In unserer Artikelreihe über die narzisstische Sexualität geht es um die Veranschaulichung toxischer Beziehungsgeflechte, die mitunter partnerschaftlich und sexuell so verwoben sind, dass man Mühe hat, sie zu durchblicken. Die Grenze zum Missbrauch ist in dieser Art von emotional abhängigen Beziehungen schmal, wie der erste Teil dieser Artikelserie zeigt. Die Erfahrungsberichte von Betroffenen, die noch nie zuvor so offen geteilt wurden wie heutzutage, sind wichtig, um zu erkennen und zu begreifen, was einem in Beziehungen mit Narzisst:innen geschieht.
Die narzisstische Sexualität ist teils charmant, teils aufregend, teils übergriffig, teils abwertend. Ein Cocktail, der Gefühle und Impulse in einem Menschen auslösen kann, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, und der über kurz oder lang immer zu Lasten des Selbstwertes bei den Partner:innen geht.
Narzisstische Sexualität: Selbstzentrierung und Funktionalisierung
Narzisstische Sexualität ist durch eine nicht immer offenkundige Selbstzentrierung gekennzeichnet, die meist mit einer wie auch immer gearteten Bewertung der Partner:innen einhergeht. So kann es zum Beispiel um die Herausstellung der Besonderheit gehen, in der das Gegenüber als eine Trophäe fungiert. Gleichermaßen kann es aber auch mit einer Abwertung der Partner:innen einhergehen, indem die Sexualität eine starke Funktionalisierung des Bettgefährten/der Bettgefährtin aufweist. Nachfolgende Erfahrungsberichte sollen dieses Spektrum an Bewertungen deutlich machen.
Ich darf mit dir schlafen, andere nicht …
Zunächst mutet es wie ein Kompliment an, was eine Frau während ihrer Affäre mit einem verheirateten Mann im Bett zugeflüstert bekommen hat: »Du bist so schön! Ich bin glücklich und stolz, dass ich mit dir schlafen darf und die anderen nicht.«
Vor dem Hintergrund jedoch, dass dieser Mann es aufregend findet, zu hören, wie sie mit anderen geschlafen hat, erscheint das Kompliment in einem anderen Licht. Gemäß ihrer Aussage sagte er: »Du bist eine so freie und unabhängige Frau. Es ist schön, dass ich auch mal wieder bei dir ran darf.«
Dieser Mann gab anfangs halbherzig vor, sie zu lieben. Mit der Zeit der Affäre kühlten die Liebesbekundungen ab. Seine Liebe erkaltete, ihre jedoch nicht. Und so blieb die betreffende Frau noch viele Jahre in einer Affäre, in der sie sexuell funktionalisiert wurde und litt.
Eine freie Liebe zu proklamieren, ist gewiss heutzutage nicht mehr unüblich. Dennoch sollte dies stets in Zusammenhang mit Respekt geschehen. Die Funktionalisierung einer »Trophäe«, um sich aufzugeilen, gehört gewiss nicht dazu.
Dominanz und Abwertung
Einige narzisstische Charaktere dominieren ihr Gegenüber gern beim Sex oder/und werten ab, bevor sie zum Orgasmus kommen können. Zum Beispiel können manche narzisstisch orientierte Männer nur zum Orgasmus kommen, wenn sie vorab abwertende Bezeichnungen in Bezug auf die Frau und den Akt verwenden. Narzisstische Bienenköniginnen funktionalisieren die Männer mitunter, um sie in ihren Lebensplan zu integrieren.
Ich habe geglaubt, dass sie Nerds liebt
Ein Mann berichtet: »Ich lernte sie während des Studiums kennen. Sie studierte Biologie und fiel jedem auf, weil sie so schön war. Ich war Informatikstudent. Unsere Annäherung war ganz im Sinne der Serie ›Big Bang Theory‹. Ich habe wirklich geglaubt, dass sie die Nase voll hatte von Männern aus der ersten Reihe und mich anziehend fand. Eigentlich hätte mir das von Anfang an zu denken geben müssen. Wir hatten selten Sex, aber sie sagte, sie könne das nicht, weil sie als Kind missbraucht worden war. Das respektierte ich. Sie tat mir leid. Ich wollte für sie da sein.
Obwohl wir häufiger stritten und ich es ihr nie wirklich recht machen konnte, machte ich ihr einen Heiratsantrag, nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte und ein halbes Jahr sehr erfolgreich in einem IT-Unternehmen durchstartete. Schließlich wollte ich ihr etwas bieten. Sie verschleppte den Abschluss ihres Studiums, weil sie Prüfungsangst hatte. Am Ende brach sie ab. Ich ging arbeiten und trug sie auf Händen. Sie brauchte Zeit, um zu heilen. Die wollte ich ihr lassen. Ich habe sie nie zu irgendetwas gezwungen. Als ein ehemaliger Studienkollege und Freund von mir behauptete, er habe meine Frau tagsüber mit einem anderen Mann gesehen, wollte ich es nicht glauben. Ich war drauf und dran, die Freundschaft zu beenden. Denn ich glaubte meiner Frau, die mich beschwor und meinte, er würde mir nur mein Glück mit ihr nicht gönnen. Ab da an wurde ich wachsamer. Wie sich herausstellte, schlief sie mit vielen Männern, nur eben nicht mit mir. Ich war ihr finanzieller Versorger. Kinder mit mir wollte sie auch nicht. Sie schlief genau mit den Männern, von denen sie mir damals gesagt hatte, sie würden sie nicht mehr interessieren. Am Ende brannte sie mit so einem durch. Sie war meine erste und einzige große Liebe. Ich fühle mich so dumm. Und ich liebe sie immer noch.«
Nach seinem Betrug wollten wir die Ehe öffnen, doch dann …
Eine Frau erzählt: »Weil er mich mehrfach betrog, entschlossen wir uns, unsere Beziehung für andere Partner zu öffnen, um die Ehe und die Familie aufrechtzuerhalten. Von da an ging er regelmäßig aus, hatte Spaß und genoss sein Leben. Dies ging so lange gut, bis ich mich nach mehreren Monaten das erste Mal mit einem anderen Mann treffen wollte. Den Abend vor dem Date schrie er mich an und befahl mir, dort nicht hinzugehen. Er betrank sich und flippte völlig aus. Ich tat es dennoch, ich ging zu dem Date. Soweit war ich immerhin schon. Eine Zeit lang hatte ich von da an also zwei Männer, meinen Ehemann und die Affäre. Mein Ehemann stellte die ganze Zeit über Besitzansprüche, trotzdem er selbst weiter munter ausging und sich mit anderen Frauen traf. Er rechnete die sexuellen Kontakte mit dem anderen Mann gegenüber denen, die er mit mir hatte auf, und erwartete, dass ich ebenso oft mit ihm zu schlafen hätte. Er bettelte um Sex und forcierte unsere sexuellen Kontakte und ich ließ es geschehen, weil ich den anderen Mann nicht aufgeben wollte.«
… flippte er völlig aus
Die Frau schildert weiterhin:
»Er sprach über mich und meinen Körper so, als könnten er und der andere Mann sich diesen aufteilen. Ich selbst als Person spielte in seinen Ausführungen keine Rolle. Er befahl mir, dass ich den anderen Mann beim Sex nicht in dieser oder jener Art anschauen dürfte. Ich sollte keinen Oralverkehr mit ihm machen und er wollte über alles Bescheid wissen.
Er kam sogar ›ganz aus Versehen‹ in mir, weil er mich schwängern wollte, um mich wieder abhängig zu machen. Ich ging sofort zur Apotheke und holte mir die Pille danach. Ich begriff nach und nach das komplette Ausmaß seiner Übergriffigkeit, dass er all die Jahre unter dem Deckmantel des Vertrauens wie selbstverständlich auf mein Einkommen bestand, das ich ihm überweisen sollte, auch dass er stets über meine Zeit und meine Energiereserven verfügte. Nach seiner Meinung gehörte ich ihm und ich habe seine merkwürdigen Ansichten all die Jahre überhaupt nicht logisch für mich zusammensetzen können, weil er mir immer wieder zu verstehen gab, ich würde zu doof oder zu ängstlich oder zu sensibel sein, um das Leben zu kapieren. Durch die Affäre, die das alles auf die Spitze trieb, erwachte ich plötzlich wie aus einem langjährigen Schlaf. Von da an sagte ich mich immer mehr aus dieser Ehe los. Heute bin ich von diesem Mann getrennt, aber auch von der Affäre. Und ich bin so glücklich und befreit, wie ich es mir niemals im Leben hätte vorstellen können.«
Sukzessives Loslassen befreit
Die Befreiung und die Trennung aus einem toxischen Beziehungsgeflecht und narzisstischer Sexualität erfolgt über die Erkenntnis und das Loslassen. Ist der Schmerz groß genug, möchte man gehen. Doch nicht immer gelingt das sofort. Gerade die Angst vor einem Kontrollverlust nach der Trennung, dem Nichtwissen, wie es dann weitergeht, genauso wie eine bestehende Angst vor dem Beziehungsmenschen, lässt viele oft länger in vergifteten Beziehungen bleiben.
Trennungskompetenz erwerben
Was es braucht, ist eine gewisse Trennungskompetenz. Einige betroffene Partnerinnen und Partner haben sich vielleicht noch nie aus freien Stücken von einer Partnerschaft getrennt. Entweder sie hatten bereits eine neue Person an ihrer Seite und dadurch verfügten sie über die Kraft zu gehen. Oder sie blieben so lange und stritten herum, bis sie von ihrem Beziehungsmenschen verlassen wurden.
Die Trennungskompetenz ist ein Begriff aus der Psychologie. Dabei geht es darum, für sich selbst zu einer gereiften Entscheidung zu gelangen und diese auch längerfristig beizubehalten. Wer von einer destruktiven Partnerschaft mit einem narzisstischen Menschen betroffen ist, der weiß meist selbst schon längst, dass er gehen muss. Doch immer wieder gerät er ins Wanken, beispielsweise weil man von seinem Gegenüber zum Verbleib in der Beziehung überredet wird oder die Verlustängste überhandnehmen. Manche werden auch unsicher und glauben, ihre desolate Lage in der Beziehung vielleicht zu sehr dramatisiert zu haben. Gerade wenn die Partner:innen plötzlich wieder nett sind und so tun, als sei überhaupt nichts Schlimmes gewesen, beginnt man, an seiner eigenen Einschätzung der Lage zu zweifeln. Hier gilt es, eine gewisse Standpunktsicherheit zu erlangen. Das wird beispielsweise dadurch erreicht, indem man sich die unschönen Geschehnisse in der Beziehung mitsamt der verletzenden Aussagen des Gegenübers notiert.
Ferner bedeutet Trennungskompetenz auch, mit den eigenen negativen Gefühlen umgehen zu können. Es wird Zeitpunkte geben, an denen die Betreffenden froh sind, sich aus der Beziehung mit Narzisst:innen befreit zu haben. Doch dann wieder gibt es Momente, an denen sie sich einsam fühlen und sich die Partnerschaft zurückwünschen. In diesen Momenten stark zu bleiben, zu wissen, dass die Trennung die richtige Entscheidung war – das macht die Trennungskompetenz aus psychologischer Sicht aus. Es gilt, wieder in das eigene Leben zurückzufinden und sich darin wohlzufühlen.
Mit der Zeit wird man dann die destruktive Beziehung und die narzisstische Sexualität hinter sich lassen können. Doch bis dahin ist es für manche ein Prozess, der mehrere Etappen beinhaltet. Einen ersten Schritt in die richtige Richtung findest du hier: Acht Dinge, die Narzissten hassen – Nach der Trennung (1) und hier: Warum schaffe ich es nicht, meine Affäre zu beenden? – Trennung trotz Liebe (1). Alles Gute!