Eine der Hauptängste von Menschen im höheren Erwachsenenalter ist es, später an Demenz zu erkranken. Neurodegenerative Erkrankungen wie zum Beispiel Alzheimer aktivieren düstere Szenarien in unseren Köpfen. Wir fürchten, regungslos unser Dasein in Pflegeheimen zu fristen. Bis auf einige, immer weniger werdende, wache Momente werden wir geistig mehr und mehr ins Dunkle dämmern. Die klinische Forschung dahingehend, ob man Alzheimer vorbeugen kann, läuft auf Hochtouren. Und es konnten bereits einige Schutzfaktoren ausgemacht werden, welche das Risiko an einer Demenzerkrankung zu erkranken, verringern könnten. Neben den Faktoren des Lebensstils scheint es zudem bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zu geben, die sich präventiv hinsichtlich einer Alzheimer-Erkrankung auswirken könnten. Welche das sind, zeigen wir in diesem Artikel.
Alzheimer: Epidemiologie
In Deutschland sind derzeit circa eine Million Menschen an Alzheimer-Demenz erkrankt. Die Zahl soll sich in den kommenden zwanzig bis dreißig Jahren verdoppeln. Der Mediziner Frank Jessen, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Köln und Leiter einer Kooperations-Einheit am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, sagt in einem Interview mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, dass diese Entwicklung aufgrund der immer älter werdenden Menschen in unserer Gesellschaft zwar zu erwarten sei, gleichzeitig aber auch Hoffnung mit sich brächte.
Etwa jeder Fünfte bei den Achtzigjährigen, so Jessen, erkrankt an einer Demenz. Bei den Neunzigjährigen ist es jeder Zweite. Mit zunehmender Lebenserwartung steigen die Fallzahlen. Auf der anderen Seite zeigt sich gemäß der Aussage des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie, dass es weniger Neuerkrankungen als noch vor einigen Jahren gibt. Als einen möglichen Schutzfaktor macht Jessen die Neuroplastizität des Gehirns aus.
Neuroplastizität: Können wir Alzheimer vorbeugen?
Das Gehirn besitzt zeitlebens die Fähigkeit, sich zu regenerieren. Benachbarte Hirnregionen können bis zu einem gewissen Grad Funktionen von beeinträchtigten Gebieten (z.B. nach einem Schlaganfall) übernehmen. Unser Gehirn ist in der Lage, sich bis zu einem bestimmten Punkt neu zu »organisieren«. Die bessere Bildung in westlichen Gesellschaften genauso wie ein starkes Herz-Kreislauf-System, ein gesundes Ernährungsverhalten und ausreichende Bewegung sowie geistige Aktivität können die Neuroplastizität des Gehirns unterstützen und damit dem altersbedingten kognitiven Abbau entgegenwirken.
Ferner ist es kein Geheimnis mehr, dass auch die soziale Anbindung im Alter sowie die Ausübung von Hobbys die Wahrscheinlichkeit für neurodegenerative Erkrankungen verringern kann. Kurzum: Auch im Alter sollte man sich dem Leben nicht verschließen.
Zudem hat eine Studie kürzlich herausgefunden, dass auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale mit einem verminderten Risiko für Alzheimer einhergehen könnten.
Gibt es eine Anti-Demenz-Persönlichkeit?
Die Forschergruppe um den Mediziner Prof. Panteleimon Giannakopoulos von dem Department of Psychiatry der Schweizer University of Geneva untersuchte den Zusammenhang zwischen den Big Five Persönlichkeitsmerkmalen und möglichen Veränderungen im Gehirnvolumen im MRI.
Die fünf Persönlichkeitsdimensionen der Big Five sind ein Ansatz zur umfassenden Beschreibung der menschlichen Persönlichkeit und zählen zu den empirisch am besten geprüften Modellen / Instrumenten zur Erhebung der Persönlichkeit in der Psychologie.
Über MRT- und PET-Diagnostik und den Nachweis von Eiweißablagerungen (Amyloid-Plaques) können strukturelle Veränderungen im Gehirn festgestellt werden, die mit Alzheimer einhergehen.
Giannakopoulos et al. (2020) untersuchten die Veränderungen bei Älteren in einem Follow-up-Zeitraum von 54 Monaten. Die Ergebnisse in Verbindung mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften überraschen.
Welche Persönlichkeitsmerkmale könnten vor Demenz schützen?
Wie sich in der Studie zeigte, gehen geringere Verträglichkeitswerte mit einem geringeren Gehirnvolumenverlust u.a. in Bereichen des Hippocampus und der Amygdala einher. Hohe Verträglichkeitswerte weisen aus, wie sehr jemand altruistisch, kooperativ und nachgiebig ist. Niedrige Verträglichkeitswerte stehen für eine stärkere Konzentration auf sich und die eigenen Vorteile.
Auch die Offenheit für Neues geht offenbar mit weniger Verlusten im Gehirnvolumen beim Hippocampus einher. Menschen, welche eine große Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen besitzen, gelten als äußerst einfallsreich, kreativ, intellektuell aufgeschlossen und interessiert an Kunst, Wissenschaft, Reisen etc.
Wer also weniger sozial verträglich ist, dafür aber eine große Offenheit für Neues besitzt, scheint einen gewissen Schutz vor dem Abbau von Hirnvolumen in Arealen, die vulnerabel für Neurodegeneration sind, zu besitzen.
Muss die Ellbogengesellschaft demnach auf dem Vormarsch sein?
Dass man durch die Offenheit für Neues Alzheimer vorbeugen kann, scheint naheliegend zu sein. Wer sich mit Begeisterung für seine Umwelt und andere Menschen interessiert, dessen Gehirn erhält ausreichend Input, wird ausreichend gefordert und bleibt somit im Training. Interessant ist demgegenüber, dass eine gewisse individuelle Streitbarkeit und Streitlust mit anderen ebenfalls dem Schutz des Gehirns vor neurodegenerativen Erkrankungen zuträglich sein soll. Möglicherweise sind weniger kooperative und stattdessen mehr auf Konkurrenz orientierte Menschen bezüglich ihrer Gehirne tatsächlich mehr im Training. Denn sie bleiben geistig reger, da es ihre Motivation ist, recht zu behalten. Diese Menschen besitzen die Fähigkeit, für ihre Interessen zu kämpfen und werden dafür sicherlich viele gedankliche Abwägungen und Umwege in Kauf nehmen. Sie sind eher misstrauisch und in hab-Acht-Stellung vor möglichen Angriffen auf ihre Persönlichkeitsrechte, demzufolge ihr Gehirn ebenfalls fortwährend gefordert ist.
Natürlich sollten wir uns nun nicht wie die Axt im Walde benehmen, um Alzheimer vorbeugen zu können. Wir sollten nicht auf unser Recht beharren, komme, was wolle, nur um unser Gehirn vor neurodegenerativen Erkrankungen zu schützen. Ungeachtet dessen scheint die Vertretung der eigenen Interessen in sozialverträglichem Maß bis ins hohe Alter durchaus von Nutzen zu sein.