Ideologische und pathologische Entmenschlichung

Mann auf Folterliege mit Trichter in Mund

Normale Menschen sind in der Lage andere zu quälen und zu foltern. © Bernt Rostad under cc

Es gibt Menschen, die Ideologie generell kritisch sehen, was wohl auch von der Definition des Begriffs und dem eigenen ideologischen Hintergrund abhängt. Aber Begriffe wie Ideologie, Weltbild, Glaube, Überzeugung oder Wir-Gefühl hängen eng zusammen. Wir hatten bei chronisch Kriminellen, die sich dem antisozialen Ende des Spektrums allmählich annähern, herausgefunden, dass auch ihnen die Dehumanisierung oder Entmenschlichung eigen ist. Es ist nicht leicht zu morden, auf Augenhöhe schon gar nicht. Bei pathologisch schwer gestörten Kriminellen ist die Entwertung anderer fester Bestandteil der Persönlichkeitsstruktur.

Beim oft ’nur‘ narzisstischen Rest muss die Ideologe nachhelfen zu bestätigen, dass man auf dem richtigen Weg ist und es gibt eine innere Beziehung zwischen der Ideologie, die man bevorzugt und der Persönlichkeitsstruktur. Otto Kernberg dazu:

„In Übereinstimmung mit Green vertrat ich die Ansicht, dass die Unfähigkeit, sich einem Wertesystem verpflichtet zu fühlen, das über Grenzen selbstsüchtiger Bedürfnisse hinausgeht, gewöhnlich eine schwere narzisstische Pathologie widerspiegelt. Die Verpflichtung gegenüber einer Ideologie, die sadistische Perfektionsansprüche stellt und primitive Aggression oder durch konventionelle Naivität geprägte Werturteile toleriert, gibt ein unreifes Ich-Ideal und die mangelnde Integration eines reifen Über-Ichs zu erkennen. Die Identifizierung mit einer „messianischen“ Ideologie und die Akzeptanz gesellschaftlicher Klischees und Banalitäten entspricht daher einer narzisstischen und Borderline-Pathologie.“[12]

Wenn normale Menschen grausam werden, dann finden wir, in unseren Breitengraden, häufig folgende Mixtur: Ein gewisser Grad an Pathologie, erlebte Kränkungen und Demütigungen sowie Regressionen in einem Umfeld Gleingesinnter, können dafür sorgen, dass auch nicht schwer gestörte oder gelegentlich sogar psychisch normale Menschen zu Mördern, Sadisten oder Terroristen werden.

Die Rolle der Ideologie ist dabei ambivalent. Auf der einen Seite schützt sie die Individuen, die an sie glauben. Kızılhan sagt, dass Menschen, die auch nach grauenvollen Taten weiter von ihrer Ideologie überzeugt sind, diejenigen sind, denen es psychisch besser geht. Die innere Überzeugung gibt ihnen die Ruhe und Gewissheit für eine gute Sache zu stehen. Erst Menschen, die ihre Taten reflektieren, kommen in die Ungewissheit, und die Reue macht sie zunächst krank, auch wenn sie das reifere Empfinden ist.

Eine Ideologie, ein Weltbild gibt Struktur, Schutz und psychische Stabilität. Es lohnt sich immer wieder darüber nachzudenken, wie wichtig psychologische Rollen und kulturelle Identitäten sind. Einerseits ist es gut und richtig, dass nicht jeder Mensch umsonst zu unserer Gesellschaft dazu gehört. Andererseits sollten die Hürden auch nicht frustrierend hoch sein und mehr an kulturellen als an biologischen Eigenschaften orientiert sein. Man kann von jemandem verlangen, sich an ein Wertesystem anzupassen, nicht an die Hautfarbe.

Die ambivalente Rolle der Ideologie sollte nicht dahingehend interpretiert werden, dass man meint, es sei ein Vorteil auf jede Form der Ideologie zu verzichten. Hier gilt es genau hinzuschauen, denn wer nicht bereit ist sich irgendwelchen Regeln unterzuordnen, ist eher präkonventionell, als postkonventionell. Zum Unterschied: Stufen der Moralentwicklung. Ideologie ist ist auch das, was Resilienz ermöglicht, Ideale zu haben ist wichtig für uns, bietet uns eine Orientierung und kaum etwas führt zu mehr Verunsicherung, als keine zu haben.

Schlecht wäre auch Folgendes:

„In einem aktuellen Aufsatz untersucht der Psychologe Philip Zimbardo von der University of California, Berkeley, die Täterpsychologie: Unter welchen Bedingungen werden aus gewöhnlichen Menschen folternde Sadisten? Unter anderem gibt er folgendes Zehn-Punkte-„Rezept“ an:

  1. Gib der Person eine Rechtfertigung für ihre Tat. Zum Beispiel eine Ideologie, „nationale Sicherheit“, das Leben eines Kindes.
  2. Sorge für eine vertragsartige Abmachung, schriftlich oder mündlich, in der sich die Person zum gewünschten Verhalten verpflichtet.
  3. Gib allen Beteiligten sinnvolle Rollen, die mit positiven Werten besetzt sind (z. B. Lehrer, Schüler, Polizist).
  4. Gib Regeln aus, die für sich genommen sinnvoll sind, die aber auch in Situationen befolgt werden sollen, wo sie sinnlos und grausam sind.
  5. Verändere die Interpretation der Tat: Sprich nicht davon, dass Opfer gefoltert werden, sondern dass ihnen geholfen wird, das Richtige zu tun.
  6. Schaffe Möglichkeiten der Verantwortungsdiffusion: Im Falle eines schlechten Ausgangs soll nicht der Täter bestraft werden (sondern der Vorgesetzte, der Ausführende, etc.).
  7. Fange klein an: Mit leichten, unwesentlichen Schmerzen. („Ein kleiner Stromschlag von 15 Volt.“)
  8. Erhöhe die Folter graduell und unmerklich. („Es sind doch nur 30 Volt mehr“)
  9. Verändere die Einflussnahme auf den Täter langsam und graduell von „vernünftig und gerecht“ zu „unvernünftig und brutal“.
  10. Erhöhe die Kosten der Verweigerung, etwa indem keine üblichen Möglichkeiten des Widerspruchs akzeptiert werden.

Die These Zimbardos und eine Interpretation des Milgram-Experiments ist, dass unter solchen Rahmenbedingungen die meisten Menschen bereit sind, zu foltern und anderen Menschen Leid anzutun.“[13]

Gut hingegen ist, Ideologien zu vertreten, die einerseits klare Orientierung bieten, andererseits nicht faschistisch und entwertend gegenüber jenen sind, die nicht mitmachen wollen. Menschen sind prinzipiell auch zur Aggression fähig, das sollte bedacht werden. Orientierungen, die insgesamt weniger auf ein Kollektiv abzielen, als vielmehr das Individuum und seine Verantwortung in den Mittelpunkt stellen, sind in diesem Kontext gut. Wir sahen oben, beim Milgram-Experiment, dass ein Gefühl für Verantwortung ein Individuum schützt, jeden Befehl blind auszuführen. Ein reifes Ich, das sich nicht narzisstisch als Nabel der Welt versteht, sondern konstruktiv und kreativ einbringt, aber auch Grenzen setzt. Ideen des gemeinsamen Lebens sind ja auch Einladungen, man hat das Recht zu formulieren, unter welchen Bedingungen diese stattfinden. Wer nicht will, der muss ja nicht, sollte dafür dann aber auch nicht noch belohnt werden.

Wenn normale Menschen grausam werden, ist eine Idee schwer entartet. Das kann man erkennen und ändern. Klarheit und Struktur, zu der auch Grenzen gehören, beißen sich nicht mit einer prinzipiellen Offenheit für alle Gutwilligen. Wie wir sehen, ein schwierig zu findendes Gleichgewicht, aber ein wichtiges. Wir müssen uns klar werden, was wir wollen, uns trauen das zu formulieren und jeweils angemessen zu verteidigen. Law and Order ist ein Rezept, was Regressionen eher fördert und zu Grausamkeiten einlädt, doch davon gibt es schon genug. Auf klare Ziele kann man auch flexibel zusteuern, wir müssen sie nur formulieren.

Quellen