Subtile Beeinflussung 2.0 – Spitzenphilosophie und niveaufreies Fernsehen
Etwas Spitzenphilosophie gefällig? Über unseren Köpfen finden philosophische Diskurse statt, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, nicht etwa, weil sie geheim gehalten würden, sondern weil es nicht gelingt, die oft komplexen Gedanken in 140 Zeichen, oder 90 Sekunden Formate zu pressen. Verfügbar ist das alles. Dass Philosophie zugleich immer populärer wird und man mit Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski, Thomas Metzinger, Richard David Precht und Markus Gabriel auf einmal wieder Philosophen in den Bestsellerlisten findet ist eine erfreuliche Begebenheit, auch wenn der eine oder andere akademische Philosoph die Nase rümpft.
Jürgen Habermas und Robert Brandom gehören zu den Big Playern in der Philosophie. Auf dem Buchrücken von Brandoms Werk Expressive Vernunft, steht eine Kritik von Habermas, in der er Brandoms Buch als „Meilenstein in der theoretischen Philosophie“ bezeichnet und für Brandom ist Habermas ein philosophischer Held.[4]
Doch dass die beiden einander schätzen, bedeutet nicht, dass sie nicht in einigen Punkten unterschiedlicher Meinung sind, oder noch genauer, aus unterschiedlichen Lagern kommen. Lauschen wir deshalb, was Habermas zu sagen hat:
„Wie die analytische Tradition insgesamt vernachlässigt Brandom die kognitive Relevanz der Rolle der zweiten Person. Er misst der performativen Einstellung des Sprechers gegenüber einem Adressaten, die für jedes Gespräch konstitutiv ist, kein Gewicht bei und begreift die pragmatische Beziehung von Frage und Antwort nicht eigentlich als dialogischen Austausch. Dieser Objektivismus verrät sich beispielsweise bei der Behandlung des Problems, wie der methodischen „Vorrang des Sozialen“ gewahrt werden kann, ohne dem Konsens der Sprachgemeinschaft in Fragen der epistemischen Geltung das letzte Wort zu überlassen. Brandom stellt dem kollektivistischen Bild einer Autorität gebietenden Sprachgemeinschaft das individualistischen Bild paarweise vereinzelter Beziehungen gegenüber. Je zwei einzelne Subjekte schreiben sich gegenseitig „commitments“ zu und sprechen einander „entitlements“ zu oder ab. Jede Seite bildet ihr Urteil monologisch, nämlich so, dass sich keiner „mit“ dem jeweils anderen in der intersubjektiven Anerkennung eines Geltungsanspruchs „treffen“ kann. Brandom spricht zwar von „Ich-Du-Beziehungen“, tatsächlich konstruiert er diese aber als Beziehung zwischen einer ersten Person, die sich auf die Wahrheit einer Aussage festlegt, und einer dritten Person, die der anderen – unter Vorbehalt einer eigenen Beurteilung – einen Wahrheitsanspruch zuschreibt. Der für die ganze Diskurspraxis grundlegende Akt des Zuschreibens vergegenständlicht die zweite Person zu einem beobachtbaren Dritten. Es ist kein Zufall, dass Brandom den Interpreten vorzugsweise mit einem Publikum gleichsetzt, das die Äußerungen eines beobachtbaren Sprechers beurteilt – und nicht mit einem Adressaten, von dem der Sprecher erwartet, dass er ihm eine Antwort gibt. Weil er die Möglichkeiten einer dialogischen Einstellung gegenüber zweiten Personen gar nicht erst in Betracht zieht, sieht Brandom sich am Ende genötigt, den internen Zusammenhang von Objektivität und Intersubjektivität, zugunsten eines „Vorrangs des Objektiven“ aufzulösen. Die epistemische Unabhängigkeit von der kollektiven Autorität der jeweiligen Sprachgemeinschaft scheint der einzelne nicht anders als durch einen monologischen Abstand sichern zu können. Diese individualistischen Beschreibung verfehlt die Pointe der sprachlichen Verständigung.“[5]
Was hat das mit unserem Thema „Wenn Massenmedien problematisch sind“ zu tun? Habermas sagt hier, dass dass Wesentliche einer Begegnung zwischen zwei Menschen tatsächliche ihre Begegnung ist. Hier werden neue Impulse gesetzt, neue Wege geebnet, neue Einsichten gewonnen, im besten Fall, nämlich in dem, wenn die Begegnung, der Austausch, das sich aufeinander Einlassen, das horizonterweiternde Verstehen des anderen tatsächlich stattfindet.
Seine Kritik an Brandom ist hier, dass dieser eine Situation beschreibt in der das gerade nicht der Fall ist. In Brandoms Ansatz begegnen sich nicht zwei Menschen, sondern sie bewerten einander, schreiben einander Eigenschaften zu und rastern den anderen ab. Die Frage ist, ob diese Ansätze des Aufstellens von Behauptungen über den anderen und der Möglichkeit des anderen, darauf zu reagieren und Habermas‘ Vision eines Diskurses, der sich so gut es geht auf den anderen einlässt, sich nicht begegnen können, aber wichtiger ist, dass wir die Kritik von Habermas tatsächlich verstehen.
Stell Dir vor, es wird eklig und keiner merkt es
Weite Teile der privaten Fernsehlandschaft sind dadurch geprägt, dass man den anderen wie einen Tanzbären, der Kunststücke vorführt, anglotzt und dessen Performance danach bewertet, wie es früher nur die „Kampfrichter“ beim Eiskunstlauf taten. Wettkampf und Bewertungen aller Orten. Das begann mit DSDS, das seinen Reiz vermutlich weniger aus dem Interesse an den künstlerischen Darbietungen der Gecasteten bezog, als viel mehr aus den mitunter schwer entwertenden Kommentaren der Jury. Da sitzen Leute über andere Gericht. Nun gut, wer’s braucht, kann man sagen und damit die Sache auf sich beruhen lassen. Doch dieses Format der wechselseitigen Bewertung greift immer weiter um sich, nicht nur von den Gesangsacts auf das Modelcasting, es gibt in der private Fernsehlandschaft so gut wie keinen Lebensbereich mehr, bei dem nicht Noten von 1 bis 10 vergeben und ausführlich kommentiert werden. Und wer sich dumm anstellt, wird schlecht benotet, abgewatscht und hat das dann auch verdient, so meinen manche. Ob man andere bekocht, heiratet oder wie man supertoll einkauft, kein Lebensthema ist privat oder abseitig genug, als dass es nicht in aller Öffentlichkeit vorgeführt und benotet wird.
Das Leben als Bühne, das Private wird öffentlich und es schleicht sich das Gefühl ein, unter ständiger Beobachtung und Bewertung zu stehen. Eine lebenslang ausgedehnte Schulzeit mit Noten und Klassenbucheinträgen. Voyeurismus und Exhibitionismus als Lebensmodell. Wie kann man das ertragen oder auch noch mögen? Es gibt zwei Antworten.
Zum einen ist da immer das Element der Entlastung. Da gibt es welche denen geht es noch schlimmer. So dämlich stell ich mich ja nicht an. Doch die Befreiung und der Triumph ist nur kurz, denn der kritisch bewertende Blick, mit dem man auf den anderen herabblickt, ist jener, dem man sich selbst ausgesetzt fühlt. Soll heißen, auch man selbst fühlt sich bewertet und auf einer Bühne. Doch es kann sein, dass man das vollkommen normal findet. Und das ist vor allem bei narzisstischer Pathologie der Fall. Alles was man macht, jede Geste, jede Lebensregung von einem selbst scheint wichtig und wert beachtet zu werden. Was man zum Mittag isst, ob man in einer Kneipe zum Klo geht oder im Supermarkt einkauft – alles ist bedeutsam genug, für die Nachwelt festgehalten zu werden und man ist der Überzeugung, alle Augen wären auf einen gerichtet. Das kann sogar manchmal sein, wenn man entsprechend auffällig auftritt oder gekleidet ist oder aus Angst sich linkisch zu verhalten, dann tatsächlich so verhält. Die einen genießen das, andere verkrampfen dabei.
Was hat es damit zu tun, ob Massenmedien problematisch sind? Der Trend, jeder Facette der eigenen Existenz eine immense Bedeutung zuzuschreiben ist vor allem durch die sozialen Medien kräftig verstärkt worden. Es ist nicht klar, ob die sozialen Medien nur Verstärker oder auch Auslöser sind, doch wir leben zum ersten Mal in einer Zeit, in der jeder Privatmensch so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, wie es sonst nur Showstars oder Angehörige von Königshäusern konnten. Wer will, kann sein ganzes Leben veröffentlichen und kein Lebensbereich ist ausgenommen: Essen, Sex, Urlaub, Freizeitaktivitäten, Meinungen zu jedem Thema. Es muss nur interessieren und da die Konkurrenz inzwischen groß ist, muss das, was man anzubieten hat immer greller, lauter, krasser werden. Wie Selfies, die oft unter lebensgefährlichen Bedingungen gemacht werden, als Frau wirkt man oft, indem man süß, sexy und mitunter pornographisch daherkommt oder sich eine andere besondere Nische sucht, wie Schminktipps, die dann auf einmal auch bei YouTube populär werden.