Betrachtet man den Anteil, den die Psyche bei Erkrankungen des Körpers, aber auch bei Genesungen, zu haben scheint, könnte man es als fahrlässig ansehen, wenn die moderne Medizin diesen Aspekt unberücksichtigt ließe.
Was jahrtausendealte Heilmethoden als selbstverständlich erachteten, nämlich den Menschen ganzheitlich zu sehen, und in der Ökonomisierung der westlichen Medizin mehr und mehr vernachlässigt worden ist, scheint nunmehr eine Renaissance zu erfahren. Mittlerweile setzt die moderne Medizin nicht nur auf hochtechnologisierte und wissenschaftlich geprüfte Behandlungsverfahren, sondern auch auf die Einbeziehung der Psyche bei körperlichen Erkrankungen. Ärzte, Kliniken sowie auch die Forschung orientieren sich zunehmend auf die Notwendigkeit eines „gesunden Geistes“, der in einem „gesunden Körper“ wohnt.
Würde die moderne Medizin der Psyche keinen Platz einräumen, diese nicht an der Heilung des Körpers beteiligen, sondern den Patienten weiterhin entmündigen, wie es allzu oft getan wird, könnte dies weitreichende Konsequenzen haben, wie nachfolgend exemplarisch aufgeführt wird.
Misstrauen der Patienten und mangelnde Compliance
LaVeist et al. (2009) konnten in ihrer Studie zeigen, dass mangelndes Vertrauen in medizinische Institutionen zu deutlich schwächerer Kooperationsbereitschaft der Patienten bei der Mitarbeit an deren Genesung führen kann. Es zeigte sich, dass misstrauische Patienten deutlich seltener die medizinischen Ratschläge umsetzen, seltener zu Anschlussterminen kommen, die erhaltene medizinische Versorgung aufschieben, sowie fehlerhaft den medizinischen Verschreibungen (Rezepten) folgen.
Diese mangelnde Compliance könnte organisatorische, finanzielle und medizinische Mehraufwendungen nach sich ziehen, welche vom Patienten bis dato womöglich nicht abgeschätzt werden können.
Bezieht man dagegen die Mündigkeit des Patienten mit ein, holt die Psyche für die moderne Medizin mit ins Boot, gestaltet sich die Forschungslage anders.
Ein gesunder Geist möchte in einem gesunden Körper wohnen
So scheint bei Frauen mit Brustkrebs die Teilnahme an einer Gruppenpsychotherapie die seelische Anpassung, Behandlung und Compliance zu verbessern; scheinen Patienten mit Herzerkrankungen bei Teilnahme an psychologischen Interventionen ein um 75% geringeres Risiko für weitere Vorfälle zu haben; und Krankenhäuser, welche in der Primärversorgung der psychologischen Komponente einen höheren Stellenwert einräumen, eine um 27% verminderte Quote bei der stationären Aufnahme sowie eine geringere Anzahl an Übernachtungen zu haben (American Psychological Association, 2015).

Der Mensch als Schatten seiner selbst: Objekte für die moderne Medizin © Martin Fisch under cc
Die Studien machen deutlich, dass das Gespräch als Schlüssel zur Psyche für die moderne Medizin von Bedeutung sein sollte, mehr als es angesichts von Zeit- und Personalmangel durch die Verschlackung des Gesundheitssystem heutzutage der Fall ist. So spricht Rudolf Henke (Henke, 2015) in seiner Funktion als nordrheinischer Ärztepräsident davon, dass das Gespräch das wichtigste Instrument der Behandlung sei und fordert die Ärzte auf, sich der Ökonomisierung entgegenzustellen.
Und auch das Robert-Koch-Institut (2002) sieht die im zweiten Teil angesprochene steigende Popularität der Alternativmedizin unter anderem darin begründet, dass dort kommunikative und emotionale Zuwendung im Vergleich zur Schulmedizin deutlich erhöht sind, schätzungsweise doppelt so hoch.
Dann also besser die stärkere Betonung des Menschen anstatt der Degradierung der Patienten zu Objekten? Besser eine ganzheitliche Behandlung statt der Vordergründigkeit von Krankheiten und dem was diese kosten beziehungsweise einbringen?
Kosten-Nutzen-Maximierung für die moderne Medizin?
Hypothetisch betrachtet: Würde man durch ausreichende psychologische Betreuung bei weniger Patienten einen medizinischen Handlungsbedarf sehen, würde dies Kosten sparen. Für ernsthaft Erkrankte bliebe dann mehr, um die teure, aber hochwertige medizinische Versorgung zu gewährleisten. Reduziertere Kosten für Kliniken und Krankenkassen, und auch weniger Gewinn?
Und so stellt sich für die moderne Medizin, welche den Menschen mehr in den Mittelpunkt setzen sollte, neben Kosten-Nutzen-Kalkulationen vor allem anderen aber auch die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit, welche man oftmals in der derzeitigen medizinischen Versorgung verlorengegangen glaubt.
Quellen:
- American Psychological Association (2015). Psychology in Primary Care. Verfügbar unter: https://www.apa.org/ed/graduate/primary-care-psychology [20.07.2015].
- Henke, R. (2015). Das Gespräch ist das wichtigste Instrument in unseren Händen. MMW – Fortschritte der Medizin, 157(12), 16.
LaVeist, T.A., Isaac, L.A. & Williams, K.P. (2009). Mistrust of Health Care Organizations Is Associated with Underutilization of Health Services. Health Services Research, 44(6), 2093–2105. - Robert-Koch-Institut (2002). Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Inanspruchnahme alternativer Methoden in der Medizin. Verfügbar unter: http://www.gbe-bund.de/pdf/Alternat.pdf [20.07.2015].