Liken, klicken und bewerten

Frau  mit Kugel mit Antennen als Kopf

Wenn die eigene Welt nur noch medial vermittelt existiert, sind Massenmedien problematisch. © quatro.sinko under cc

Wenn ich jemanden bewerte, dann tue ich das stets vor dem Hintergrund einer inneren Skala, einer Hierarchie anhand derer ich überhaupt beurteilen kann, wie jemand seine Sache gemacht hat. Nicht diese innere Werteskala ist das Problem, denn die brauchen wir sogar, sie ist ungeheuer wichtig. Interessant ist, anhand welcher Kriterien man die anderen bewertet. Wann ist jemand interessant, wann, nicht mal der Rede wert? Wenn ist eine Performance, eine Aufgabe, ja sogar ein Leben gelungen, wann missraten? Was sind meine Kriterien, durch welche Brille sehe ich die anderen? Sich das klar zu machen, ist sehr wichtig, aber weniger wegen der anderen. Die nehmen meine Bewertungskriterien vielleicht ernst, aber möglicherweise ist es ihnen auf vollkommen schnuppe. Wer genügend Ich-Stärke hat, weiß, dass man es im Leben nicht allen recht machen kann und hat auch gar nicht den Anspruch, das zu tun. Das muss man wieder unterscheiden, von demonstrativer, kalter Entwertung, bei der einem das Urteil des anderen sowas von egal ist und der Zurückweisung von unbegründeter Kritik. Der normale Umgang mit Kritik ist der, dass man sie prüft und schaut, ob sie auf die Sache beschränkt und begründet ist, oder die ganze Person angreift. Sachlich begründet ist Kritik ein Akt der Freundschaft und konstruktiv, schießt sie übers Ziel ist sie destruktiv.

Die Bewertungskriterien verweisen auf mein Weltbild, sie sind ja ein Teil davon. Wenn ich sage, wer wie zu sein hat und ob jemand dem entsprochen hat oder nicht, drücke ich damit mein Weltbild aus. Dieses Weltbild ist es auch, was ich anderen in die Schuhe schiebe, ich denke, dass diese mich genau so bewerten, wie ich die anderen bewerte. Wenn mein Blick kalt und streng ist, erlebe ich mich ebenfalls in einer kalten und strengen Welt. Wenn ich jemandem seinen Fehler genüsslich aufs Butterbrot schmiere, bin ich am Boden zerstört, wenn ich eigene Fehler mache.

Doch die heutige Kritik ist eine, die oft gar nicht mehr in einen Dialog eintritt. Wenn äußerlich die Tafel mit leider nur 6 Punkten hochgehalten wird, dann ist das noch erfrischend offen, problematischer ist, wenn wir das innerlich auch tun und mit dem Lebensgefühl der ständigen Benotung und des benotet Werdens durch die Welt gehen. Ein nicht unbedeutender Teil der Billigformate der privaten Fernsehlandschaft bedient genau dieses Muster. Wer äußerlich oder innerlich Noten verteilt, der ist aus dem Dialog schon so gut wie ausgestiegen. Dessen Leben schrumpft zusammen, auf einen unausgesetzten Monolog, auch dann, wenn sich zwei Subjekte gegenüberstehen, die sich wechselseitig bewerten und auch noch erklären, warum diese Hose gar nicht geht, das Fleisch zu dunkel gebraten war oder das Hochzeitskleid zu spießig. Wer benotet, hat sein Urteil gesprochen und kommt mit dem anderen gar nicht mehr in einen echten Dialog. Das ist es, was Habermas oben kritisiert und das ist das Bild und damit auch die Lebensart, die wir nach und nach verinnerlichen, transportiert und verstärkt durch die Massenmedien.

Aus psychologischer Sicht ist dieser hintergründige Effekt viel gefährlicher als die eher vordergründige Sorge belogen zu werden. Dann schaut man eben an anderer Stelle nach, die Angebote sind reicher denn je, auch die medienkritischen. Doch das Klima eines grundsätzlichen und zu weit reichenden Misstrauens (zur Differenzierung: hier), dass die doch alle lügen und jeder nur an seinen Vorteil denkt, wird aus derselben Quelle gespeist. Der kalte und instrumentelle Blick, der den anderen nur noch Mittel zum Zweck sein lässt, jemand, den ich benote, über den ich urteile, zu dem ich aber nicht mehr durchdringe.

Wie begegnen wir einander wieder?

Brandoms Darstellung ist nicht die eines Spinners, sondern, wie erwähnt, eines Spitzenphilosophen. Der Kern von Habermas‘ Kritik ist dieser: „Je zwei einzelne Subjekte schreiben sich gegenseitig „commitments“ zu und sprechen einander „entitlements“ zu oder ab. Jede Seite bildet ihr Urteil monologisch, nämlich so, dass sich keiner „mit“ dem jeweils anderen in der intersubjektiven Anerkennung eines Geltungsanspruchs „treffen“ kann.“(ebd. S.81) Der Aspekt der wechselseitigen Bewertung, des sich Zuschreibens von Verpflichtungen und Berechtigungen, was aber letztlich nur eine ausgedehnte Variante des Beurteilens ist. Das ist nicht unüberbrückbar weit entfernt, von einer intersubjektiven Begegnung, wenn es uns gelingt, den anderen nicht dauernd auf Distanz zu halten und damit eine Asymmetrie der Kommunikation, ein Lehrer/Schüler-Verhältnis zu überwinden.

Wie begegnen wir uns wieder? Wir können und sollten dem anderen zu gegebener Zeit schon unsere Sicht der Dinge, taktvoll aber klar, unterbreiten, aber das ist nicht das Ende der Geschichte, sondern nur die Ouvertüre. Nun sollten wir dem anderen Raum geben, vor allem in uns, um uns seine Sicht und darüber hinaus sein Weltbild zu unterbreiten. Wenn man einzig und allein auf seiner Persperktive beharrt und dem anderen – gleich wie geduldig – erklärt, was er falsch gemacht hat, hält man ihn wieder auf Distanz, weil man ihm sagt: Deine Gesamtsicht interessiert mich nicht, übernimm bitte meine. Wichtig wäre der Versuch, den anderen erzählen zu lassen, ihm zuzuhören und den Versuch zu unternehmen, ihn so gut zu verstehen, wie es eben geht.

Der Lohn ist nicht nur eine bessere Kommunikation, sondern die Möglichkeit zu einer erweiterten Sicht auf die Welt, sondern zu einem Ausbruch aus dem monologischen Gefängnis, das den Kontakt zur Welt verloren hat und sich nur noch in narzisstischer Selbstdarstellung ergeht. Es ist längst bekannt, dass Narzissmus ein Notprogramm ist, das den eigenen Selbsthass kompensieren soll. Dieser Selbsthass ist die Folge einer dauernd erlebten Entwertung und viele Massenmedien transportieren dieses entwertende Muster. Das ist in der Tat ein Problem, bis hinein in die sogenannten Qualitätsmedien.

Der Tragödie letzter Teil

Schlimmer geht es nimmer? Doch. Das Internet war mal konzipiert als herrschaftsfreier Raum, in dem nur die Nachricht zählen sollte, sonst nichts. Längst sind wir meilenweit davon entfernt. Nachdem schnell klar, wurde, dass selbst zu bildarmen Zeiten Emotionen im Internet eine große Rolle spielten, ist der Trend zur Selbstdarstellung heute allgegenwärtig. Auf YouTube tummeln sich bevorzugt die 12 – 29 Jährigen, und Facebook hat seinen Schwerpunkt eher bei den um die 30-Jährigen. Die Rolle von Facebook als „hatebook“ oder „hassbook“ ist inzwischen bekannt und der Großkonzern versucht etwas daran zu ändern, auf YouTube ist die Selbstdarstellung per Video fester Bestandteil, wie das Deutschlandradio Kultur in Wirtschaftsmacht YouTube darstellt.

Dass Massenmedien problematisch sind, zeigt sich auch hier und vielleicht vor allem hier. Doch kein Trend ohne Gegenbewegung und so ist festzustellen, dass bereits erste Jugendliche im Alter von 14 oder 15 Jahren online-müde werden und die Limitierungen einer Dauerreichbarkeit spüren. Denn die vermeintliche Freiheit maßgeschneiderter Angebot kippt irgendwann in ihr Gegenteil wie wir hier näher erläuterten.

Es tut sich was

Doch auch die Medien selbst haben in Teilen erkannt, dass sich etwas ändern muss. Der konstruktive Journalismus ist Teil einer solchen Antwort. Medienkritik wie sie etwa hier versucht wird ist ein weiteres Element und es ist gut, dass es diese und andere Ansätze gibt. Auch sie können sich natürlich in Nischen vergraben und wie immer gibt es auch hier eine Gefahr, nämlich die zu großer Selbstreferentialität. Wer über Medien schreibt, sieht die Welt im äußersten Fall nur noch durch die Brille der Medien und bestätigt damit, das Statement von Luhmann, auf das wir ganz am Anfang verwiesen haben. Die exzessive Beschäftigung verkennt, dass die Rolle der Massenmedien oft gar nicht so prägend und dominant ist, wie man befürchtet. Zumindest sollte man seinen Mitmenschen Reflexionsvermögen zutrauen und irgendwann mal den unseligen Trend hinter sich lassen, der Masse oder der schweigenden Mehrheit zu misstrauen. Man muss die Menschen nicht lebenslang erziehen, es reicht oft, sie zu informieren und darauf zu vertrauen, dass sie sich ihr eigenes Urteil bilden. Man sollte geduldig erklären und den eigenen Standpunkt erläutern, aber man kann nicht darauf bestehen, dass andere dann sofort freudestrahlend den eigenen Standpunkt übernehmen. Wozu auch, schließlich ist man selbst zuweilen auch im Irrtum und wer meint ihm passiere das nicht, ist vielleicht längst selbst Opfer der eigenen Selbstgefälligkeit geworden. Auch kluge Menschen irren sich zuweilen und stehen nicht außerhalb der Kritik, mitunter sind gerade sie es, denen man das öfter erklären muss.

Quellen:

  • [1] Nikals Luhmann, zitiert in: http://www.bpb.de/izpb/7488/editorial
  • [2] https://www.sueddeutsche.de/politik/facebook-auswertung-das-gefaehrliche-weltbild-von-pegida-1.2835993
  • [3] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
  • [4] Robert B. Brandom, https://www.argumenta.org/article/towards-reconciling-two-heroes-habermas-and-hegel/
  • [5] Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Suhrkamp 2005, S.81