Kränkungen sind sowohl in der Psychologie, als auch in der Umgangssprache ein gebräuchlicher Begriff, aber eigenartig wenig und dünn definiert. Im Begriff steckt das krank Machende. Kränkungen können oft tatsächlich im landläufigen Sinne krank machen, da unser Körper, wie wir immer mehr verstehen, eine psychosomatische Einheit ist.
Emotionen als Bindeglied
Emotionen sind außerordentlich komplex in ihrer Funktion. Es gibt keine einheitliche Sprachregelung, aber es macht Sinn, zwischen Affekten und Emotionen zu unterscheiden. Manchmal redet man statt Affekten auch von Grund- oder Basisemotionen. Mit Affekten ist hier das gemeint, was das Kind zu äußern imstande ist, wenn es auf die Welt kommt und noch nicht unter dem Einfluss erzieherischer oder soziokultureller Einflüsse steht. Es ist umstritten, wie viele angeborene Affekte es gibt, die Fähigkeiten Wut, Ekel, Trauer und Überraschung auszudrücken gehören zum Beispiel dazu.
Doch schnell werden diese Affekte überformt, beispielsweise dadurch, dass manche von ihnen gern gesehen sind und manche in ihrem Ausdruck unterdrückt werden. Und so hat jede Kultur auch ihre weiterreichenden Vorstellungen, die ein Mädchen oder Junge, eine Frau oder ein Mann zu sein hat und demzufolge werden manche Affekte im Ausdruck verändert, unterdrückt, andere gefördert, kurz: kulturell überformt.
So sind beim Ausdruck von Emotionen immer schon und irgendwann untrennbar mentale Konzepte, Vorstellungen, Ideale und Weltbilder mit eingebaut. Das ist gerade auch im Zusammenhang mit Kränkungen bedeutsam. Die andere Seite, mit der die Emotionen verbunden sind, ist der Körper, der in mancher Weise ein Eigenleben führt, in anderer nicht. Auch hier ist es von der Kultur und dem Individuum abhängig wie gut und genau wir unseren Körper kennen. Artisten, Sportler, Schauspieler, Qi Gong und Yoga Meister sicher besser, als der Durchschnittsmensch. Und doch heißt verstehen nicht dasselbe wie beherrschen und ist der Umgang mit diesem Gebiet ein schwieriger.
Wie schon beim Priming gezeigt, ist es auch bei den Emotionen so, dass diese keine scharfen Abgrenzungen kennen, sondern fließend in andere Emotionen übergehen können und die Erregung einer Emotion zum Teil Nebenemotionen erweckt. Und Emotionen sind, wie wir sagten, zum einen mit kognitiven oder mentalen Konzepten verbunden, zum anderen mit dem Körper und seinen Gegebenheiten und Rhythmen. Dieser Zusammenhang ist das, was Psychosomatik bedeutet. Es scheint bei Kränkungen einen hohen psychosomatischen Anteil zu geben, wir widmen uns dem später.
Was sind Kränkungen?
Wenn wir uns die psychische Seite der Kränkungen anschauen, so ist die vielleicht beste, knappe Definition die von Johann Christoph Adelung, der sie als „Ärgerniß mit Traurigkeit verbunden“ bezeichnet.[1] Wir sehen, dass hier zwei Emotionen zusammen wirken, der Ärger und die Trauer. Erst ihr Zusammenspiel macht die Kränkung aus, denn traurig kann man auch sein, wenn das Haustier stirbt, ärgerlich, wenn man sich den Kopf stößt. Wer jedoch gekränkt ist, fühlt sich getroffen, erschüttert.
Meist deshalb, weil man sich etwas anders vorgestellt hatte, als es nun gekommen ist. Eine Idee, eine Phantasie oder Vorstellung und oft eine besondere Erwartung, die wir hatten, erfüllt sich nicht, löst sich in Luft auf, fällt zusammen. Ein Geschenk, was wir liebevoll ausgesucht haben und von dem wir dachten, der andere würde sich darüber sehr freuen, kommt vielleicht nicht wie erwartet an. Das kann kränken. Wir sind traurig, weil wir dem anderen eine Freude machen wollten und ärgerlich, weil es ihn nicht freut oder er es nicht würdigt.
Kränkend ist es auch, wenn eine Leistung von uns nicht so gewürdigt wird, wie wir es meinen verdient zu haben. Etwa, wenn wir uns besondere Mühe gegeben haben, aber nur eine knappes „Danke“ hören, wenn überhaupt. Wir möchten, dass unsere Mühe und Sorgfalt beachtet wird und sind verletzt und gekränkt, wenn das nicht geschieht.
Die Grundstimmung bei Kränkungen scheint zu sein: Ich werde nicht gebührend gewertschätzt oder beachtet.
Kränkungen sind vom Selbstbild abhängig
Daran ist schon zu erkennen, dass das, was der Einzelne als gebührend oder ausreichend empfindet von seinem aktuellen Selbstbild abhängt. Wenn alles im Leben rund läuft, wird manches vielleicht gar nicht als Kränkung erfahren, was im anderen Fall, wenn einer Kränkung schon drei weitere voran gingen ganz anders sein kann. Was der eine hilfreiche Kritik empfindet ist für den anderen eine beleidigende Kränkung. Menschen mit einem gefestigten Selbstbild können besser mit Kränkungen umgehen, als solche mit labilem Selbstbild.
Hier müssen wir noch mal kurz einhaken. In dem Artikel Wie wichtig ist ein starkes Ich? wurde erläutert, dass ein starkes Ich oder gefestigtes Selbstbild oft nicht mit dem identisch ist, wie es zu sein scheint und da dies wichtig ist, wiederholen wir es noch einmal.
Ein stabiles oder starkes Ich ist nicht rücksichtslos und egozentrisch, nur auf sich und seine Ziele und Vorstellungen bezogen, sondern offen, dialogbereit und fähig Kritik anzunehmen. Seine Stärke zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es andere Eindrücke und Sichtweise in Betracht ziehen und in seine Weltsicht einbauen kann, ohne daran zu zerbrechen. Es ist eher dankbar für konstruktive Kritik und fühlt sich nicht auf den Schlips getreten.
Derjenige, der scheinbar unbeirrt seine Bahn zieht und den nicht zu interessieren scheint, was andere denken und fühlen, steht viel eher im Verdacht eine schwaches Ich zu haben, auch wenn ein oft nicht unwesentlicher Teil seiner Lebenszeit damit verbracht wird, sich und anderen das Gegenteil zu beweisen. Für ein labiles Ich ist es wichtig niemanden zu brauchen, weil der Gedanke Hilfe annehmen und dankbar sein zu müssen, unerträglich ist. Hilfe nehmen Menschen mit schwachem Ich zwar gerne an, aber nur, wenn es eine ist, die eigentlich nicht wichtig war, für die sie also meinen, nicht dankbar sein zu müssen. (Die Höflichen unter ihnen äußern zwar zuweilen Dankbarkeit, aber diese kommt eher artig, auswendig gelernt und routiniert abgespult daher, echte Freude oder Wärme bemerkt man nicht.) Die Sortierarbeit für Doofe, das was jeder kann, zu dem man selbst aber keine Lust oder keine Zeit hat, weil man sich um die wirklich bedeutenden Dinge kümmert.
Menschen mit Ich-Schwäche enthalten anderen die Anerkennung vor, die sie selbst so dringend brauchen und, um das Ganze nicht zu einfach zu machen, von der sie nicht zugeben können (und es oft auch nicht wissen), wie dringend sie sie, sowie die Anerkennung und das Lob der anderen selbst brauchen.