Gemaltes Bild zweier freundlicher Häuser, durch Straße getrennt

Wenn Spitzenaffekte selten sind, gelingt es, die eigene Psyche zu einem behaglichen und sicheren Haus umzubauen. © Ivan under cc

Spitzenaffekte sind in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Kindes kaum zu überschätzen. Vermutlich vor allem für das Misslingen der Entwicklung. So bedeutend sie sind, so sehr machen sie sich rar. Kaum bekannt, findet man auch wenig über sie in der Literatur und das dann oft beschränkt auf ein paar Sätze. Um zu verstehen, was Spitzenaffekte sind und ihre Bedeutung nachvollziehen zu können, müssen wir uns zunächst kurz damit befassen, was Affekte überhaupt sind. Kurz deshalb, weil Affekte ein episches Thema sind, mit immer neuen Aspekten.

Affekte und Neurotransmitter

Folgen wir Rainer Krause, seines Zeichens Affektforscher, so zerfallen Affekte selbst in wenigstens sechs unterschiedliche Segmente, nämlich den direkten und unbewussten Ausdruck von Befindlichkeiten; ihre physiologisch-hormonale Basis; die Aktivierung von Skelettmuskeln und damit die Bereitschaft zu Handeln; eine Wahrnehmung dieser genannten Prozesse; eine Bewertung derselben und die soziale Dimension von Affekten, die trotz aller kulturellen Unterschiede in allen Völkern wenigstens bei den grundlegenden Affekten identisch zu sein scheint.[1]

Kurz gesagt, Affekte, die Disposition dazu und ihr Ausdruck sind zunächst oder zum Teil unbewusst, werden aber auf dieser Ebene verstanden und stellen somit ein Teil des Kommunikationssystems, sowie des Motivationssystems dar.

Die Regulation von Affekten scheint uns größtenteils, durch unser Temperament angeboren zu sein. Es bestimmt die Schwelle ab der jemand affektiv antwortet. Mütter mehrerer Kinder wissen sehr genau, dass das eine Kind von Geburt an ungeheuer gelassen ist, während ein anderes sehr schnell auf Reize reagiert. Die Dauer und dieser Affekte, ihre Intensität, Schwelle, sowie der Rhythmus, wann das Kind wieder bereit ist, auch einen Außenreiz zu antworten, sind so ebenfalls geregelt.

Reguliert wird die Affektdisposition durch das ungeheuer komplexe Neurotransmittersystem, das vielleicht 20 verschiedene Bausteine, je eigene Systeme, besitzt, die wechselseitig aufeinander einwirken, einige sind direkt für die Affektregulation zuständig, andere eher indirekt.

Affekte und Emotionen

Wie so oft in der Psychologie und verwandten Disziplinen, ist die Sprachregelung, bezüglich dessen, was Affekte und was Emotionen sind, uneinheitlich. Ich finde die Regelung ganz gut von Affekten als dem unbewussten Ausdruck zu sprechen und von Emotionen, wenn man weiß, was man fühlt.

So stellen Affekte zunächst eine eigene Sprache dar, die man „sprechen“ und verstehen kann, ohne sie gelernt zu haben. Ein überraschtes oder wütendes Kind ist unmittelbar in der Lage seiner Empfindung Ausdruck zu verleihen und die Mutter dieses Kindes ist unmittelbar in der Lage, zu verstehen, was gerade mit ihrem Kind los ist. Das zeigt den kommunikativen und motivationalen Charakter der Affektäußerungen. Denn die Mutter, die versteht, was ihrem Kind fehlt, weil sie dessen Mimik, Gestik und Lautäußerungen versteht, kann nun Handeln und tut das in der Regel auch.

Grundlegende Affekte wie Wut, Trauer, Angst, Überraschung, Interesse, eventuell Ekel, Verachtung und fast immer unerwähnt: sexuelle Erregung, werden überall verstanden, ohne dass man dies lernen muss.

Normale Entwicklungen

So wie Affekte, eine eigene Sprache darstellen, stellen kleine Kinder eine eigene Welt dar. Schon ihre normale Entwicklung ist ein kleines Wunder, weil sie unendlich viel in den ersten Jahren lernen und durch einige tiefgreifende Wechsel ihrer Weltbilder auch wieder verlernen müssen.

Entwicklung heißt neben den körperlichen Aspekten und Fähigkeiten, in aller erster Linie Integration von Neuem. Und neu ist begreiflicherweise viel, für das Kind. Auch so etwas Selbstverständliches, wie der eigene Körper muss vom Kind – und damit von jedem einzelnen von uns – erobert werden, denn der Körper ist zwar das mit dem wir zur Welt kommen oder aus anderer Sicht, das, was wir sind und doch müssen seine Kontrolle, seine Grenzen erfahren und damit erlernt werden.

Integrieren heißt verstehen und verarbeiten können und das ist es, was Entwicklung ausmacht. Immer mehr psychisches Außen um Innen zu machen und in diesem Sinne muss sogar der eigene Körper verinnerlicht werden, zu etwas gemacht werden, das man kennt und kontrollieren kann. Aber nicht nur den eigenen Körper muss man kennen lernen, kurioserweise auch die eigenen Affekte. Man kann sie direkt äußern und zeigt der Welt damit, dass man verärgert oder erfreut ist, aber und das ist ein wichtiger Punkt, man versteht selbst noch nicht, was man da präsentiert. Affekte, die man äußert stoßen einem gewissermaßen zu, ohne dass man etwas daran ändern kann. Affekte sind Antworten auf Reize der „Außenwelt“ aber Außenwelt in einem spezifischen und oft nicht verstandenen Sinn.

Ein kurzer Exkurs: Innen und Außen

Psychisch Inneres und Äußeres ist nicht gleichbedeutend mit Innen und Außen im Sinne der Hautoberfläche. Psychisch Inneres ist das, was man integriert, also kognitiv verstanden und gefühlsmäßig akzeptiert hat. Beides muss nicht zusammen gehen, wie wir gerade bei den Spitzenaffekten sehen werden. Wenn ich weiß, dass mein Körper begrenzt ist und dass es etwas anderes ist am Daumen zu lutschen oder am Kissen, wenn ich weiß, dass Mutter nicht identisch mit mir ist aber weiß, was ich tun muss, damit sie dennoch zu mir kommt dann haben ich das integriert und zur psychischen Innenwelt gemacht.

Die Funktionen meines Herzens, meiner Leber und meines Gehirns, die zuverlässig seit der Geburt ihren Dienst tun, muss ich aber noch längst nicht verstanden und integriert haben, man kann theoretisch sehr alt werden, ohne überhaupt zu wissen, dass man innere Organe besitzt. Verstehen bedeutet also immer auch, etwas zu wissen. In diesem Sinne sind mein Herz und mein Gehirn außen – weil ich sie anfangs nicht verstehe – auch wenn sie innerhalb der eigenen Hautoberfläche sitzen. Körperlich innen, aber bezogen auf die psychische Integration außen.

Und noch verwunderlicher ist es, dass man die eigenen Affekte, die man ja auszudrücken in der Lage ist und damit zeigt und auch noch in der Stimmung ist, die man zeigt, erst einmal sortieren und verstehen muss. Da kommt auf einmal einfach Ärger auf, weil Hunger aufkommt und Mutter nicht zeitig da ist, um den Hunger zu stillen. Und so wie der Ärger gekommen ist verfliegt er dann auch wieder. Der Hunger und der Ärger kommen aus dem eigenen Körper, aber sie ziehen gewissermaßen psychisch an einem vorbei und sind in dem Sinne zufällig, wie ein Hund bellt, eine Tür zuknallt oder ein Radio spielt. Sie sind – noch – außen.