Bosch, brennende Häuser, Menschen vor Ruinen

Boschs Bilder zeigen oft Menschen, denen vermeintlich der gesunde Menschenverstand fehlt. © cea + under cc

Der gesunde Menschenverstand gehört zu jenen scheinbar allereinfachsten inneren Instanzen, bei deren Gebrauch eine Selbstverständlichkeit mitschwingt, die bei näherer Betrachtung alles andere als selbstverständlich ist. Der gesunde Menschenverstand ist eng verwandt mit Redewendungen wie „Weiß man doch“ oder „Ist doch klar“, die vermeintlich jede weitere Diskussion unnötig machen. Mindestens diskussionswürdig ist die Idee, dass man den gesunden Menschenverstand in jedem vorfindet, als eine irgendwie ordnende Instanz und dem Menschen innewohnende Vernunft.

Was ist der gesunde Menschenverstand?

Laut Wikipedia soll es sich dabei tatsächlich um eine reine Kraft des Verstandes handeln, nicht um Emotion oder Intuition, um ein durchschnittliches Urteilsvermögen, einen konkreten, empirischen, auf Lebenserfahrung beruhenden Verstand und das Resultat einer mündigen Denkweise.[1]

Klingt irgendwie sympathisch. So bodenständig und lebensnah, man könnte auch sagen: Fast zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich ist es fragwürdig, ob es diese uns alle verbindende Kraft gibt. Wenn das so wäre, sollten wir ja alle mehr oder weniger einer Meinung sein, jedoch leben wir aktuell in einer Zeit breiter Kontroversen und eines zunehmenden Verlustes an Vertrauen in so ziemlich jedwede Form von Institution, auch und vor allem der Politik.

Doch gerade populistischen Kräften gelingt es, gegen den Trend der letzten Jahrzehnte, die Bevölkerung und vor allem jene Teile, die schon abgewinkt haben, zu repolitisieren.

Populismus

In der Sendung „Das philosophische Radio“ definierte Claus Leggewie Populismus als die These, dass es ein Volk gäbe, als Einheit, als geschlossenes Ganzes, das von einer Geld-, Macht- oder intellektuellen Elite unterdrückt und/oder manipuliert würde. Populisten geben vor „die Stimme des Volkes“ zu repräsentieren und auszusprechen, was das Volk eigentlich denkt und will.[2] Das, was dieses Volk dann verbindet soll unter anderem der gesunde Menschenverstand sein.

Allerdings ist es mehr als unsicher, ob es diese homogene Einheit des Volkes überhaupt gibt. Vielmehr zerfällt die heterogene Gesellschaft in Gruppierungen mit unterschiedlichen Ansichten, Einstellungen und Zielen, horizontal z.B. in neun größere Lager, die das Sinus-Institut abbildet, vertikal in vielleicht ebenso viele Stufen der Entwicklung, wie wir sie vorgestellt haben.

Populisten erklären zuweilen, dass sie die Stimme des einfachen Menschen abbilden, der ehrlich und gerade heraus denkt und lebt und der sich diesseits aller Ideologie auf seinen gesunden Menschenverstand verlässt, doch bei dieser antiintellektuellen Einstellung wird man, vermeintlich wohlmeinend und zum Teil berechnend, entmündigt, zum Teil einer Gruppe gemacht und es wird einem das Vermögen abgesprochen, selbst zu denken.

Doch der gesunde Menschenverstand soll ja genau dies sein: Die Fähigkeit des mündigen Menschen, zu einem eigenen Urteil zu gelangen.

Wir basteln uns ein Volk

Eine homogene Einheit wird aus einer eher heterogenen Gruppierung vor allem in zwei Situationen. Zum einen, wenn sie sich von einer übergeordneten positiven Idee, einer Vision, einem gemeinsamen Projekt angesprochen fühlen und ihre Ideen kreativ einbringen können. Das wäre ein Aspekt der Schwarmintelligenz, wie man diese Kollektivbewegungen dann gerne nennt. Zum anderen bei einer Massenregression, bei der breite Teile einer Großgruppe oder Masse auf eine niedrige moralische Stufe regredieren, auf der es nur noch Freund oder Feind, dafür oder dagegen gibt.

Der schwarmintelligenten Gesellschaft möchte man gerne mehr Einfluss, auch auf unsere politischen Prozesse zusprechen, doch vor einer tumben, regressiven Masse hat man eher Angst.

Mehr direkte Demokratie wagen?

Der Ruf nach mehr direkter Demokratie scheint für einige eine Lösung zu sein, andere sind gerade in diesem Punkt äußerst skeptisch. Aber wie sollen wir uns entscheiden, was ist richtig? In Deutschland ist, aus durchaus guten, historischen Gründen, eine Angst vor zu viel direkter Bürgerbeteiligung vorhanden. Aber wie lange wollen wir misstrauisch sein? Eine Studie von Amnesty International zeigt, dass Flüchtlinge bei uns (und in China) besonders willkommen sind und es gibt Stimmen, das allgegenwärtige Misstrauen gegen „die Deutschen“, das irgendwie auch deutlich populistische Züge trägt, mal kritisch zu hinterfragen.

Schon die WM 2006 zeigte die Deutschen als nettes Partyvolk, was sogar das Ausland überzeugte. Nicht aber die Skeptiker im eigenen Land. Wehe, wenn sie losgelassen, so die stille Botschaft. Dann würden die Deutschen postwendend zu Nazis, Christen wollten sofort wieder Scheiterhaufen errichten und die Inquisition einführen und so findet man stets einen guten Grund für Kontrolle. Das eine Lager will mehr wagen, das andere ist misstrauisch, der gesunde Menschenverstand spricht hier offenbar nicht mit einer Stimme.

Es gibt gute Gründe, dass mehr Bürgerbeteiligung ein konstruktiver Weg ist, um der Demokratiemüdigkeit und Politikverdrossenheit der Deutschen etwas entgegen zu setzen. Die direkte Demokratie wird dabei nicht unbedingt als der beste Weg gesehen, dennoch ist das nicht der einzige Weg für mehr Bürgerbeteiligung. Mindestens auf kommunaler Ebene, hier aber gleich mehrfach, gibt es Beispiele dafür, dass konstruktive Einbindung der Bürger, die Politiker entlastet und ein Bürgergremium, neben einem Expertengremium, tatsächlich zu konstruktiven Lösungen führt und mitunter zu besseren, als man ursprünglich dachte. Die beteiligten Bürger haben darüber hinaus das begründete Gefühl, dass sich Engagement lohnt und dass Kooperation etwas bewirkt.

Mehr Vertrauen in die heterogene Gesellschaft ist tatsächlich nicht der schlechteste Ansatz, auch wenn es Skepsis auf allen Seiten gibt.