller Hilfe damit umzugehen. Es gibt Anlaufstellen, an die man sich bei einer Akut-Symptomatik oder für eine Beratung und therapeutische Angebote wenden kann.
Unsere Reihe zu Borderline und einem Leben zwischen innerer Leere und Anspannung geht weiter: Teil 3. Wir nehmen Bezug auf die klinische Diagnostik, mögliche Ursachen für eine BPS, klassische therapeutische Ansatzpunkte, aber auch auf die individuellen Stärken von Borderlinern, an denen man therapeutisch ansetzen kann.
*Name von der Redaktion geändert