Wer sich zeitlebens abgelehnt und zurückgewiesen fühlt, fragt sich, woher diese scheinbar naturgegebene Einstellung stammt. Viele Menschen erkennen erst im Erwachsenenalter, dass ihren Schwierigkeiten mit dem Leben eine chronische Traumatisierung in der Kindheit oder durch eine toxische Partnerschaft zugrunde liegen könnte. Die Erkenntnis wiegt schwer, doch sie ist der erste Schritt für eine lebensverändernde Einstellung zu sich selbst. Wenn man beginnt, sich ehrlich mit der eigenen Persönlichkeit und Vergangenheit auseinanderzusetzen, beginnt man zu heilen. Wie sehen die Anzeichen der Heilung von einer Traumatisierung aus? Woran erkennt man, dass man dank einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst auf dem richtigen Weg der Einstellungs- und Verhaltensänderung ist?

Eines schicken wir vorweg: Eine schwerwiegende chronische Traumatisierung (z. B. sexueller Missbrauch, körperliche/psychische Gewalt, Vernachlässigung) aufzuarbeiten, sollte immer im Rahmen der schützenden und versierten Begleitung einer Psychotherapie stattfinden. Die nachfolgend getätigten Ausführungen sollen dich lediglich dazu ermuntern, deine Aufmerksamkeit auch auf deine Fortschritte zu richten.

Nach der Traumatisierung: Welche Anzeichen der Heilung gibt es?

Junge sitzt im Gras orange Jacke an

Nicht jedem Kind wird eine unbeschwerte Kindheit zuteil. © nicoleta gramada under cc

Genauso wie eine chronische Traumatisierung über mehrere Wochen, Monate, Jahre andauern kann, darf auch nicht erwartet werden, dass sich die Heilung von einer Traumatisierung innerhalb weniger Wochen vollzieht. Die psychische Heilung ist ein Prozess, der sein eigenes Tempo hat. Er ist mit unzähligen Erkenntnissen und kleinen Schritten verbunden. Die Erkenntnis ist der erste Schritt zum Aufbrechen alter Gedankenstrukturen und Gewohnheiten. Mit der Erkenntnis einhergehend folgen erste Veränderungen in der Einstellung zu sich selbst und dem eigenen Verhalten. Noch vorsichtig beobachtet man sein neues Verhalten in der neuen Situation und registriert die Reaktionen beim Gegenüber auf diese neuen Verhaltensweisen. Manifestieren sich diese Verhaltensänderungen, führen sie irgendwann zu neuen Gewohnheiten. Auch Rückfälle in alte Verhaltensweisen und Gedanken gehören zum Änderungsprozess dazu. Sie verleihen uns Rückenwind, da sie uns wieder und wieder aufzeigen, wie unser Leben sich nicht mehr gestalten soll.

Schauen wir uns nachfolgend die Anzeichen der Heilung von einer Traumatisierung an:

Du übernimmst für dich Verantwortung

Es klingt verrückt, weil es eigentlich selbstverständlich sein sollte. Aber Menschen mit einer chronischen Traumatisierung haben nie gelernt, für sich selbst Sorge zu tragen. Schlichtweg weil es ihnen nicht gestattet wurde. Sie haben oftmals nicht die Erfahrung gemacht, dass ihre persönlichen Grenzen akzeptiert wurden. Sie haben meistens keine Rollenvorbilder, die ihnen gezeigt haben, wie man einen liebevollen Umgang mit sich selbst (und anderen) pflegt.
Ein Anzeichen der Heilung von einer Traumatisierung ist, dass du dich mehr und mehr um dich kümmerst und für deine Belange einstehst. Du trägst dafür Sorge, dass dein Leben in geordneten Bahnen verläuft mit allem, was dazugehört: Job, Kinder, Freizeit, Zeit für sich selbst etc. Wie bei einem Mobile versuchst du, alles in Balance zu halten. Auch wenn es nicht immer gelingt, liegt der Fokus dennoch auf einem Gleichgewicht.

Du entfernst dich von toxischen Menschen

Flasche Poison Tapete mit Ornamenten

Die Dosis macht das Gift. Auch in sozialen Beziehungen. © Andrew Kuznetsov under cc

Die meisten Umgangsweisen in Partnerschaften, Freundschaften oder auch innerhalb der Familie haben sich über die Jahre eingeschliffen. Manches Mal fällt es einem gar nicht auf, dass die sozialen Verbindungen, die man zu anderen Menschen hat, sich nicht als besonders selbstwertdienlich herausstellen. Im Gegenteil, oftmals sind sie nahezu selbstwertschädigend. Unterschwellige Spitzen, die von deinem Gegenüber wie aus dem Nichts kommen, tut man häufig als sarkastisch oder humoristisch ab. Bloßstellungen durch den anderen vor einer größeren Gruppe belächeln wir, unabhängig von dem schmerzenden Stich in unserem Herzen. Obwohl viele von uns wahrnehmen, dass es im Inneren schmerzlich zeckt, reden wir uns ein, dass der andere lediglich eine witzige Situation in großer Runde zum Besten geben wollte. Aber ist dieses Verhalten auch loyal? Wie würde die andere Person reagieren, wenn man selbst in der Art mit ihr verfahren würde?

Auch viele Manipulationen bemerkt man häufig erst, sobald der persönliche Fokus auf der Selbstabgrenzung und Selbstheilung liegt. Erst dann fällt vielen von uns auf, dass wir auf die eine oder andere Art zu einer bestimmten Aussage oder Verhaltensweise hingeleitet wurden. Plötzlich fragt man sich, ob man selbst eigentlich so teure Fahrräder für sich und den Partner wollte? Schließlich erhöht sich dadurch die Gefahr eines Diebstahls? Außerdem fragt man sich vielleicht, warum man einer weiteren Kreditaufnahme zugestimmt hat, obwohl doch vorher ganz klar ein Geldausgabe-Stop vereinbart worden ist?

Womöglich fühlst du dich in den Gesprächen mit deiner besten Freundin oder deinem besten Freund immer irgendwie bewertet? Traust du dich alles frei heraus zu sagen oder hast du Angst vor einer Aburteilung? Warum fühlst du dich nach einem Tag mit dem Freund ständig irgendwie gehetzt, wie angeknipst, vielleicht auch destabilisiert? All diese Punkte werden einem im Zuge des Heilungsprozesses mehr und mehr bewusst. Je stärker wir in uns hinein horchen, auf das eigene Bauchgefühl vertrauen, desto stärker wird es uns auffallen, welche Menschen einem eventuell nicht gut tun.

Wann reicht es, innerhalb einer Freundschaft oder Beziehung auf etwas mehr Abstand zu gehen, um den gegenseitigen Respekt zu wahren? Wann wäre ein vollständiger Kontaktabbruch die bessere Variante? Überstürze nichts, aber verdränge auch nicht mehr. Es ist für keinen Menschen nützlich – am allerwenigsten für dich selbst –, wenn du mit dem Richtschwert über die Köpfe der Personen in deinem Umfeld hinweggehst und eine Verbindung nach der anderen abbrichst, sobald du toxisches Verhalten bei deinem Gegenüber wahrnimmst. Niemand von uns ist davor gefeit, sich hin und wieder ungerecht anderen Menschen gegenüber zu verhalten, im Streit laut zu werden oder ähnliches. Die Dosis macht das Gift. Und eben darüber musst du für dich entscheiden, wie deine sozialen Beziehungen zu welchen Menschen in der Zukunft aussehen sollen.

Zumeist schafft man es nicht sofort, sich von einem toxischen Menschen zu lösen. Die Angst vor dem Verlust wiegt schwer. Im Laufe der Selbstheilung nimmt man die toxischen Grenzübertritte immer stärker wahr und distanziert sich von ihnen. Wenn man es zunächst noch nicht schafft, loszulassen, so lässt man doch immer loser.

Du lebst in Einklang mit deinen Gefühlen

Auch das Erkennen deiner Gefühle ist ein Lernprozess. Die meisten der chronisch traumatisierten Menschen kennen eine Gefühlspalette, die von Angst, Groll, Wut, überschwänglicher Euphorie und Schuldgefühlen bestimmt ist. Im Laufe der Heilung lernt man, weitere Gefühlstableaus wahrzunehmen. Wie steht es mit Kränkung? Mit dem Gleichmut? Mit der gefühlten Wahrnehmung eines Grenzübertritts durch eine andere Person? Du wirst überrascht sein, welche emotionalen Abstufungen dein Inneres für dich bereithält. Vielleicht wirst du viele Momente weinen. Vielleicht wirst du dich bedauern, auch das darf sein. Womöglich glaubst du, dich auf deine Wahrnehmung von der Welt nicht mehr verlassen zu können. Gib dir Zeit. Du wirst neue Ansichten, neue Grenzen und neue Verhaltensweisen im Umgang mit deinen Gefühlen entwickeln. Nach und nach erkennst du deine Gefühle an, arbeitest sie für die jeweilige Situation auf und lässt sie los. Deine Gefühle bestimmen nicht mehr dein Verhalten.

Du findest für dich eine klare Linie im Leben

Frau mit Buch in Luft schweben

Gelassenheit und Balance sind Anzeichen der Heilung von einer Traumatisierung. © Vladimir Pustovit under cc

Im Laufe der Heilung lernt man aus den positiven und – oft noch viel mehr – aus den negativen Konsequenzen, die das Leben für dich bereithält. Je weiter man voranschreitet, desto mehr etablieren sich die Strukturen, die dem eigenen Wohl und dem eigenen Leben zugutekommen. Anstatt den ständigen emotionalen Ausschlägen zu folgen und das Gefühl zu haben, ein Spielball für die anderen und das Leben zu sein, geht man eng an der eigenen gesetzten Linie entlang, lernt, auf sich selbst und die eigene Entwicklung zu vertrauen, und entwickelt sich auf die Art weiter.

Du erkennst, dass alles halb so wild ist

Mit der Zeit erlangst du ein Unterscheidungsvermögen. Differenzieren zu können, ist ein weiteres Anzeichen der Heilung von einer Traumatisierung. Einerseits spürst du eindeutig, wenn jemand deine Grenzen übertritt. Du bemerkst es an einem Unbehagen in deinem Bauch. Andererseits hat dich die jüngste Erfahrung gelehrt, dass den katastrophisierenden Gedanken und den Ängsten, die man im Vorhinein an eine Situation antizipiert, oftmals die Grundlage fehlt. Anders gesagt: Wie sich zeigt, sind sie häufig sogar unbegründet.
Gerade wenn du im Laufe deines weiteren Lebens auf gesündere Menschen triffst, bemerkst du, dass sie dir nichts Schlechtes wollen. Dass du ihnen in deinen Gedanken negativer begegnest, als es sich schlussendlich als wahr herausstellt. Dadurch lernst du zu relativieren. Du lernst abzuwarten und in deinem Verhalten nicht mehr etwaigen impulsiven Eingebungen zu folgen. Ungeachtet dessen, ist es hilfreich, sich auf sein Bauchgefühl zu konzentrieren. Man muss lernen zu unterscheiden, welche Wahrnehmungen und Einschätzungen der wahren Intuition entsprechen und welche auf die Wahrnehmung des verletzten und zurückgewiesenen Kindes in unserem Inneren zurückzuführen sind.

Du wirst weniger verurteilend

Das Leben und die Menschen mit ihren Charaktereigenschaften sind nicht nur schwarz und weiß. Zu den weiteren Anzeichen der Heilung von einer Traumatisierung zählt, dass du die Grautöne wahrnehmen kannst. Du wirst weniger verurteilend und betrachtest die Situationen und Menschen mit mehr Abstufungen. Diese Erkenntnis stellt sich im Laufe der Selbstentwicklung ein, wenn andere Menschen für einen nicht mehr zu einer Bedrohung werden, weil man sich von ihnen abgrenzt, sich nicht mehr als deren Spielball wahrnimmt und für sich selbst Sorge trägt. Sprich: Durch die Selbstabgrenzung schaust du aus einer distanzierten und geschützten Position auf andere und bestimmte Konstellationen im Leben – und hast so automatisch mehr Abstand und Draufsicht. Aufgrund der Distanz schaffst du es, besser zu relativieren, und gelangst so zu einem valideren Urteil, das bei neuen Erfahrungen jederzeit korrigiert werden kann.

Denk daran: Jeder geht den Weg der Heilung in seinem eigenen Tempo. Also übe dich im Umgang mit dir um eine liebevolle Nachsicht – und Zuversicht. Reifung braucht Zeit. Im zweiten Teil des Artikels zeigen wir weitere Anzeichen der Heilung von einer Traumatisierung auf: Psychische Erholung nach einer Traumatisierung – Psychisches Wachstum (2).