
Das Gefühl der Freiheit ist für viele Menschen ein erlösendes Gefühl und eines des Themen der Menschheit. © Kalyan Chakravathy under cc
Freiheit ist wie Wahrheit, Liebe oder der Sinn des Lebens eines der großen Themen, das zu den Fragen des Menschseins an sich gehört.
In Corona-Zeiten bekommt die Frage nach der Freiheit noch mal besondere Relevanz und ist gleichermaßen schwer wie leicht zu beantworten. Eine einmal gewonnene Erkenntnis auch im nächsten Moment noch festzuhalten und auf sie zurückgreifen zu können ist im Zeitalter der Kreischsägen und Berufsempörten eine Überforderung, denn die Freiheit soll ja schließlich frei Haus kommen, wie das nächste Paket.
Der Freiheit haben wir uns in der Form der Willensfreiheit schon recht ausgiebig gewidmet, mit einer besonders ansprechenden Diskussion unter Freiheit und Determinismus. Wer das nicht lesen möchte, für den sei kurz zusammengefasst, dass der Kompatibilismus schlüssig nachweisen kann, dass der Determinismus, sei es der physikalische, der neurobiologische oder welcher auch sonst, unsere Freiheit nicht einschränkt. Freiheit und Determinismus schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander.
So weit, so ungewohnt, weil kontraintuitiv. Denn intuitiv würde man meinen, Freiheit sei ganz einfach in jedem Moment tun und lassen zu können, was ich gerade will, was mir gerade ganz spontan in den Sinn kommt. Und weil das eben sofort einleuchtet lautet die nächste Frage, was denn eigentlich überhaupt dagegen spricht.
Es ist nicht das Recht oder der moralische (eigentliche moralistische) Zeigefinger, der da sagt: ‚Du, Du, Du! Deine Freiheit endet dort, wo sie die des anderen einschränkt.‘ Es ist zwar rechtlich und moralisch tatsächlich so, aber wenn man es nicht versteht, erscheinen diese Ansagen, zumindest mal in unserer Gegenwart, vielen als willkürlich gesetzte Einschränkung, die dem Einzelnen das Leben schwer macht und offenbar machen soll.
Dabei sind die einzelnen Fragen auf dem Weg zum Ganzen schon geklärt, schön, wenn man sie festhalten, einsortieren und einüben kann.
Freiheit und Willkür
Im Grunde hat Kant die Antwort auf die Frage geliefert, warum Freiheit nicht bedeutet in jedem Moment tun und lassen zu können, was einem in den Sinn kommt und sie ist so einfach, wie überzeugend: Weil man dann ein Sklave seiner Triebe ist. Warum?
Weil man dann genau das ist, was man nicht sein will, nämlich vollkommen abhängig von dem, was die Welt einem präsentiert. Hier ist ein Reiz und ich bin gezwungen, darauf zu reagieren, wie eine doofe Lichtschranke oder wie ein Tier in dem ein starres Programm abläuft, wenn bestimmte Schlüsselreize auftauchen. Da wir zu einem Teil noch immer Tiere sind (aber Tier ist eben auch nicht gleich Tier), ist das auch in uns. Ein bestimmter Impuls taucht auf und Peng, fühlen wir uns genötigt darauf zu reagieren. Wir springen über jedes Stöckchen, wir reagieren auf jede Provokation und jeden gut präsentierten Reiz der Werbung und wenn man nur ein wenig drüber nachdenkt wird schnell klar, dass die Willkür so ziemlich das andere Ende der Freiheit ist.
Weil Philosophie und Psychologie ihre eigenen Sprachen haben, aber erfreulicherweise oft zu gleichen oder sich ergänzenden Erkenntnissen kommen, hat die Psychologie ein eigenes Wort dafür, nämlich Impulskontrolle (oder Affektkontrolle). Praktisch bestätigen die Erkenntnisse Kants Einsicht, denn frei bin ich in dem Moment, wo ich es in der Hand habe, ob und wie umfassend ich auf etwas in der Außenwelt reagiere.
Der Zwang alles agieren zu müssen, ist im Grunde nichts anderes als eine Borderline-Störung. Eine schwere Persönlichkeitsstörung, die mit einem hohen Maß an Leid aufgrund einer andauernden schweren generalisierten Angst einher geht. Die gelegentlichen Affektschübe der Borderliner dienen oft dem Ziel dieser Angst zu entkommen und sich wieder zu spüren und zu erden, der innere Druck ist dabei kaum vorstellbar.
Doch die Lösung ist nicht die Flucht zur anderen Seite der maximalen Kontrolle. Das wird irgendwann, schneller als man denkt, starr und zwanghaft und es sind innere und äußere Zwänge, die die Freiheit einschränken, womit wir von der Psychologie wieder zur Philosophie zurück gekehrt sind.
Prinzipielle Freiheit
Der Mensch ist also prinzipiell frei, prinzipiell heißt dabei, dass er es theoretisch auch dann ist, wenn die Welt vollständig determiniert oder anders formuliert vorherbestimmt wäre. Intuitiv eigentlich wieder das Paradebeispiel für Unfreiheit, denn Vorherbestimmtheit bedeutet ja gerade nicht frei zu sein, sondern, dass bereits fest steht, was passieren wird.
Wir wissen aber nicht ob und wie determiniert die Welt ist, aber der Vorteil der Philosophie ist, dass wir einfach – für die Dauer eines Gedankenexperiments – so tun können, als sei sie es. Dabei wird es wieder schwer und kontraintuitiv. Eigentlich sind die Schritte einfach. Denn angenommen, alles, wirklich alles sei bis ins allerletzte Fitzelchen vorherbestimmt, dann folgt dieser Determinismus bestimmten Regeln. Von diesen Regeln müssen wir annehmen, dass es sie gibt, aber wir kennen sie nicht. Wir wissen nur, dass es zwingend ist, dass wenn die Welt determiniert ist, sie Regeln folgt.
Wir denken, dass wir einen Teil der Regeln kennen. Gegenstände fallen bei Ihnen, wie bei mir immer auf den Boden, noch nie ist mir was an die Zimmerdecke gefallen. Es ist nicht logisch zwingend, dass das auch beim nächsten Mal so sein wird, darauf wies uns zuerst Hume hin, aber dennoch gehen wir im Alltag davon aus, dass viele Dinge und Ereignisse, die bisher immer so waren, dies auch beim nächsten Mal sein werden. Daraus können wir ableiten, dass unser Leben gewissen Regeln folgt, einige kennen wir ziemlich gut, andere etwas, manche kaum, einige gar nicht. Das heißt, auch wenn alles geregelt sollte, wir kennen nur einen Teil davon.
Über den Rest spekulieren wir und das tun wir auf der Basis jener Annahmen, die uns am plausibelsten erscheinen. Eine Mischung aus persönlicher Erziehung und Erfahrung, Intelligenz und eben auch der Fähigkeit nicht auf alles impulsiv reagieren zu müssen. Sondern abwarten und innehalten zu können, abwägend zu schauen, was einem, in der Summe all der Informationen, die ich Stand heute besitze, am plausibelsten erscheint und wenn man das tut, ist man aus der Sicht der Kompatibilisten jemand, der frei entschieden hat.
Es ist keine Freiheit zweiter Klasse, sondern, wenn man es mehrfach durchdenkt, lebensnah und richtig, der schwierige Punkt ist nur, dass es dann ausgerechnet unser Nichtwissen ist, was uns frei macht. Das ist erneut kontraintuitiv, denn wir denken, dass viel Wissen uns freier macht (was in gewisser Weise stimmt) und Allwissen uns ganz frei macht (was schwierig zu begründen ist, versuchen Sie es mal).
Innere und äußere Zwänge beschränken die Freiheit
Das ist schon, ohne jede Ironie, ziemlich viel, was man jetzt behalten haben muss und ziemlich viel davon widersetzt sich unserer spontanen Annahme oder ist eben kontraintuitiv.
Das geht leider so weiter, denn, wenn klar ist, dass wir prinzipiell freie Wesen sind (sofern wir innehalten und rational, auf der Basis aktueller Daten und eigener Prämissen abwägen können), so sind wir doch in dem Moment nicht frei, wo wir inneren oder äußeren Zwängen ausgesetzt sind. Eine Sucht, eine psychische Krankheit sind innere Zwänge, eine Drohung ist ein äußerer Zwang, eine emotionale Erpressung ist eine Mischform, wenn man so will.
Das heißt, auch wenn wir prinzipiell frei sind, so sind wir de facto doch oft in unserer Freiheit beschränkt, es sei denn man ist so radikal wie die Existentialisten und hier insbesondere Sartre, die den Menschen in wirklich jeder Lebenslage als jemanden sehen, der zur Freiheit nahezu verdammt ist: „Frei sein heißt zum Freisein verurteilt sein.“
Auch das ist alles andere als einfach zu verstehen. Sartre meint damit, dass, egal in welcher Situation ich mich befinde, wie ausweglos oder gebunden sie auch sein mag, ich mich immer zu dieser Situation verhalten kann und muss. Ich kann, ich muss mich in jedem Moment selbst entwerfen und nur ich bin für diesen Entwurf verantwortlich. Eine radikale Form der Freiheit in der ich immer in der Verantwortung stehe – aber Freiheit ist in fast allen Entwürfen die andere Seite der Verantwortung – darum ist man auch verurteilt.
Ein starker und harter Entwurf von Freiheit, der auch klar machen könnte, warum Sartre hier überhaupt von „verurteilt“ spricht. Wie bei allen Angeboten kann man den Existentialisten folgen, muss es aber nicht, aber die ganze Denkrichtung ist es wert betrachtet zu werden. Die Pointe des Existentialismus liegt darin, dass ich auch dann, wenn ich mich als vollkommen unfrei sehe, diese Sicht mein Entwurf ist. Ich bin es, der oder die sich letztlich zu jemandem macht, der nie was dazu konnte, dass alles so gekommen ist, auch das zu entwerfen ist unsere Freiheit.
Das heißt, die Frage, wie es sich denn nun wirklich verhält mit der Freiheit, hängt in einem sehr starken Maße von uns selbst ab und das ist nicht kontraintuitiv, sondern gegen den Zeitgeist, in dem man sich meist erzählt, wer daran Schuld ist – außer einem selbst – dass alles so gekommen ist, wie es kam.
Die Freiheit des Ich

Auch bei manchen sportlichen Aktivitäten kann und muss man sich ganz hingeben, damit es funktioniert. © Boris Thaser under cc
Das ist die Freiheit des Ich, sich jederzeit selbst zu entwerfen und wahlweise groß oder klein zu machen. Wenn ich es bin, der seine Welt entwirft – im Sinne einer Interpretation, nicht im Sinne einer Schöpfung – dann bin bin ich nicht nur verantwortlich für meine Position und Rolle in der Welt, sondern ich setze auch die der anderen. Wenn ich mich als jemanden entwerfe, der schon nicht gefragt wurde, ob er überhaupt auf diese Welt kommen wollte, weder seine Gene, noch seine Erziehung oder Umgebung beeinflussen konnte, dann kann man das machen, nur ist dieser Entwurf einer, in dem ich mich selbst maximal unfrei erscheinen lasse. Alle anderen kann ich dann dafür, dass die Welt so ist, wie sie ist und im Einzelfall auch dafür, dass es mir schlecht geht, verantwortlich machen.
Ist vielleicht eine Geschmacksfrage, psychologisch ein Eigentor – eine lange Erklärung findet sich in Psychische Heilung aus der Sicht zweier ungleicher Geschwister – aber darüber hinaus muss man, wenn man sich so entwirft, allen anderen zugestehen, dass sie es ebenso tun. Dann ist auf einmal niemand mehr für irgendwas verantwortlich, am wenigsten für das eigene Leben. Aber aberwitzige Situation, mit der nicht nur die Existentialisten brechen, zurecht.
Denn auch wenn dies oder das schon da war, so heißt das nicht, dass man Dinge nicht verändern kann. Denn auch das ist Freiheit, nicht alles blind fortzuführen, sondern auch hier innezuhalten und abzuwägen. Auch wenn es etwas schon 30 oder 3000 Jahre gibt: Ist es gut und richtig so? Kann ich es unterschreiben? Manche Dinge kann man ändern, andere nicht. Die Fähigkeit zu gewinnen, dass eine vom anderen unterscheiden zu lernen, um einerseits nicht lethargisch zu sein, sich andererseits nicht zu dort zu verheizen, wo es keinerlei Sinn hat, ist ein nächster Akt der Freiheit des Ich.
Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit wird das in der Regel bezeichnet und Hegel gilt als Urheber, Kant formulierte es ähnlich. Keine Willkür, aber auch kein Grund zum depressiven Rückzug. Wenn ich aber nun mindestens Mal Akteur meines eigenen Willens und meiner eigenen Handlungen bin, stehe ich auch in der Verantwortung dafür, wie ich mit den anderen umgehe. Die wuseln ja auch in der Welt herum und zu ihnen muss ich mich verhalten.
Wenn ich sage: ‚Ist mir doch egal, es muss jeder selbst gucken, wo er bleibt‘, dann kann ich mich nicht darüber beschweren, wenn andere das auch tun und eine Welt von Missgunst und Konkurrenz wird entstehen. Eine Lösung kann sein, in ihr besonders trickreich und gerissen zu agieren, denn wenn ich darin nur gut genug werde, kann ich tatsächlich tun und lassen, was ich will.
Ein Sichtweise, die man nachvollziehen kann, die aber unterm Strich nicht aufgeht (vertiefend: Aggressives oder friedliches Verhalten: Wer gewinnt?), es sei denn, man strebt den Kampf aller gegen Alle an, Auch das hat man zum Teil selbst in der Hand, nur sind wir es nun schon seit Jahrzehnten gewohnt uns immer mehr von unserer Verantwortung freizusprechen. Da ich aber nur frei bin, wenn ich selbst entscheide und eine Opferidentität immer so angelegt ist, dass ich nie irgend etwas entschieden habe, sabotiert man damit auch die Möglichkeit zur Freiheit. Da das Empfinden frei denken und agieren zu können für uns wesentlich ist, schmerzt das, wenn man den Zusammenhang jedoch nicht erkennt, bleibt man weiter ein Gefangener der eigenen Projektionen.
Das ist die Freiheit des Ich, sich selber entwerfen und verorten zu können und es liegt zu einem guten Stück an uns, wie wir über unser Leben entscheiden, wie unsere Lebensbilanz ausfällt.
Freiheit, Covid-19-Politik und die Proteste
Um Freiheit und ihre gefühlte Einschränkung geht es auch bei den Anti-Corona-Demos, in denen ein betont buntes Publikum gegen eine breite Zahl von empfundenen Einschränkungen protestiert. Man lässt sich nicht davon abschrecken gegen die wiederholten Zumutungen zu demonstrieren, auch wenn unter den Demonstrierenden offen rechtspopulistische oder rechtsextreme Menschen, sowie Reichsbürger anzutreffen sind.
Zu ihnen gesellen sich klassische eher lLinke, so wie Teile einer bürgerlichen Mitte, Esoteriker, Impfgegner, Veganer, offenbar auch Aktivisten für Schwule und Lesben, Menschen, die zusammen das bilden, was man Querfront nennt, gesmsicht mit bunten Vögeln und ganz normalen Bürgern, vereint in der Ablehnung, manchmal bis zum offenen Hass auf die ‚Merkeldemokratur‘. Vermutlich wäre es nahezu unmöglich ein Papier mit Forderungen zu erstellen, auf dem zu lesen ist, für was man nun eigentlich ist, aber man muss auch nicht für etwas demonstrieren, Protest richtet sich bekanntlich gegen die bestehenden Zustände.
Es ist nicht ohne Ironie, dass man heute von einer linksgrünen Meinungsdiktatur spricht, bei der Frau Merkel unter links verortet wird, doch eben diesen Grünen aus der eher rechten Ecke vorgeworfen wurde, es handle sich um bei ihnen um eine reine Dagegen-Partei. In dem Moment, wo man selbst dagegen ist und zwar irgendwie gegen alles, ist das nicht mehr so ein Problem.
Kritisiert wird derzeit ungefähr alles. Für die einen ist Covid-19 eine reine Erfindung, für die nächsten eine harmlose Grippe, von den Testverfahren, über ihre mediale Darstellung bis zu Sinn und Unsinn jeder einzelnen Maßnahme gegen das Virus und der dahinter vermuteten wahren Absicht: Der Regierung, der Wirtschaft, der WHO, von Bill Gates, der Pharmalobby und so weiter, jeder hat das irgendwie schon mal am Rande gehört.
So schwer es ist darin eine gemeinsame Linie zu finden, so ungeschickt ist es, all diese Menschen als Extremisten und verschrobene Spinner anzusehen und darzustellen, denn das treibt sie nur in die Ecke, sie fühlen sich nicht nur missverstanden und nicht ernst genommen, sie sind es auch. Von offenen Staatsfeinden abgesehen fühlen sich aber auch andere Menschen übergangen, bei vielen Fragen und Entscheidungen der letzten Jahre. Die Corona-Politik ist vermutlich nur ein Sammelbecken das komplex genug ist, damit jeder etwas findet, was ihn schon länger stört, nur sind die einzelnen Aspekte keineswegs gleich schlecht.
Der Versuch mit einem Faktencheck darzustellen, wie es wirklich ist, ist das sicher gut gemeint, aber oft schlecht gemacht. Nicht einmal technisch, denn man müht sich redlich und kann tatsächlich die eine oder andere Wissenslücke füllen. Doch gleichzeitig wird hier ein Denken und eine Sichtweise unterstellt und vorausgesetzt, die längst hinterfragt werden müsste. Die Idee nämlich, dass Fakten etwas sind, was grob gesagt einfach so auf der Straße liegt, die man nur sammeln und zusammenstellen muss, weil sich durch sie für jeden das gleiche Bild ergibt, wie bei einem Puzzle, das man irgendwo findet. Das ist nicht der Fall, Fakten sind Bündel bestimmter Sichtweisen, abhängig von Methode, Art des Hinschauens und den bewussten und unbewussten Prämissen oder Vorannahmen, denen man folgt. Die Wissenschaftstheorie weiß längst und was man auch weiß, ist, dass die Wissenschaft selbst keineswegs unideologisch und vorurteilsfrei ist. Dass ärgert zum Glück jene, die das Ideal einer freien und unabhängigen Wissenschaft zurecht hoch halten und man muss diese redlichen Forscher unterstützen.
Ich halte die Idee einer Wissenschaft als objektiver Methode und Gipfel der möglichen Erkenntnis für falsch, aber auch wenn man das tut, kann und muss man Güteklassen der Erkenntnis unterscheiden. Menschen, die nur von Ressentiments getrieben sind und inhaltlich gar keine Ahnung haben, haben natürlich alles Recht zu protestieren, aber sie stehlen sich aus der Verantwortung und beschneiden ihre eigene Freiheit, wenn sie nicht in der Lage sind zu sagen, was sie genau stört. Manchen muss man helfen, ihr diffuses Unbehagen zu artikulieren und es ist völlig in Ordnung und sogar geboten, sich zum Anwalt oder Sprachrohr von Menschen, die sich nicht besser ausdrücken können, die aber Angst und Sorgen haben, zu machen.
Sie müssen gehört werden, selbst wenn sie keine guten Argumente haben, weil es für viele – die sich seit Jahren oder Jahrzehnten übergangen fühlen – schon ein Gewinn ist, dass man ihnen überhaupt man zuhört. Manche unbegründete Sorge kann man im Gespräch wirklich aufklären, manche Wissenslücke füllen, doch längst nicht alle Kritiker sind leichtgläubig oder Covidioten, es gibt hochintelligente Kritiker, mit sehr guten Argumenten zu so ungefähr jeder Sparte der Covid-19 Erkrankungen und ich sage das vor dem Hintergrund meiner eigenen Einstellung, dass ich Covid-19 als eine durchaus ernste Erkrankung ansehe, die für einige Gruppen der Bevölkerung, die bei uns häufig vertreten sind, lebensgefährlich ist.
Es gibt eine Fundamentalkritik der Ahnungslosen, aber eben auch berechtigte Kritik, an den offiziellen Zahlen und den daraus dann abgeleiteten Maßnahmen. Die guten Kritiker sind den durchaus bemühten Faktencheckern, die sich häufig mal eben in das Thema einarbeiten, dabei oft um Klassen überlegen, weil es eben doch einen Unterschied macht, ob man sich seit Jahrzehnten intensiv mit einem Thema beschäftigt oder man am Wochenende ein paar Quellen im Internet recherchiert. Sehr guten Journalisten ist zuzutrauen, dass sie sich sehr gut und hinreichend tief, bei den richtigen Stellen einarbeiten, denn das ist wiederum ihr Spezialgebiet, aber auch hier gibt es wie in der Wissenschaft bei den Protestierenden, größere qualitative Unterschiede.
Es gibt keinen leichten Weg in die Freiheit
Das alles ist lästig, mühselig und komplex. Aber die einfachen Antworten werden nicht mehr geglaubt und es ist ein Stück weit gut, dass das so ist. Dass viele Ansätze nicht über das Niveau primitiver Verschwörungstheorien hinaus kommen, ist bedauerlich, aber diskreditiert nicht jene, die das durchaus schaffen. Wie schon öfter ausgeführt, ist die Zeit für einfache Antworten, auch wenn die Sehnsucht danach groß ist, für die nächsten Jahrzehnte vorbei. In Neue Realitäten stellten wir da, dass es zu viel, zu komplexe Probleme gleichzeitig gibt, um die mit einer Maßnahme aus der Welt zu schaffen, zumal eine Vielzahl der Themen Langlaufthemen sind, die uns erhalten bleiben und da gab es Sars-CoV-19 noch gar nicht.
Es ist unsere Verantwortung so gut, wie es eben geht nach Antworten und Praktiken zu suchen und wer bis hier hin mit liest und aufgepasst hat, wird erkennen, dass dies zugleich unsere Freiheit ist (oder man möge eine bessere Definition für Freiheit vorlegen).
Ideologen wollen uns glauben machen, dass es genau eine Maßnahme ist, die man durchziehen muss, damit die Welt sich in eine bessere verwandelt, es ist die Stärke unserer Kultur gefunden zu haben, dass man vieles nicht probieren muss, sondern es reicht die Argumente zu prüfen.
Es gibt keinen leichten Weg in diese Form der Freiheit, man muss sich durch allerlei zähes Zeug durchwurschteln, aber ist das zu viel verlangt, wenn es um Freiheit geht? Ansonsten ist die Sache vergleichsweise simpel: Egal wie ferngesteuert und manipuliert uns jemand erscheint, so lange er selbst das so will, ist es seine freie Entscheidung, wie schlecht begründet oder wenig reflektiert – die wollen doch nur, dass du so denkst, wach‘ endlich auf – uns das auch erscheinen mag: Wenn einer etwas will, was einfach Modetrend ist und denkt, er wäre sonst nicht vorne mit dabei, dann mag einem das simpel vorkommen, aber jeder hat nun mal das Recht seine Prämissen selbst zu setzen. Wir wissen inzwischen, dass eine Erziehung zu Kritik und Unabhängigkeit nicht das ist, was jeder will und daher auch ein Pushen in diese Richtung oft den Charakter einer Zwangsbeglückung hat.
Die Freiheit vom Ich

Ganz versunken in das, was man tut, vergisst man sich für Momente oft selbst. © Boris Thaser under cc
Die Freiheit des Ich, ist die Freiheit rationale Entscheidungen auf der Basis selbst gewählter Prämissen zu treffen. Aber kann es auch eine Freiheit vom Ich geben?
Es sind vor allem Mystiker, die diese Frage mit ‚Ja‘ beantworten und dabei nicht schwärmerisch sind, sondern eher sehr technisch. Am meisten ist diese Einstellung aus dem Buddhismus bekannt, aber auch bei uns finden wir Stimmen. Inzwischen sind die Punkte gut genug behandelt, um sie darzustellen.
Das Ich ist das, aus dem heraus wir Innen- und Außenwelt erleben. Wir haben nicht ein Ich, wir sind Ich. Die ganze Psychotherapie ist im Grunde daran interessiert, dieses Ich zu stabilisieren, weil ein kompletter Ich-Verlust einer Psychose entspricht und eine Ich-Schwäche kein angenehmer Zustand ist. Die Möglichkeit einer gesunden Form der Ich-Losigkeit oder Überwindung ist im Grunde bei uns nicht vorgesehen.
Dennoch können Menschen, die Meditieren zuweilen eine überraschende Erfahrung machen, denn es gibt Erfahrungen in der Meditation, in denen man nicht etwa weggetreten oder in Trance ist, sondern klar und wach mit offenen Augen da sitzt, aber zusätzlich stellt sich noch ein bis dahin vollkommen unbekanntes Gefühl ein. Das Ich ist weg. Das ist ungewöhnlich und muss daher erklärt werden.
Wir haben üblicherweise keinen Zweifel daran, dass wir etwas erleben. Ich bin es, der oder die diesen Satz so eben gelesen hat, ich bin es, der oder die heute Morgen aufgestanden ist, vielleicht etwas geträumt hat, Kaffee oder Tee getrunken hat und so weiter. Egal was wir tun, wir erleben es als Ich oder wenn nicht, wie bei Tiefschlaf, Bewusstlosigkeit oder ‚Filmriss‘ (nach zu viel Alkohol), erleben wir es eben auch nicht. Das ist so selbstverständlich, dass wir es nicht einmal erwähnen, es ist halt ganz einfach so. Umso seltsamer ist die Erfahrung, wenn es anders ist. Man erlebt die Welt ganz klar, nur ohne das Empfinden, dass ich es bin, der oder die es erlebt.
Für jene, die es erleben sehr ungewöhnlich, den spirituellen Meistern aber durchaus bekannt. Daher ist die Reaktion der Buddhisten auch, dass man sich erst mal wieder beruhigen soll. Mit unseren Hintergrund können und müssen wir fragen, warum man sich denn an diese Situation erinnert und wer es denn eigentlich ist, wenn nicht das Ich, das sich erinnert.
Spirituelle Meister machen uns darauf aufmerksam, dass man auch an dieser Erfahrung hängen bleiben kann. Das ‚Ziel‘ spiritueller Erfahrungen ist das Erwachen oder die Erleuchtung, aber das ist nicht irgendwas, über das man fabulieren kann, sondern die Abwesenheit jeder Form von Anhaftung. Spirituelle Erfahrungen sind so gut wie immer außergewöhnlich und wir neigen dazu uns in diese Wow!-Erfahrungen zu verbeißen oder eben an ihnen doch wieder anzuhaften. Wir sind fasziniert, dass wir so etwas nach endlosen und langweiligen Jahren des faden Sitzens, doch erlebt haben und auf einmal ist unser Ich hellwach und präsent.
Hierfür hat sich die Mühe ja dann doch gelohnt, jetzt kennt es sich aus, kann berichten, was es erlebt hat, ist auf einmal kompetent … und so gut wie alle Schulen der Spiritualität haben die riesige Gefahr gesehen, die darin liegt, denn diese Erlebnisse pushen das Ich, statt es zu überwinden.
Nur leider wird man dies auch durch Bescheidenheit nicht los, denn was man erlebt hat, hat man ja nun mal erlebt, es war ja da und echt. Man versucht das irgendwie in den Alltag zu retten. So prüft man sich unablässig, tut etwas und kontrolliert fortwährend, ob man dabei auch achtsam, klar und bewusst genug ist, will ganz bei dem sein, was man macht und sich dabei beobachten und beides geht nicht zusammen. Es ist wie der Versuch Wasser und Öl zu mischen, es entmischt sich immer wieder.
Die merkwürdige Paradoxie der Freiheit
Vom Ich loszulassen heißt also auch noch von dem Hang loszulassen, sich zu beobachten. Darum geht es eigentlich auch in der Meditation. Es fängt damit an, dass man sich besonders intensiv wahrnimmt, den Körper, die Gefühle, das Denken und es geht damit weiter, dass man irgendwann davon loslassen kann, weil man den Strom des ewigen Wandels entdeckt. Die Dinge, die Empfindungen, die Gedanken kommen und gehen und die einzige Konstante ist der ewige Wandel und der ist eben keine Konstante, sondern wandelt sich.
Da haben wir den Salat. Das Ich wollte sich die ganze Zeit so gerne festhalten und glaubte, die Erfahrung, dass das Ich auch verschwinden kann, sei der definitive Anker, den es setzen kann. Es will diese Erfahrung der Ich-Losigkeit gerne für immer konservieren und das ist bereits die nächste Form des Anhaftens. Doch das Leben fordert uns schon wieder in neuer Weise heraus, es geht weiter, etwas anderes wird verlangt, als über die Frage der Ichlosigkeit zu sinnieren und es bleibt nichts weiter als das Versprechen, das man am Anfang in der Regel schon mal gehört und nie geglaubt hat, dass es nichts zum Festhalten gibt.
Das ist einigermaßen ernüchternd, weil es das ist, von dem wir im Grunde nichts haben und das ist der wesentliche Schlüssel. Auf die Frage, was ich denn eigentlich von dem ganzen mühsamen und anspruchsvollen Projekt Spiritualität habe, muss man ehrlicherweise antworten: Nichts. Weil der oder die, die die Frage stellt am Ende dieses Weges nicht mehr existiert.
Das Ich zu überwinden heißt aber nicht von einer Wolke auf sich selbst hinab zu blicken, sondern diesen Schritt noch zu überwinden und sich nur noch dem zu überlassen, was einem gerade begegnet. Selbstvergessen, wenn man es so ausdrücken will. Man ist einfach da und vertraut darauf, in der Situation das Richtige zu tun, weil es das ist, was man über Jahre gelernt hat. Es wird automatisch gestärkt, kommt zum Vorschein oder rückt in den Vordergrund, wenn man – aber das in an dem Punkt ohnehin klar – nicht mehr ständig hochrechnet, was man selbst davon hat, wie man da steht, ob einem auch nichts passiert und so weiter.
Das ist gewissermaßen zwar der Ausgangspunkt jedes spirituellen Weges, aber alle, die sich ein wenig damit auskennen wissen, dass das unterwegs gerne mal vergessen wird und zwar nicht ein mal, sondern eher ein Dutzend mal. Es kommt jedoch auch eines zum anderen, die Teile passen gut ineinander, vor allem kann man da wo man sich gerade befindet anfangen, den Weg zu gehen. Man steht immer schon an der richtigen Stelle, zu meinen, es sein anders – man bräuchte mehr Zeit oder eine andere Umgebung – sind schon wieder Projektionen des Ich, das sich vorstellt, wie es wohl ist, wenn man erleuchtet ist.
In radikaler Weise vom Ich loszulassen heißt eigentlich genau das, alles abzustreifen, was einen bindet. Bequemlichkeiten, Hochrechnung, was man vielleicht über ein paar Ecken doch noch davon hat, wenn man nun so ein netter und offener Mensch ist (wenigstens gutes Karma) oder so ein Gefühl des über den Dingen Stehens, bei dem einem im Grunde alles egal ist, weil man gelassen und gleichmütig ist oder eben die Selbstsicherheit auf Erfahrungen zurückblicken zu können, die andere nicht haben. Das ist alles schön und gut, solange man sich nicht in diese Dinge verbeißt und eine Identität draus strickt.
Wenn man auch davon loslässt und akzeptiert, dass man keinen Gewinn aus dem zieht und ziehen wird, was man erlebt hat, ist man wirklich angekommen. Es geht einfach immer weiter, wie für jeden anderen Menschen, für jedes fühlende Wesen auch. Wenn man das akzeptieren kann, ist es nicht wichtig, ob man 20.000 Stunden meditiert hat und anders herum kann man auch nach dieser Zeit noch immer subtil anhaften. Doch das Ich zu überwinden, die Freiheit vom Ich in diesem Sinne ist durchaus möglich, wir alle kennen Momente, in denen uns das gelungen ist. Es ist nicht falsch, dazwischen auch wieder ein Ich zu sein, weil wir als dieses unseren Alltag bewältigen, aber wir können uns davon auch wieder lösen, ganz egal was wir tun.
Die Freiheit des Ich besteht darin, sich rational zu entwerfen. Theoretisch ist das nicht leicht zu verstehen, wenngleich in vielen Aspekten kontraintuitiv. Praktisch ist es nicht so schwer, man muss nur einverstanden mit dem sein, was man tut. Die Freiheit vom Ich ist auf der einen Seite radikaler und noch schwerer zu verstehen, im Grunde ist dies eine Praxis, bei der erst im Verlauf derselben das Verständnis durch das Praktizieren entsteht und die rationale Einordnung verfehlt im Grunde immer den Punkt oder bleibt zumindest defizitär. Praktisch ist es jedoch fast noch einfacher in den Zustand der Selbstvergessenheit zu gelangen. Man darf nur nicht der Versuchung erliegen, diesen festhalten zu wollen. Dies zu verstehen, aber dennoch zu tun, ist die Funktion des Ich, doch niemand hindert uns daran, von ihm immer wieder loszulassen. Die Möglichkeit im Moment und bei dem, was man tut anzukommen, ist in jedem Moment gegeben. Diese Freiheit kann uns niemand nehmen.