Aber was macht den Unterschied aus, wenn man innerlich am Ball ist? Man gibt sich hin. Das Ich ist in dem Moment nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt von allem, sondern geht in etwas Größerem auf. Wer wirkliche Liebe kennt, weiß, wovon die Rede ist, wer von einem Konzert ergriffen ist oder selbst musiziert, wer mal in ein Flow gekommen ist oder auch die positive Seite der Massenregression erfahren hat, der weiß, dass so etwas mindestens entspannt, wenn nicht erhebt.

asiatsiche Frau pustet Konfetti

Die einmal erhaltene Hilfe kann man an andere weiter geben. © Morgan under cc

Beim Altruismus ist es ebenso. Wer altruistisch ist, denkt in dem Moment nicht an sich, sondern hat tatsächlich den anderen im Blick. Und wie bei Gipfelerfahrungen oder zeitweiligen Regressionen erfährt er eine Entspannung, nämlich von der Spannung (bis Hochspannung) die es bedeutet, ständig das eigene Ich im Fokus zu haben und oftmals, es haben zu müssen.

Es ist ein angstbesetzer Schritt vom eigenen Ich loszulassen, aber vermutlich ist das Festhalten am Ich einer, der in unserer Gesellschaft in einem immer größeren Maße trainiert wird. Es geht um Dich, Du bist im Fokus, die Welt sieht Dich, alles ist Bühne, alle Augen nur auf Dich gerichtet, wenn nicht offen, dann doch heimlich, in ehrfürchtiger Bewunderung oder schallendem Gelächter. Wer das denkt, will sich (und andere) kontrollieren, wird oft steif und verkrampft.

Wer wäre man, wenn man nicht derjenige wäre, auf den alle Sinne gerichtet sind? Was wäre, wenn die anderen in ähnlicher Weise um ihr Selbstbild besorgt wären, wie man selbst? Wäre man nicht so oder so einer von vielen? Wenn die Vorstellung schmerzt, dann deshalb, weil man nicht wie die anderen sein möchte, doch in dem Moment, wo man sich exponiert und Gründe dafür findet, warum man ganz anders ist, als „der ganze Rest“ steht man natürlich wieder in der Spannung, die erregend oder beängstigend sein kann, aber die man selbst erzeugt hat.

Erst, wenn man lernt sich hinzugeben, kommt man aus dieser Spannung heraus und der Wert des Altruismus liegt darin, dass er uns die Hingabe ermöglicht, die uns dann tatsächlich – mit einem entspannenden und beglückenden Effekt – belohnt, aber derselbe Effekt tritt vermutlich kaum ein, wenn man die ganze Zeit auf ihn wartet: „Wann entspanne ich mich denn endlich?“, weil man dann noch immer im gegenteiligen Modus unterwegs ist, mit dem Ich im Mittelpunkt.

Ist ein Altruismus großer Systeme möglich?

Wenn uns der Altruismus im Privaten seinen paradoxen Lohn in dem Moment schenkt, wo wir nicht mehr auf ihn warten und im Grunde auch erst dann echte Altruisten sind, denn vorher waren wir Egoisten, die versucht haben, um das eigene Wohlergehen zu vergrößern, Altruist zu spielen, so stellt sich die Frage, ob der Altruismus auf eine ganze Gesellschaft, große Konzerne oder internationale Systeme zu übertragen ist.

Die Regierenden von Staaten haben zumeist einen staatlichen Egoismus (den man hier Soziozentrismus nennen kann) in ihrer Verfassung, der sie dazu verpflichtet das Wohl des eigenen Staates zu mehren, ähnliches erwarten auch Firmen und Konzerne, dass ihre Mitarbeiter ihnen nicht schaden, keine Interna ausplaudern und am Bestand interessiert sind. Diese Pflicht den je eigenen Nutzen zu mehren, bedeutet jedoch nicht zwingend, dass man schlecht zu anderen sein muss. Im Gegenteil, langfristig profitiert man vielleicht am meisten von Win-Win Situationen.

Und doch fällt hier die Möglichkeit der Hingabe weg, kann keine Entspannung eintreten. Ein Staat oder ein Konzern hat keinen Punkt der Identifikation. Man kann zwar sagen, Deutschland habe dieses oder jenes Interesse oder der Konzern möchte seine Gewinne verdoppeln, aber das ist ehe eine Metapher, es gibt kein inneres Selbst, das diesen Konzern oder jenes Land ausmacht, sondern in aller Regel sind die Interessen heterogen, wie man in Deutschland gerade erleben kann. Ganz im Gegenteil zu einer Einzelperson, die sagen kann, was sie will und wer sie ist, ist das bei Staaten, Konzernen und Organisationen keinesfalls so leicht.

Dort, wo viele Subjekte zusammen kommen überlagern sich die Effekte der Übertragung und Gegenübertragung, die wir in jeder Beziehung vorfinden in so vielfacher Weise, dass die Moral eher auf ein niedrigere Stufe regrediert, auf der dann primär Interessen gegen Interessen stehen. Enge Vertrauensverhältnisse unter Repräsentanten eines Konzerns oder Staates, die sich vielleicht schon seit Jahren kennen, können eine andere und persönlichere Färbung ins Spiel bringen, die manchmal zweifelhaft und manchmal gut ist, aber im Zeitalter der Transparenz sind sie vielleicht stärker denn ja unter Beobachtung.

Wer andern eine Tüte trägt, der profitiert mittel- und langfristig in aller Regel selbst davon. Der Wert des Altruismus liegt darin, dass man selbst etwas davon hat und dies vor allem, wenn man es nicht beabsichtigt, darin liegt die Paradoxie des Themas. Eine Ironie liegt darin, dass wir in unserer Gesellschaft tendenziell etwas anderes lernen. Nach Meinung einiger Stimmen greifen Egoismus und Narzissmus in der Gesellschaft weiter um sich.