In jedem Beruf gibt es Menschen, die Meister ihres Fachs sind, und andere, die hinsichtlich ihrer Befähigung hintenanstehen. Gibt man sich vertrauensvoll in eine Psychotherapie, darf seitens des Klienten erwartet werden, dass er bei einem Psychotherapeuten gut aufgehoben ist. Leider ist das trotz einer umfassenden Therapieausbildung nebst verpflichtenden Eigentherapieanteilen nicht immer der Fall. Welche Anzeichen für einen schlechten Psychotherapeuten gibt es? Worauf sollten die Therapiesuchenden achten?
Die therapeutische Einführungsphase nutzen
Bei jedem psychotherapeutischen Kontakt gibt es die sogenannte Einführungsphase, bei der Therapeut und Klient einander kennenlernen. Im Schnitt werden dafür drei bis fünf Stunden anberaumt. Der Klient gibt einen ersten Ausblick über seine individuellen psychischen Belastungen und der Therapeut seinerseits schildert seine therapeutischen Ansatzpunkte. Findet man einander nicht sympathisch oder passen die angebotene Therapie und die Erkrankungsproblematik nicht zusammen, kann der Klient sich nach einem anderen Psychotherapeuten umblicken. Es ist zu empfehlen, die Probatorik, also die Kennenlernphase, ernst zu nehmen. Manch ungutes Bauchgefühl bleibt während der Therapie bestehen und kann die Heilungschancen erheblich beeinflussen. Passen das Alter und das Geschlecht von Therapeut und Klient zusammen? Versteht der Therapeut das persönliche Anliegen oder sind die Blicke auf das Leben zu unterschiedlich? Empfindet man eventuell sogar eine gewisse Antipathie?
Neben der passenden Intervention ist eine gut funktionierende Therapeut-Klient-Beziehung unabdingbar für den Therapieerfolg.
Gibt es bestimmte Anzeichen für einen schlechten Psychotherapeuten?
Auf mehreren Ebenen lassen sich die Anzeichen für einen schlechten Psychotherapeuten prüfen. Sowohl auf kognitiver, als auch auf emotionaler und sozialer Ebene kann man hinterfragen, ob man bei diesem Therapeuten gut aufgehoben ist. Die Einbettung in einen professionellen Kontext sollte ebenfalls stimmen.
Was sagt mir mein Bauchgefühl zum Therapeuten?
Das Bauchgefühl ist nicht zu vernachlässigen. Gerade bei komplexen Situationen kann uns das Bauchgefühl helfen. Es bündelt die Vielzahl aufgenommener Informationseinheiten – die uns oftmals gar nicht bewusst sind – zu einem einzelnen Gefühl. Einem guten oder einem unguten? Welche Anzeichen für einen schlechten Psychotherapeuten könnte dir dein Bauch verraten?
- Du fühlst dich nach der Therapiestunde schlecht oder irgendwie verloren, anstatt befreiter und erleichterter. Deine Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugung wurden nicht aktiviert, stattdessen spürst du eventuell ein Opfergefühl.
- Deine Motivation an der Therapie mitzuarbeiten, lässt deutlich nach. (Im Laufe der Therapie büßt man etwas an Enthusiasmus ein, das ist ganz normal. Dennoch sollte die Bereitschaft weiterzumachen bestehen bleiben.)
- Du glaubst, dass der Therapeut dich zu einer bestimmten Erkenntnis oder Verhaltensweise hinlenken möchte.
- Der Therapeut bricht in der Therapie belastende Ereignisse bei dir auf, auch lange zurückliegende traumatische Erfahrungen, und leitet dich nicht mit einer angemessenen Nachsorge aus der Therapiestunde. (Unter Therapeuten gilt der Satz mit einem Augenzwinkern: Man darf nur so viel innerhalb einer Therapiestunde aufmachen, wie man schafft, am Ende wieder zuzuschütten.)
- Es gibt vom Therapeuten keine gehaltvollen Anstöße für Reflexion, Erkenntnis oder Verhaltensänderung.
Was spürst du auf zwischenmenschlicher Ebene?
Auch die soziale Ebene in Bezug auf das zwischenmenschliche Verhältnis zwischen einem Therapeuten und seinem Klienten verrät einiges an Anzeichen für einen schlechten Psychotherapeuten.
- Du hast ein unbestimmtes Gefühl, dass der Therapeut versucht, dein Freund zu sein. Anstatt eine gesunde therapeutische Distanz zu wahren aus der Postion eines Beobachter bzw. Mediators heraus, wirkt er überaus vertraulich.
- Er fordert blindes Vertrauen von dir.
- Du hast nicht das Gefühl, dass der Therapeut dir aufmerksam zuhört. Er wirkt häufiger abgelenkt oder nicht im Gespräch zugegen.
- Du hast das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Er schenkt deinem Erzählten keinen Glauben und begegnet dir auch sonst mit weniger Respekt.
- Du fühlst dich während der Therapiestunde nicht gut aufgehoben und nicht in vertrauensvoller, sicherer Atmosphäre. Seitens des Therapeuten spürst du keine aufrichtige Empathie.
- Du hast nicht das Gefühl, dass der Therapeut dir etwas zutraut. Im Gegenteil: Du fühlst dich demotiviert.
- Du spürst seinerseits Frustration in Bezug auf deine Lage.
- Er scheint hinsichtlich deiner Situation/Problematik emotional involviert zu sein. (Auch das spricht für eine mangelnde therapeutische Distanz.)
Wie beurteile ich die Psychotherapiesitzungen?
Wenn du mit kühlem Kopf auf die therapeutischen Sitzungen blickst, wie lautet deine Einschätzung der Lage? Gibt es dahingehend weitere Anzeichen für einen schlechten Therapeuten?
- Der Therapeut geht nicht auf deine Fragen ein.
- Er spricht viel über sich selbst.
- Der Therapeut ist stark wertend und urteilt über deine Person und deine Verhaltensweisen oder die anderer Personen.
- Er konfrontiert dich und fordert dich heraus, anstatt sich zurückzunehmen, an deine Stärken zu appellieren und dir dein Tempo zu überlassen.
- Der Therapeut übernimmt die Entscheidungsfindung für dich. Vielleicht warnt er dich sogar vor negativen Konsequenzen, solltest du seinen Empfehlungen nicht folgen.
- Er verspricht, dass alles sich zum Guten wenden wird und weckt unrealistische Erwartungen in dir.
- Seine Lösungen wirken schon beinahe zu einfach auf dich.
Die Einbettung in einen professionellen Kontext
Ein Therapeut sollte nicht nur innerhalb der Sitzungen professionell agieren, sondern auch die Therapiesitzungen in einen fachmännischen Kontext betten. Welche weiteren Anzeichen für einen schlechten Psychotherapeuten gibt es in Bezug auf den allumspannenden therapeutischen Rahmen?
- Du erkennst kein übergreifendes, einheitliches Therapiekonzept, weil ihr keinem roten Faden folgt beziehungsweise er keine klaren Ausblicke und Vorgaben gibt.
- Der Therapeut setzt keine klaren Grenzen und ist nahezu zu jeder Uhrzeit erreichbar, beispielsweise über die Messenger der sozialen Medien (Facebook, WhatsApp etc.).
- Er unterbreitet dir das Angebot, für dich auch außerhalb der Sitzungen immer da zu sein.
- Der Therapeut vergisst bereits besprochene Inhalte und nimmt wiederholt auf Dinge Bezug.
- In den Therapiesitzungen habt ihr des Öfteren Smalltalk.
- Er klärt dich nicht über den Rahmen und die Grenzen seiner Verpflichtung zur Verschwiegenheit auf.
- Er forciert Entscheidungen, die dein Leben betreffen, drängt zum Beispiel zu einer Scheidung oder einen Jobwechsel.
- In Gruppensitzungen übt er einen Druck auf die beteiligten Klienten aus und nötigt sie, etwas zu tun.
- Er wiegelt ab, wenn du weitere Meinungen einholen möchtest. Oder er macht schon vorsorglich das Einholen weiterer Meinungen madig.
Nachdem wir allgemeine Anzeichen für einen schlechten Psychotherapeuten besprochen haben, widmen wir uns im zweiten Teil der Artikelreihe zur Psychotherapeutensuche einem ganz speziellen Thema, einer unangemessenen, sexuell eingefärbten Annäherung zwischen Therapeut und Klient: Sexuelle Übergriffe in der Therapie: Welche Anzeichen? – Psychotherapeutensuche (2).