Warum immer ich? – Wenn du mein Leben hättest, würdest du auch trinken. – Mein Ex-Partner hat mich immer kleingehalten. – Meine Eltern haben ihren Frust stets an mir ausgelassen. Ja, all das mag vielleicht stimmen. Doch irgendwann muss Schluss damit sein. Solche Gedanken sind nur bis zu einem gewissen Grad nützlich. Bis zu welchem, werden wir im Laufe dieses Artikels aufmachen. Darüber hinaus ist es wichtig, die Opferrolle endlich abzulegen, denn sie schadet mehr, als dass sie nützt. Zeit, sich von ihr zu lösen und zu lernen, für sich selbst zu sorgen. Here we go …
Hör endlich auf, ein Opfer zu sein
Wenn man als Künstler – Youtuber, Instagramer was auch immer – startet, interessiert im Grunde niemanden, was du machst. Du wirst nicht gesehen. Es gibt unzählige da draußen, die kreativ und talentiert sind, und einige wenige von ihnen schaffen es. Wenn man als Künstler startet, gibt es viele Tiefschläge, Ablehnungen, vielleicht auch negative Kritiken. Und es erfordert gehörige Arbeit an sich selbst, dieses negative Feedback nicht auf seinen Selbstwert zu projizieren. Es nicht persönlich zu nehmen. Jeder darf anderer Meinung sein; jeder darf sein Missfallen ausdrücken. Geht eine solche Kritik mächtig unter die Gürtellinie, verrät sie mehr über die Unzufriedenheit des Kritikers als über deine Kunst. Doch das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, trotz der Kritik bei sich zu bleiben. Zu sich zu stehen. Im Einklang mit seiner Kunst zu sein. Keine Angst vorm Außen zu haben. Und deinen Selbstwert nicht an externen Punkten festzumachen. Dessen ungeachtet musst du allen anderen stets mit Respekt begegnen. Jede Unhöflichkeit, und sei sie auch noch so gerechtfertigt, käme als Bumerang zurück.
Du kannst erst wirklich befreit, dich deiner Kunst widmen, wenn du dich von der Meinung anderer löst. Nicht, indem du sie negierst oder abwertest oder ausblendest. Sondern, indem du deren Meinung auf dich wirken lässt, gegebenenfalls den Schmerz der Verletztheit spürst, diesen von dir abkoppelst, eventuell aus der Kritik lernst, so du sie berechtigt findest, und weiter an deiner Kunst arbeitest. Es gibt keine gute oder schlechte Kunst, nur Kunst.
Sei also ein Künstler, wenn du durchs Leben gehst.
Das Leben zu seinen Bedingungen
Manches Mal scheint es, als würden einem viele Stolpersteine in den Weg gelegt werden. Als hätten andere es leichter. Auch das ist der bewährte Opfer-Mantel, den man viel zu lange getragen hat. Das Leben hält beständig Entwicklungsaufgaben für uns parat. Diese variieren, je nach Art des Lebensweges, für den wir uns entschieden haben.
Wichtig ist jedoch, dass wir zu keiner Zeit diesem Leben hilflos ausgeliefert sind. Wir müssen uns nicht als Opfer externer Gegebenheiten betrachten, aus denen es keinen Ausweg gibt. Wir haben Freiheitsgrade, das Leben zu gestalten. Erst recht in unserer heutigen Gesellschaft, in der heutigen Zeit.
Man befindet sich genau an dem Punkt im Leben, an dem man zu diesem Zeitpunkt sein muss. So ist das eben mit dem Leben. Und dann handelt man entsprechend. Es ist das Leben zu seinen Bedingungen und wir müssen lernen, darauf zu vertrauen, dass wir alle Probleme zu gegebener Zeit lösen können. Sich in unnötige Ängste und Spekulationen zu versteigen, raubt Kapazitäten und schadet dabei, klare Lösungsansätze zu erarbeiten. Dagegen im Vorhinein Lösungsansätze anzudenken und die Zeiten danach grob zu strukturieren, ist selbstverständlich ein wichtiger Beitrag der Selbstfürsorge.
Sorge für dich
Ängstlich und vermeintlich fremdbestimmt durchs Leben zu huschen, ist die Gangart der Opferrolle. Unverhältnismäßige Ängste sind Ängste aus der Vergangenheit. Diesen Gehör zu verschaffen und diese nicht zu verdrängen, ist notwendig, um den Selbstheilungsprozess in Gang zu setzen. Doch es gilt, auch zu erkennen, dass es eben NUR Ängste aus der Vergangenheit sind.
Fehlannahmen
Die psychologische Praxis zeigt, dass die Ansätze für die Selbstinterpretation als Opfer bereits in der Kindheit gelegt werden. Vielleicht weil man sich oft hilflos ausgeliefert fühlte, bevormundet und bewertet wurde, statt in Eigenverantwortung ermutigt zu werden.
Folglich erkennen viele von uns gar nicht, dass unsere Gedankenstrukturen, unsere Annahmen über das Leben oder gar unsere Wahrnehmung von den Menschen vom Grunde auf sehr begrenzt sein könnten. Dass es da NOCH MEHR gibt. Andere Menschen, die anders ticken, mit anderen Motiven, Lebensphilosophien. Stattdessen sucht man sich immer ähnliche Menschen, wie die, die einen in der Kindheit geprägt haben. Das kann ein verdammt perfider und hartnäckiger Mechanismus sein. Weil man mit diesen Menschen die immer gleichen negativen Erfahrungen macht, weil sie einen in ähnlicher Form behandeln, wie man es von Kindesbeinen an gewohnt war.
Folglich sieht man sich in seiner Annahme über die Menschheit bestätigt. Die ANDEREN, die anders sind, sieht man hingegen nicht. Diesen Kreislauf zu erkennen, ist einer der ersten Schritte, sich loszulösen und den Blick für neue Erfahrungen zu weiten.
Angst vor Kontrollverlust
Die psychologische Praxis zeigt auch, dass negative Erlebnisse aus der Kindheit zu einem lebensbestimmenden Motiv – der Angst vor Kontrollverlust – führen können. Niemals mehr möchte man das Gefühl des kompletten Fallens spüren. Das Gefühl, nichts machen zu können, hilflos ausgeliefert zu sein. Doch du bist jetzt erwachsen. Du hast zu jeder Zeit die Kontrolle über dein Leben und deine Entscheidungen. Nutze dies verantwortungsvoll, für dich und deine Kinder und deine Lieben. Entscheide dich, für dich selbst zu sorgen.
Jedes Schicksal, wie weitläufig und verschlungen es auch sein mag, besteht in Wirklichkeit aus einem einzigen Augenblick; dem Augenblick, in dem der Mensch für immer weiß, wer er ist.
(Jorge Luis Borges)
Für dich selbst sorgen: Bleibe bei dir
Die anderen nicht auf einen Sockel stellen. Oder abwerten. Beides sind Mechanismen, derer sich die Opferrolle bedient. Bei diesen Automatismen ist man schnell dabei. Sie sorgen dafür, dass man nicht bei sich selbst bleibt, sondern seinen Selbstwert an anderen misst, was der Arbeit an einem eigenen stabilen Selbstwert ganz und gar abträglich ist.
Wir müssen uns nicht besser oder schlechter fühlen als andere. Die anderen sind nicht schlechter oder besser als wir. Wir sind genauso gut wie sie und haben einen Recht auf ein gutes, selbstbestimmtes Leben. Seinen Wert unterzuordnen, People Pleasing zu betreiben, das heißt, Leuten zu Munde zu reden, sind Verhaltensweisen, an denen man zukünftig ansetzen kann. Deren Unterlassung führt zu mehr Selbstfürsorge.
Selbstfürsorge meint nicht: Egoismus
Sich um sich selbst zu kümmern, lenkt die Energien, den Fokus in völlig neue Bahnen. Ein neuer Pfad, den man beschreitet, der ungeahntes Positives und nie vorstellbare Freiheit zutage bringen wird. Selbstfürsorge meint jedoch nicht Egoismus! Es meint nur, Grenzen zu setzen, sich um sein Wohlergehen zu kümmern, seine Kinder zur Selbstfürsorge und Eigenverantwortung zu erziehen. Nicht permanent, um andere zu rotieren mit dem Gefühl, gebraucht zu werden. Selbstfürsorge meint, die Gegebenheit zu akzeptieren, dass ein Jeder früher oder später für sich selbst Sorge tragen muss.
Selbstfürsorge meint auch: geduldig sein
Will man sich ein eigenes Leben aufbauen, Geld zur Verfügung haben, um sich etwas Schönes leisten zu können, muss man aktiv etwas dafür tun. Will man in Unabhängigkeit leben, muss man aktiv mit allen Erschwernissen im Alltag umgehen können. Diese Grundsätze scheinen schlicht. Doch sie fallen vielen Menschen in der Opferrolle schwer. Wer in der Kindheit fehlerhafte Annahmen in Bezug auf die Selbstfürsorge gelernt hat und erschöpft von sozialen, teils toxischen, Beziehungen ist, der hat oft wenig Kapazität, die eigene Situation zu überdenken. Und sich ihr zu stellen!
Prokrastination vs. Selbstfürsorge
Menschen, die in der Kindheit nicht gelernt haben, sich abzugrenzen, weil dieses Verhalten seitens der Bezugspersonen nicht als erwünscht angesehen wurde, prokrastinieren nicht selten aus der Lähmung/ aus der Erschöpfung heraus. Prokrastination bedeutet nichts anderes, als die anstehenden Arbeitsaufgaben beständig zu verschieben. Oft sorgen diese Menschen sich so sehr um andere oder dass das Leben innerhalb der Partnerschaft beziehungsweise Familie funktioniert, dass sie ihre eigenen Wünsche beziehungsweise ihr eigenes Leben mit den zu bewältigenden Herausforderungen gänzlich aus den Augen verlieren. Mitunter fangen einige dann an, zu prokrastinieren. Sie haben eventuell verträumte Vorstellungen und Wünsche davon, wie ihr Leben aussehen könnte, aber sie unternehmen keine aktiven Schritte dahin. Sie verschieben Prüfungstermine, weil sie sich nicht gewappnet fühlen. Auch bewerben sie sich nicht auf eine neue Stelle, obwohl sie schon lange mit dieser geliebäugelt haben. Sie kümmern sich nicht um ihr eigenes Wohlergehen und allem, was damit zusammenhängt, weil sie womöglich mehr dahingehend beschäftigt sind, die Krisen mit dem Partner zu bewältigen.
Menschen, die in der Opferrolle verharren, wissen häufig gar nicht (mehr), was sie machen wollen/könnten, um sich selbst zu verwirklichen beziehungsweise um zufrieden zu sein. Sie haben sich selbst aus dem Fokus verloren. Auch wenn es ihnen vermutlich gar nicht bewusst ist, sind sie eigentlich eher ein Statist im Leben anderer Personen.
Märtyrer oder Träumer?
Menschen, die in der Opferrolle verharren, beklagen nicht selten die schlechte Behandlung von anderen. Sie beschweren sich bei den Freunden oder innerhalb der Familie, wie der andere es wagen kann, sich in der Art zu verhalten. Aber sie unternehmen nichts dagegen, um sich aufzurichten und eine Grenze zu ziehen. Sie unternehmen keine Schritte, um etwas an der Konstellation zu ändern. Menschen, die in der Opferrolle verharren, träumen sich häufig aus ihren negativen Lebensumständen davon. Sie werden zu regelrechten Tagträumern oder flüchten sich gleich ganz in eine neue Traumidentität. Sie machen sich selbst etwas vor.
Die Seele reifen lassen: Schritt für Schritt
Die in diesem Artikel gewählten Worte sind mitunter hart, doch sie sorgen dafür, dass man diese alten kognitiven „Schutzmechanismen“ aufbricht und sich stattdessen wirklich und wahrhaftig um sein Leben zu kümmern beginnt. Hat man einmal den Entschluss gefasst, sein Leben aktiv angehen zu wollen, muss dies mit aller Ehrlichkeit und Selbstreflexion geschehen. Und dazu gehört, dass man hart mit sich ins Gericht geht, ohne sich schlecht dabei zu fühlen – denn dies würde erneut in einer Jammer- oder Opferrolle münden. Ist der Erkenntnisprozess zur Änderungsbereitschaft erst einmal angestoßen, kann man darauf vertrauen, dass die neue Richtung im Leben eingeschlagen wird. Selbst wenn man hier und da noch Verzögerungen oder Rückfälle in die Opferrolle haben wird. Sich zu verändern ist ein Prozess, welcher neben Erkenntnissen auch Erfahrungen und Reifung benötigt. Es ist wichtig, die Schritte zu gehen, aber auch, Geduld mit sich zu haben. Gehe den Weg in deinem eigenen Tempo.
Befand man sich zeitlebens in der Opferrolle, mag das Fundament, auf welchem man nun beginnt, aufzubauen, bruchstückhaft sein. Doch es ist ein Fundament, das man nutzen kann, auf dem man aufbauen kann, wenn man lernt, für sich selbst zu sorgen.
Wenn ich nur die halbe Energie darin investiere, das Richtige zu tun, die ich bis jetzt dazu genutzt habe, das Falsche zu tun, kann ich alles erreichen.
(Melody Beattie)