Der Wert des Altruismus ist ein spannendes Thema, weil er uns auf eine eigenartige Paradoxie aufmerksam macht.
Grundsätzlich ist Altruismus definiert als der Wunsch, das Wohlergehen eines anderen Menschen zu vergrößern. Man hört oft den Einwand, jemand der altruistisch handelt, würde das letztlich nur aus selbstsüchtigen Motiven tun. Demnach wäre jeder Altruismus eine verkappter Egoismus, weil man eben gelobt wird oder sich einfach toll fühlt.
Dieser Einwand hat zwei Schwächen: Erstens, er ist nicht falsifizierbar. Die Unterstellung, man habe stets auch was davon, sonst würde man so nicht handeln, wiederholt in der Begründung die eigene Prämisse, dass es nämlich gar keinen echten Altruismus gibt. Zweitens, ist er falsch, weil man den authentischen Wunsch haben kann, jemandem zu helfen, ohne dass man eine Gegenleistung erhält. Man möchte einem Menschen etwas Gutes tun, weil man ihn mag, weil er Hilfe braucht oder warum auch immer. Das Ziel, das Wohlergehen eines anderen zu vergrößern kann dazu führen, dass man belohnt wird und sich gut fühlt, das muss aber nicht der Fall sein. Es spielt für das Motiv also keine Rolle, ob man Lohn bekommt oder nicht, wenngleich dieser Punkt das weitere Verhalten verändern kann.
Aber bei dieser Herangehensweise tritt ein anderer Effekt auf, es wird nämlich für den Moment dieses Wunsches das eigene Ich aus dem Fokus des Interesses genommen. Wenn ich möchte, dass es einem anderen Menschen besser geht, dann ist das zwar mein Wunsch, aber im Zentrum steht der andere und ich bin bereit meine Komfortzone für ihn zu verlassen. Es kann sein, dass der andere daraufhin auch das Gefühl hat, mir etwas schuldig zu sein, aber das ist nicht die Absicht, die dahinter steht.
Ein schönes Beispiel hörte ich kürzlich von einer Frau, die sich sehr für einen alten Mann einsetzte, weit über das Maß dessen hinaus, wofür sie bezahlt wurde. Der Mann war nicht wohlhabend und eines Tages fragte er, die Frau, warum sie das alles für ihn tue. Sie sagte: Erstens, brauche ich das Geld, zweitens, mag ich Dich gut leiden und drittens, habe ich im meinem Leben, als es mir schlecht ging, Hilfe bekommen und das will ich einfach weitergeben. Es ist das Gefühl einer inneren Verpflichtung, bei der es nicht mehr darum geht, dem Menschen, der einem einmal geholfen hat etwas zurück zu geben, sondern es geht in einem übergeordeneten Sinne darum die Idee der Hilfe weiter zu geben, an den, der sie hier und jetzt gerade braucht, wie einen Stab beim Staffellauf. Das ist der Wert des Altruismus, der dann durch andere Menschen gelebt und von Mensch zu Mensch weiter gegeben wird.
Ist Altruismus aus Eigennutz möglich?
Der Wert des Altruismus ist in den letzten Jahren immer mehr erkannt worden und er liegt kurioserweise darin, dass altruistisch zu sein dem Altruisten mindestens so gut tut, wie dem, der die Wohltat empfängt. Das ist einigermaßen erstaunlich, schließlich opfert der Altruist doch Zeit und Energie. Nicht immer kann er davon ausgehen, dass seine Wohltat reich entlohnt wird, manchmal wir ihm vielleicht „nur“ ein Lächeln und das Glück eines anderen Menschen geschenkt. Aber was heißt hier schon: „nur“?
Wäre der besonders pfiffige Egoist also jemand, der sich eine Liste erstellt und bedarfsangepasst all das heraussucht, was nützt? Was dem Menschen oft besonders gut tut, ist die Liebe. Aber kann man sich auf Knopfdruck verlieben, weil man gelesen hat, dass Liebe hilft? Kann man sich eng befreunden oder eine bestimmte Glaubensform annehmen, weil das gerade nützlich erscheint?
Kann man sagen, ich diene jetzt mal anderen Menschen und stelle mein Ego hinten an, weil ich gelesen haben, dass mir das was bringt? Auch diese Antwort ist nicht eindeutig, irgendwie ja, aber irgendwie auch nein. Das irgendwie ja liegt darin, dass man Altruismus durchaus trainieren kann. Gerade in der christlichen Religion wird die Idee der Nächstenliebe, der Caritas große geschrieben, im Buddhismus finden wir ausgedehnte Übungen, die uns zu mehr Mitgefühl verhelfen sollen, aber wir wissen auch, dass es durchaus nicht allen Gläubigen gelingt, diesen Wert des Altruismus zu erfassen und manche von ihnen erscheinen sogar besonders engstirnig.
Aber, dass es nicht jedem gelingt, bedeutet auch wiederum nicht, dass jeder scheitert. Es wird auch nicht jeder Musikschüler später ein Stargeiger oder Genie am Klavier. Irgendwann muss man Feuer fangen, muss man wirklich die Idee verstehen und leben, dann geht es weiter, ganz anders als, wenn man mit immer größerer Unlust Tonleitern fidelt oder Gebete runter rasselt. Die Idee, dass man sich jetzt mal verlieben muss, weil das bei den chronischen Erkältungen helfen könnte, klingt indes schon halbwegs absurd. Doch so mancher, der ein Ehrenamt übernimmt, zehrt von dem Lohn, den er dadurch erfährt, dass er anderen helfen und sein Wissen und seine Erfahrung weiter geben kann.