Der Psychologismus geht von der Annahme aus, dass wir der Psyche und ihren Regeln nicht entkommen können. Darüber wird leidenschaftlich gestritten.
„Psychologismus ist ein Lehrsystem, dem zufolge die Logik und/oder die Erkenntnistheorie auf empirische Gesetze der Psychologie reduziert werden können.“[1]
So heißt es bei Wikipedia und das klingt etwas dröge. Die Kontroverse ist jedoch bis zum heutigen Tage spannend und ungelöst. Doch zunächst müssen wir verstehen, worum es geht.
Die Ausgangslage
Wir sind heute – wenn wir uns dafür interessieren – mehr oder weniger überflutet von Erklärungsansätzen zu diesem und jenem. Nehmen wir das aktuelle Thema Nummer 1, weil sich daran die Problemlage gut illustrieren lässt: In der Diskussion über Corona und die Folgen geht es nicht allein um die medizinische Seite, sondern immer mehr auch um andere Aspekte. Neben Virologen und Epidemiologen (schon das ein Unterschied) melden sich immer wieder andere Fakultäten der Medizin zu Wort: Lungenfachärzte (Pulmologen), Neurologen, Pathologen und weitere.
Doch auch auf die Wirtschaft sollte man achten, hieß es und auf die Psychen der Menschen. Also Ökonomen, Psychologen, Kinderärzte, Intensivpfleger, natürlich Politiker aller Farben, Medizinhistoriker, Philosophen, Statistiker, Physiker, Soziologen, Biochemiker, Molekularbiologen, Computer- oder Kommunikationsexperten mitunter meinten vollkommen Branchenfremde sich zum Thema äußern zu müssen und manchmal, es besser zu verstehen als alle anderen.
Jetzt kommt die Preisfrage: Wer versteht es denn nun am besten? Wer, also welche Fakultät hat den Durchblick oder den größten Überblick über das Gesamtgeschehen? Die Frage bleibt, verlassen wir mit ihr den Horizont des Infektionsgeschehens und erweitern wir ihn auf das Große und Ganze, den Kosmos in aller Ausdehnung und Tiefe an sich.
Wer weiß eigentlich am besten, wie das Weltganze funktioniert? Einerseits haben wir uns einen pragmatischen Umgang angewöhnt, soll heißen, wir wählen immer den Experten, der gerade passt: Mal ist das der Klempner, dann die Paartherapeutin, da der Steuerberater und hier der Hausarzt. Je nach dem und je nach Problem.
Aber käme man auf die Idee, dass der Steuerberater oder Klempner in seiner Funktion das Weltganze erklären kann? Vermutlich eher nicht. Aber wer dann? Gibt es jemanden?
Die Kandidaten
Wer schafft es alles zu überblicken und ja: Was ist eigentlich alles?
Die Kosmologie
Bleiben wir erst mal bei der räumlichen Ausdehnung, dann ist die Kosmologie die umfassendste Wissenschaft. Sie beschreibt uns im besten Fall, wie alles – aus naturwissenschaftlicher Sicht – entstand und woraus unsere Welt besteht und wie es sich dann entwickelte. Mehr geht eigentlich nicht, weiter zurück kommt man nicht, allein, für die Kosmologie sind wir als Menschheit eine vollkommen unbedeutende Randnotiz. Irgendein Planetensystem, in irgendeinem Seitenarm einer beliebigen Galaxie und auf ihr Leben, gewiss ein interessantes Phänomen, aber eben im kosmologischen so gar nicht der Rede wert.
Zwar sind alle Kosmologen die wir kennen Menschen, aber als Kosmologen sind sie maximal weit von allem entfernt, was unser Leben ausmacht, inklusive der Fragen, die uns umtreiben, außer eben der, wo das alles her kommt. Sie ist innteressant genug, aber eben nicht alles und man wird immer wieder auch Menschen finden, die die Frage nach der Herkunft rein gar nicht interessiert.
Verlassen wir also die Ebene maximaler Ausgedehntheit, im Sinne räumlicher und zeitlicher Grenzen. Ein tolles Gebiet, aber kein Kandidat für alles, was ist. Da es ja noch jede Menge anderer Zusammenhänge gibt.
Die Physik
Aber vielleicht die Physik. Denn alles sei letztlich physisch, so heißt es und steht also, wie auch immer, in einer Beziehung zueinander. Wenn man die Physik (also auch die der kleinsten Teilchen) nur gut genug versteht, versteht man alles, vom Urknall über die Neurose bis zum Steuerrecht. Soweit die Behauptung, allerdings rückt die Einlösung in immer weitere Ferne.
Schaut man genauer hin, ist dass allerdings kein technisches Problem. Es geht also nicht darum, dass die entsprechenden Großrechner noch nicht so weit sind – aber dann bald – sondern, dass sehr viele Fragen etwa die nach Liebe, Neurosen oder dem Steuerrecht in der Sprache der Physik gar nicht vorkommen.
Nun ist das wiederum kein Fehler der Physik, sondern Ausdruck dessen, dass sie eine Fachdisziplin ist, die sich um bestimmte Bereiche kümmert. Um Theaterkritiken, Persönlichkeitsstörungen, Gesellschaftstheorien und Grammatik aber nicht, diese existieren für die Physik entweder gar nicht oder sind bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Nicht schlimm, aber als Kandidat für die umfassendste aller Sichtweisen ungeeignet, weil wieder unser Alltag fehlt.
Die Evolutionsbiologie
Aber hat sich all unser Forschen nicht als etwas erwiesen, was letztlich für die Evolution nützlich ist und in ihrem Dienst steht? Ist nicht von daher alles ganz einfach? Das, was der Evolution dient, bleibt, was sich nicht bewährt, wird aussortiert. Ist nicht von daher die evolutionsbiologische Sicht das Maß aller Dinge?
Auch das klingt, wie so vieles, erst einmal plausibel, aber das Problem liegt im argumentativen Detail. Dass das was ist, automatisch auch gut ist, ist in der Philosophie, zu der wir noch kommen werden, als naturalistischer Fehlschluss bekannt. Auch die These erfolgreich = richtig ist nicht zu halten, weder theoretisch noch ethisch.
Interessant ist auch ein Argument aus der Evolutionstheorie selbst, wenn man sie konsequent anwendet. Das Prinzip der Evolution ist das der steten Anpassung, dass es dabei überhaupt einen Trend zum Besseren gibt, ist zumindest umstritten. Anders sind Entwicklungen, immer wieder, besser muss daran gar nichts sein.
Die Evolutionsbiologie kann nebenbei sinnlos erscheinende Praktiken nicht wirklich erklären. Ist das Schreiben einer Sinfonie wirklich nur ein etwas anderes Balzverhalten? Dass alles nur nach einem Nutzen strebt – im Fall der Evolutionsbiologie soll der Nutzen sein, Nachkommen in die Welt zu setzen, die wieder Nachkommen in die Welt setzen – ist fragwürdig, zumal der Nutzen dieses Programmes im Zuge einer weltweiten Überbevölkerung doch eher fragwürdig ist. Auch hier finden wir Lücken.
Die Hirnforschung
Mit einem anderen Zweig der Biologie, der Hirnforschung, nähern wir uns der Psychologie ein wenig an. Ist denn nicht alles, was wir erleben letztlich etwas was in unserem Hirn passieren muss? Ob nun Kosmologie, Physik, Psychologie oder Philosophie? Irgendwie schon. Das Problem ist nur, dass es entgegen mancher Behauptungen nicht gelingen will, überhaupt irgendwelche Argumente oder Zusammenhänge, die uns so durch den Kopf gehen, auch nur halbwegs darzustellen.
Einerseits hat man viel gelernt, gerade auch durch die verbesserte Bildgebung, aber was eigentlich ein Argument ist, wo man es findet, wie es aussieht und warum das eine überzeugt und das andere nicht, rein neurobiologisch, davon hat man nicht einmal eine entfernte Ahnung. Dass sich da vieles ‚im Kopf‘ abspielt, mag schon sein, aber wir brauchen über diese vage Aussage hinaus natürlich ungleich bessere Erkenntnisse.
Nehmen wir aber mal an, es wäre möglich zu erkennen, was das neurobiologisch erfolgreiche Argument nun auszeichnet. Wer sagt uns eigentlich, dass es das richtige ist? Es mag das richtige für diesen Menschen sein, jenes, was er gerade am besten verarbeiten und mit dem er sich seine Welt am besten erklären kann, aber sonst? Schon beim Nachbarn kann das anders aussehen.