Frau mit reuigem Gesichtsausdruck

Bitte, verzeih‘ mir. © Sibel under cc

Bereuen und Verzeihen sind menschliche Eigenschaften, die wir nicht nur als psychisch reif und positiv betrachten, sondern die obendrein noch zeigen, dass der Mensch zu Qualitätssprüngen in der Lage und kein reiner Strategiespieler ist.

Die Stimmen, die uns allen erklären, dass der Mensch überall nur seinen Vorteil sucht, sind zahlreich. Er sei zwar ein manchmal sehr raffinierter, aber letztlich eben doch nur ein Strategiespieler. Das Ziel des Spiels ist gleichzeitig sein Motiv, der Vorteil um des Vorteils Willen. Egal was wir machen, ob wir tadeln oder loben, drohen oder kuschen, kooperieren oder unseren eigenen Weg gehen, selbst wenn wir großzügig sind, stets gehe es darum, so heißt es aus bestimmten Ecken, den eigenen Vorteil zu maximieren und wer das nicht erkenne, sei naiv oder unwissend.

Wir stellten hier bereits einige Vertreter der Soziobiologie und der Wirtschaftswelt als jene vor, die diese Sichtweise vorrangig einnehmen. Doch es gibt darüber hinaus weitere: bei der politischen Interaktion von Staaten untereinander und beim Umgang der Kriminalpsychologen mit Straftätern.

So gut wie alle Staatsführer sind gesetzlich verpflichtet, das Wohl ihres Landes im Auge zu haben und zu vergrößern, eine Rolle, die freilich unterschiedlich interpretiert wird. Doch hier geht es wirklich darum, die eigenen staatlichen Interessen offensiv oder geschickt durchzusetzen. In der Kriminalpsychologie ist das Ziel, mit einem Täter so umzugehen, dass der Schaden minimiert wird und der Täter keinen Erfolg hat, dort völlig zurecht.

Diesen Vorgang, zu berechnen, was der andere vorhat und zu wissen, dass dieser dasselbe tut und dies noch einmal zu einem „Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß“ zu wenden, ist ein Strategiespiel, das man einem Computer überlassen kann, der dann mögliche Handlungsstrategien im Voraus berechnen kann, besser als der Mensch. Aber der Computer kann diese Ebene nicht verlassen.

Bereuen und Verzeihen verlassen die Strategiespielebene

Im zwischenmenschlichen Bereich reifer Personen ist das anders. Bereuen und Verzeihen sind keine neuen, besonders raffinierten Spielzüge einer Strategie, bei der man vorgibt so zu tun als ob – auch wenn man das durchaus vorspielen kann -, sondern stellen ein Verlassen dieser Ebene dar, einen emotionalen Qualitätssprung.

Zur Reue ist nicht jeder in der Lage. Es gibt Menschen, die fähig sind ein scheinbar bereuendes Schauspiel abzuliefern und möglicherwiese können sie viele Menschen damit täuschen. Ob das nun besonders raffiniert oder ein Eigentor ist, ist eine andere Frage. Reue macht einen inneren Sprung von einer rein egozentrischen Einstellung, die fortwährend fragt wie man am besten aus der Nummer rauskommt, zu einer Einstellung, die den Fokus wendet und sich fragt, was man dem anderen Menschen da angetan hat. Mit der Reue ist so gut wie immer ein eigener Wunsch nach Wiedergutmachung verbunden.

Wenn der andere aufrichtig bereut, ist es leichter ihm zu verzeihen. Doch auch wenn jemand zum Bereuen nicht in der Lage ist, weil seine Persönlichkeitsstruktur das (noch) nicht zulässt, so kann der Akt des Verzeihens dem andern signalisieren, dass Menschen auch anders können, als es dem anderen stets mit gleicher Münze heimzuzahlen. Auch das Verzeihen kann aus egozentrischen Motiven stattfinden, etwa wenn man glaubt, man bekäme eine besondere Anerkennung – oder bei religiösen Menschen einen Platz im Paradies -, wenn man sich als großherzig und milde erweist. Doch wie die echte Reue ist auch das Verzeihen ein Akt, der, wenn er gelingt und aufrichtig ist, den Betreffenden selbst befreit, ihm den Groll nimmt und dem anderen eine Chance gibt.

Nebenbei steigt man aus dem Strategiespiel aus und drückt die „Reset“-Taste. Voraussetzung für die Fähigkeit zum Bereuen und Verzeihen ist eine Persönlichkeitsstruktur, die den anderen als Menschen mit eigenen Bedürfnissen, Empfindungen, Interessen und Rechten sieht und anerkennt. Menschen mit Identitätsdiffusion und einem hohen aggressiven Potential in der Psyche können das nicht.

Der Trend, andere Menschen fortwährend so zu betrachten als seien wir alle Egoisten, nur an der Durchsetzung egozentrischer Interessen interessiert – mal plump, mal geschickt, als einziger Unterschied -, bringt allerdings genau jene kalt-distanzierte und berechnende Sichtweise in die Welt, von der behauptet wird, sie mache uns längst aus. Auch deshalb ist es keineswegs unwichtig, mit welchem Blick man seine Mitwelt betrachtet.

Zum Glück können viele Menschen auch anders und man sollte betonen, dass gerade sie es sind, die oft ein besseres und zufriedeneres Leben führen.