Als entspannte Wachsamkeit, könnte man das Bündel der Covid-19-Strategien für Herbst und Winter überschreiben. Wie in einem Baukastensystem lernen wir auf allen Gebieten die mit Covid-19 zusammen hängen nahezu täglich dazu, hier und da mit überraschenden Wendungen.
Inzwischen werden wir mit einem Wust von Zahlen, Daten, Meinungen und Vorschlägen fast erschlagen. Wir stellen Ihnen die wirklich wichtigen Zahlen in knapper Form dar und gehen auf aktuelle Kontroversen ein.
Die Quote der Neuinfizierten pro Zahl der Getesteten
Wer 100.000 Tests macht, findet mehr Infizierte, als jemand der 100 Tests fährt. Was also interessiert, ist die Relation oder das Verhältnis der positiv Getesteten pro Anzahl der durchgeführten Tests. Das RKI gibt eine wöchentliche Auflistung dieser Zahl heraus, die weitaus aussagekräftiger ist als die Zahl der positiv Getesteten allein.
Entgegen dem was man landläufig hörte – während man sich nur auf die Zahl der Neuinfektionen fokussierte – ist die Quote der positiven Neuinfektionen pro Zahl der Tests seit Wochen gefallen. Dass dies kaum mitgeteilt wurde, ist von einigen Seiten zurecht kritisiert worden. Erstmalig wurden die Zahlen in der 10. Kalenderwoche (KW), Anfang März, erhoben und dort ergab sich eine Positivquote von 3,12%. Obwohl in der Folge deutlich mehr getestet wurde stieg auch die Quote bis zur KW 14 sehr stark an, auf 9,03%.
Ab der KW 15 sank die Quote, bei einer weiteren Zunahme von Tests aber kontinuierlich auf einen Wert von 0,86% in der KW 24. In der KW 25, in der Mitte des Juni, gab es eine leichte Trendumkehr, 1,37% war nun der Wert, doch schon in der KW 26 setzte sich der Trend fort und in KW 28, Anfang Juli, gab es die beste je gemessene Quote von 0,59%. Bis zur KW 32 wurde es dann wieder schlechter, 1,00% war die Quote, um dann erneut besser zu werden, auch in jenen Zeiten, in denen von immer mehr Neuinfektionen die Rede war – was stimmte – gleichzeitig sank die Quote der positiv Getesteten aber wieder ab, bis auf einen guten Wert von 0,74% in den Kalenderwochen 35 und 36. Und dieser Wert ist viel aussagekräftiger, als es die Neuinfektionen sind. In den letzten beiden Wochen ist er wieder gestiegen, erst auf 0,86% und nun auf 1,19% in der KW 38, es gibt also Grund zur entspannten Wachsamkeit.[1][2]
Haben die Infizierten Symptome und wenn ja, welche?
Infiziert zu sein heißt erst mal gar nichts, außer, dass man andere anstecken kann. Das ist unabhängig davon, ob man selbst etwas von der Infektion bemerkt. Viele merken ein wenig, aber keine starken Symptome, manche auch gar keine. Darin liegt auch die eigentliche Gefahr der stillen Verbreitung.
81% der Fälle gelten als milde Formen, 14% als schwer und 5% als so schwer, dass sie auf die Intensivstation müssen.[3] Eine weitere Sicht der Schweregrade besteht in der Einteilung:
- Krankenhauspflichtig, aber nicht auf einer Intensivtation.
- Intensivpflichtig, aber nicht beatmet.
- Intensivpflichtig und beatmet.
- Intensivpflichtig, mit vollständiger Übernahme der Atemfunktion, ECMO.
Ein Hauptziel für den Herbst ist daher, wie zu Beginn der Pandemie, zu verhindern, dass die Intensivstationen (und Beatmungseinheiten) zu voll werden, was bisher, wenn auch mit etwas Glück, gut gelaufen ist.
Schwere Formen haben zwei Ursachen. Zum einen, durch ein zu schwaches Immunsystem. Das finden wir vor allem bei alten, immunreduzierten (etwa durch Chemotherapie oder Organtransplantation) und adipösen Patienten. Zum anderen durch ein überreagierendes Immunsystem. Dies ist seltener, kann aber auch junge Menschen betreffen und ist auf eine fulminante Entzündung der Adern zurückzuführen.
Wie viele Menschen sterben an Covid-19 in Deutschland?
Analog der Situation bei den Infektionszahlen finden in der KW 15 den Höhepunkt der Todeszahlen im Zusammenhang mit Covid-19. Es begann mit 17 Toten in KW 11, Anfang März. In KW 15 sind es 1736, danach sinken die Todeszahlen langsam, aber kontinuierlich, sind ab der KW 18 nur noch dreistellig und ab KW 24 sogar wieder zweistellig. Das Statistische Bundesamt stellt aktuell die Zahlen bis zum 23. August 2020 dar.[4] Die Todeszahlen sind in den letzten Wochen so um 30 Tote pro Woche stabil geblieben, in den letzten Tagen steigen sie an. Derzeit leider wieder mit zweistelligen Todeszahlen pro Tag. Auch das ein Grund nicht nachlässig zu werden, aber verglichen mit den Zahlen von April braucht man nicht in Panik zu geraten, da wir über die Monate mehr Infizierte aber weniger Tote zu verzeichnen haben.
Inzwischen geklärt: Man stirbt an und nicht mit Covid-19
Ein Streitfall konnte inzwischen geklärt werden. Diverse Pathologenvereinigungen stellen fest, dass die Menschen tatsächlich an Covid-19 sterben, in mehr als drei von vier Fällen, die Infektion als Haupt- oder alleinige Todesursache zu sehen ist und sie verkürzt die normale Lebenserwartung statistisch um etwa 10 Jahre.[5]
Viele Infizierte, wenige Tote? Wie gefährlich ist Covid-19 denn nun?
Es infizieren sich wieder mehr Menschen mit SARS-CoV-2, die Zahl der Toten steigt aber (bei uns) nicht dramatisch. Man kann einen Gesamtüberblick in einem laufenden Prozess nicht ziehen, es kann nur ein Zwischenbilanz sein. Die sieht so aus, dass Covid-19 weniger tödlich ist, als man zunächst dachte und die Sterblichkeitsrate erscheinen lässt. Der Grund ist, dass es eine Dunkelziffer bei den Ansteckungen gibt, bei der die meisten davon ausgehen, dass sie über den Daumen gepeilt 10 mal größer ist, als die Rate der offiziell Infizierten. Hier gibt es also eine größere Unsicherheit. Die Zahl der Covid-19 Toten ist allerdings genauer zu bestimmen, wenn auch nicht in allen Ländern gleich gut, aber man merkt recht gut, wenn jemand tot ist. Mancher Covid-19 Tote wird nicht als solcher erkannt werden, aber hier ist die Dunkelziffer deutlich geringer.
Eine 10 mal höhere Infiziertenzahl, bei annähernd gleicher Todeszahl, das heißt, dass man das Komma bei der Sterblichkeitsrate um eine Stelle nach links verschieben kann, Covid-19 ist also zehn mal weniger tödlich, als die offiziellen Zahlen es aussagen ohne, dass diese manipuliert wären, wie auch Prof. Hendrik Streeck anmerkt.
Das macht Covid-19 aber auf der anderen Seite nicht zu einem Schnüpfchen. Es ist wieder Prof. Streeck der nach Sichtung der Zahlen schätzt, dass Covid-19 4 bis 5 mal stärker als eine Grippe ist und wegen der betreiben wir schon einigen Aufwand.[6]
Wie auch bei anderen Infektionskrankheiten gibt es Menschen, die gefährdeter sind als andere, das müssen gar nicht immer ältere sein, aber bei Covid-19 sind die Älteren am stärksten betroffen.
Infektions- und Verlaufsrisiko
Das Infektionsrisiko ist das Risiko sich überhaupt anzustecken, das Verlaufsrisiko ist die geschätzte Prognose, wie stark oder schwach die Infektion dann verlaufen wird. Beides ist nicht dasselbe, hängt aber andererseits zusammen.
Wie steckt man sich an und mit welcher Gefahr?
Tröpfchen
Anstecken kann man sich über Flüssigkeitströpfchen, in denen die SARS-CoV-2 Viren enthalten sind. Mit diesen Tröpfchen wird man konfrontiert, wenn einem jemand ins Gesicht niest, hustet und abgeschwächter, wenn jemand laut spricht oder singt und man davor steht. Der Ausstoß feiner Tröpfchen ist beim Niesen erstaunlich weit (bis zu 10 Meter) die Zahl der Viren, die im Luftstrom sind ist extrem hoch, das Risiko sich anzustecken ebenfalls.
Die Tröpfchen sind vergleichsweise schwer, sinken also zu Boden oder setzten sich auf Oberflächlichen ab, so nach etwa 10 bis 15 Minuten.
Aerosole
Aerosole sind feiner verteilte Tröpfchen, die beispielsweise durch Klimaanlagen immer wieder durch den Raum gepustet werden und so zu einer immer höheren Viruskonzentration führen – weil Infizierte ja permanent atmen – irgendwann so hoch, dass man sich infiziert. Die Viruskonzentation (Zahl der Viren in Raum) ist in aller Regel aber geringer, als wenn man direkt mit einem sogenannten Ausscheider konfrontiert ist, der einen dann noch anhustet. Aerosole bleiben Stunden in der Luft, vor allem, wenn die Luft immer wieder angesaugt wird und ohne Austausch zirkuliert, nimmt die Zahl der Viren pro Raumeinheit zu.
Luftaustausch und ein Nachrüsten der Klima- und Belüftungsanlagen sind hier die Lösung, die hier und da schon eingesetzt wird.
Oberflächen
Die seltenste Art sich anzustecken ist über Oberflächen, etwa wenn jemand auf den Tisch niest, hustet oder an viel angefassten Knöpfen, Türklinken, Fenstergriffen und dergleichen. Man infiziert sich, wenn man diese Gegenstände anfasst und sich nachher, in Schleimhautnähe durch Gesicht reibt. Regelmäßig Desinfektion der betreffenden Oberflächen und Hände waschen hilft.
Die Zahl der Viren mit denen man konfrontiert ist, scheint stark über den Verlauf zu entscheiden. Wer auf einmal mit einer hohen Zahl von Viren konfrontiert ist, weil jemand ohne Maske im Supermarktgang geniest hat und man 30 Sekunden danach durch den unsichtbaren Nebel geht, kann man einen schweren Verlauf bekommen, wird man frontal angehustet natürlich umso mehr (aber man kann auch die Luft anhalten, sich wegdrehen und den Bereich verlassen).
Von Ärzten und Pflegern weiß man, dass sich nicht nur alte und kranke Menschen infizieren. Die Schutzmaßnahmen zu Beginn der Pandemie waren miserabel, entsprechend hoch die Virenkonzentration, was das zu schweren Verläufen und Todesfällen auch bei jungen und gesunden Menschen führte. Für Grippeviren ist der Zusammenhang zwischen Virenzahl und Schweregrad nachgewiesen, für Covid-19 ist er daher aus guten Gründen anzunehmen.[7] Daraus folgt, das jede Form der Verringerung der Viren-Konzentration hilft, durch die bekannten Maßnahmen Lüften, Masken, Entfernung, oder Filteranlagen, die Viren herausfiltern oder abtöten.
Neben der Zahl der Viren, mit denen man konfrontiert ist, ist das persönliche Covid-19–Risikoprofil für den Verlauf der Infektion nach wie vor entscheidend.
Straffung und Update des Covid-19-Risikoprofils
Eine lange Version des Covid-19-Risikoprofils haben wir bereits dargestellt, hier wiederhole ich noch mal die wichtigsten von mir recherchierten Faktoren und kombiniere sie mit der Arbeit von Thorsten Wiethölter (die ich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung meines Risikoprofils noch nicht kannte), der akribisch alles, was er an Daten zu Covid-19 und statistischen Korrelationen gefunden hat, ausgewertet und in einer eigenen Veröffentlichung dargestellt hat. Das Herzstück ist der tabellarische Datensatz auf der Seite 27.
Wie nicht anders zu erwarten, decken sich die Daten zu einem größeren Teil mit den üblichen Risikofaktoren.
Der wichtigste statistische Risikofaktor ist und bleibt das Alter und auch bei Wiethölters Datensatz sind Faktoren, die direkt mit dem Alter zu tun haben, 9 mal auf den erst 11 Plätzen vertreten.
Starkes Übergewicht ist bei ihm, wie auch allgemein, ebenfalls ein großer Risikofaktor.
Drogensucht ist bei Wiethölter ein relevanter Punkt, der nicht näher klassifiziert ist. Insbesondere Kokain (aktuell eine Modedroge) könnte jedoch sehr schädlich sein, weil es die Adern verengt und Covid-19 eine Entzündungsreaktion der Aderninnenwände darstellt, die dadurch schon verengt sind, so dass die Blutversorgung irgendwann unterbrochen ist, was zur Lungenembolie mit Atemnot führen kann.
Ein hoher Anteil der Bevölkerung die in Städten leben, sowie eine hohe CO2-Emissionsrate sind ebenfalls signifikante Risikofaktoren, zudem die Haushaltsgröße. Das ist allerdings eine Überraschung, denn wer alleine wohnt, ist – anders als man durch das reduzierte Ansteckungsrisiko denken könnte – stärker gefährdet. Thorsten Wiethölters Daten werden gestützt durch einen Artikel im Wissenschaftsjournal Spektrum: Wer den Viren trotzt. Dort wird die schützende Bedeutung von sozialen Kontakten und ihrer entspannenden und dadurch das Immunsystem stabilisierenden Wirkung betont.
Die sozialen Kontakte wirken dabei, wie im Artikel ausgeführt, auch kausal. In Studien konnte die entzündungshemmende Wirkung von Sozialkontakten nachgewiesen werden. Die von mir aufgeführten Faktoren Armut und soziale Ausgrenzung sind kompatibel mit seinem Datensatz und der Erklärung des Artikels: Ausgrenzung bedeutet Stress, der schwächt das Immunsystem. Die zentrale Bedeutung eines intakten Immunsystems bleibt nach wie vor erhalten. Mäßiger Alkoholkonsum wirkt dabei gegen das überschießende Immunsystem, das eine Gefahrenquelle vor allem für schwere Verläufe bei jüngeren Menschen darstellt. Auch hier ist Entspannung der Hintergrund.
Nerven-, Gehirn- und psychische Erkrankungen spielen bei ihm ebenfalls eine große Rolle als Risikofaktor. Unklar ist, ob das Risiko erhöht ist, weil sich die betroffenen Menschen krankheitsbedingt nicht ausreichend an die Bestimmungen von Abstand, Maske und Hygiene halten können, oder ob es eine kausale Erklärung gibt. Vorschädigungen durch Bluterkrankungen und COPD sind in der Liste ebenfalls als Risikofaktoren zu finden.
Wiethölter stellt unter anderem heraus, dass die diversen Lockdowns keinen relevanten Effekt auf die Infektionszahlen haben, ein interessanter Punkt, der im Rahmen des persönlichen Risikoprofils allerdings nicht wichtig ist.
Es gibt jedoch einen sehr erstaunlichen und kontroversen Wert in Wiethölters Datensatz. Die höchste Korrelation überhaupt besteht zwischen Covid-19 Toten und Menschen die 65 Jahre oder älter sind und eine Grippeimpfung hinter sich haben. Dieser Punkt ist kontrovers, aber meines Erachtens wichtig. Ich habe versucht die Daten nachzuprüfen und bin bei ersten Versuchen ebenfalls auf den statistischen Zusammenhang gestoßen. Wir diskutieren mögliche Ursachen.