Manche Kinder werden als anders empfunden. Egal, in welchem Alter oder wo sie sich aufhalten, sie scheinen von Klein auf aus der Reihe zu tanzen und irgendwie „sonderbar“ zu sein. Nicht immer im Positiven. Vermeintliche Querulanten sind unter ihnen, Überängstliche, Besserwisser, Klassenkasper und Unruhestifter. Für Kinder, die anders sind, gibt es viele Namen. Die aufgewühlten Eltern, deren Nachwuchs sich nicht auf die eine oder andere Art in den sozialen Verband einfügen mag, sehen bei aller Verzweiflung einen zarten Lichtschimmer der Hoffnung am Horizont: Vielleicht ist mein Kind hochbegabt?
Intelligenztests nicht immer richtungsweisend
Hin und wieder weisen Intelligenztests keine überdurchschnittliche Intelligenz aus, obwohl eine Hochbegabung vorhanden sein kann. Der klinische Psychologe Tony Attwood, einer der Vorreiter bezüglich einer diagnostischen Neudefinition bei Asperger-Autismus, merkt beispielsweise an, dass der Intelligenzquotient bei der Testdiagnostik um bis zu 40 Punkte niedriger ausgewiesen sein kann, sobald sich ein Asperger in einer sozialen Situation wähnt. In diesem Fall sind nämlich manche Asperger trotz ihrer deutlich überdurchschnittlichen Intelligenz in ihrer vollen Leistungsfähigkeit gehemmt.
Welche anderen möglichen Anzeichen neben IQ-Tests kann es also für ein Kind geben, das hochbegabt ist?
Ist mein Kind hochbegabt? Mögliche Anzeichen.
Es gibt durchaus einige andere richtungsweisende „Auffälligkeiten“ bei Kindern, die auf überdurchschnittliche Intelligenz hindeuten können.
Und selbst wenn man sich dafür entscheidet, sein Kind einer Hochbegabten-Diagnostik nicht aussetzen zu wollen, so kann es dennoch wichtig sein, zu wissen, warum das eigene Kind manchmal so tickt, wie es tickt, um der konträren Meinung mancher Schulärzte, Psychologen, Erzieher und Lehrer oder anderer Erwachsener etwas entgegensetzen zu können, die sich an der Aufmüpfigkeit des Kindes stören.
Diese Punkte, bei denen Psychologen hinsichtlich einer möglichen Hochbegabung hellhörig werden, haben wir nachfolgend aufgelistet. Selbstredend sind diese nicht erschöpfend, müssen nicht zwingend auf jedes Kind vollständig zutreffen und geben nur einige erste wichtige Hinweise.
Frühes und gutes Sprachverständnis
- das Kind fängt früh an, zu sprechen, bildet schnell vollständige Sätze und besitzt einen altersuntypischen, überdurchschnittlich breiten Wortschatz mit sehr klarer Ausdrucksweise (die Phase der Babysprache wird stark abgekürzt und teilweise vollständig übersprungen)
- möglicherweise wird man von anderen Erwachsenen auf das ungewöhnlich gute Sprachverständnis hingewiesen
Überspringen von Entwicklungsphasen
- neben der Babysprache werden auch andere Entwicklungsphasen ggf. übersprungen, wie zum Beispiel das Krabbeln; Kind versucht gleich zu laufen
Hohe Aufgeschlossenheit/Sensibilität gegenüber Umgebung
- bereits als Baby verfügt das Kind über einen äußerst wachen Blick, stellt unter Umständen sofortigen Blickkontakt her und zeigt starkes Interesse an seiner Umgebung
- das Kind „löchert“ Erwachsene mit tiefer gehenden Fragen, als es für gewöhnlich in diesem Alter der Fall ist
- mit Themen wie Tod, Sinn des Lebens etc. beschäftigt es sich tiefgründiger, scheint diese mehr zu durchdenken
- das Schlafbedürfnis leidet unter dieser Aufgeschlossenheit gegenüber der Umwelt; Kind kann schwer abschalten und findet schwer zur Ruhe
- mögliche Übersensibilität gegenüber Außenreizen
Unterforderung
- Kind langweilt sich, findet bestimmte Spiele doof und stört deren Ablauf gegebenenfalls
- in der Schule meldet es sich ständig, ruft dazwischen oder beschäftigt sich gänzlich mit anderen Themen
- auch Rumkaspern ist möglich, um sich einen Stellenwert in der Bezugsgruppe zu erarbeiten und Aufmerksamkeit zu bekommen
- Kind zeigt nicht zwingend der Intelligenz entsprechende Schulnoten; schlechte Zensuren sind durchaus möglich
- Arbeitsverweigerung bis hin zur Freude am Lösen von Aufgaben: alles ist möglich, inter- und intraindividuell
- verweigert bestimmte Tätigkeiten, zum Beispiel Malen, weil es bereits vorab erkannt hat, dass es aufgrund mangelnder motorischer Fähigkeiten nicht das umsetzen kann, was es als Bild im Kopf hat
„Ein guter Schulabschluss ist kein Indikator von Intelligenz, sondern von guter Anpassungsfähigkeit.“
(Neurobiologe Dr. Gerald Hüther)
Starkes analytisches Denk- und Abstraktionsvermögen
- Kind erfasst komplexe Zusammenhänge gut und abstrahiert/überträgt diese auf andere Themen
- verfügt über viel Phantasie und überrascht durch ungewöhnlich originelle Lösungen bei Herausforderungen
- komplizierte Denkvorgänge und Hinterfragen werfen oft die Pläne des Alltags durcheinander und erschweren das Einhalten zeitlicher Abläufe
- demzufolge nicht selten Einstufung des Kindes als schwierig/kompliziert
- besitzt ein ungewöhnlich gutes Gedächtnis
Hohe Ängstlichkeit
- stuft Gefahren eher als solche ein, antizipiert riskante Entwicklungsabläufe in Situationen und versucht diese zu vermeiden
- gilt deshalb oft als ängstlich oder unsicher, wagt im Spiel weniger als andere (Klettern, Rennen, Toben etc.), wird ggf. als motorisch ungeschickt eingestuft
Schwierigkeiten mit sozialer Interaktion
- Kind hat Schwierigkeiten, sich in die soziale Gruppe einzufügen
- argumentiert häufig in altkluger Art und wird deshalb als Besserwisser abgestempelt
- versucht ggf. soziale Zusammenhänge zu verstehen und hinterfragt diese explizit, um sich Regeln des sozialen Zusammenlebens zu erschließen
- achtet genauestens auf zwischenmenschliche Verhaltensweisen und eignet sich ein gutes Gespür dafür an
- beschäftigt sich lieber allein, mit älteren Kindern oder stellt den Bezug zu Gesprächen mit Erwachsenen her (wird von Erwachsenen teilweise als soziale Unreife ausgelegt, weil diese Kinder den Kontakt mit Gleichaltrigen möglichst meiden)
Zurückhaltung oder Wutanfälle
- Rumbalgen oder kindliche Kämpfe werden von dem Kind vermieden, es bevorzugt die verbale Klärung der Situation
- bemerkt es Zwistigkeiten, antizipiert es mit der Zeit das Gefahrenpotential und flüchtet aus der Situation
- ist häufig allein und macht lieber sein eigenes „stilles“ Ding
- verfügt über starkes Gerechtigkeitsdenken und akzeptiert nicht einfach so Entscheidungen/ Bestimmungen durch Autoritäten (Lehrer, Erzieher); hinterfragt diese und diskutiert viel; gibt sich mit Dominanz von Autoritäten nicht einfach so zufrieden
- versus: hat überhaupt kein Gespür für soziale Auseinandersetzung und gerät immer wieder in den Brennpunkt
- die innere Spannung des Kindes und sein Missverstanden fühlen beziehungsweise das Erleben von Grenzen können beim Kind in Frustration, Wutanfällen und Autoaggressionen münden
Regelbezogenes Verhalten
- hat das Kind Regeln bzw. Entscheidungen von Erwachsenen durchdacht und diese für sinnvoll befunden, folgt es diesen übergenau
Hohe Anforderungen an sich und andere
- Kind stellt hohe Anforderungen an sich selbst, ist perfektionistisch und verzweifelt (teilweise bis zur Wut) an seinen Fehlern
- Kind bemisst Verhalten der anderen ebenso streng, verhält sich äußerst kritisch
„Wer sich entwickeln will, braucht Gelegenheiten, um an sich selbst zu zweifeln.“
Untypische Interessen
- Kind interessiert sich für altersuntypische Dinge und dies häufig in tiefgründiger, exzessiver Art
- hat früh Interesse an Buchstaben, Zahlen, Zeichen etc.
- liebt Strukturierungen und Kategorisierungen bei speziellen Themen wie zum Beispiel Wellensittichen, Technik, Star Wars etc.
- findet an „kindlichen“ Aktivitäten keinen Gefallen (Versteck spielen etc.)
- bringt sich selbst Lesen oder Rechnen bei
- hat sich Spezialwissen zu spezifischen Themen angeeignet und wird von anderen Kindern/Erwachsenen deswegen belächelt
Überschätzung durch Umfeld
- weil es sich sprachlich sehr gut ausdrücken kann und kognitiv seinem Alter weit voraus ist, wird das Kind von Erwachsenen bezüglich seines Verständnisses und der Verhaltenserwartung häufig überschätzt
- die emotionale und soziale Entwicklung des Kindes ist jedoch altersgerecht und benötigt elterliche Nachsicht und Verständnis
Selbstwert und Selbstwirksamkeit stärken
Ungeachtet dessen, ob man sich als Eltern für eine gezielte Hochbegabten-Diagnostik beim Kind entscheidet oder nicht: Die genannten Punkte helfen in jedem Fall, die Verhaltensweisen des Kindes besser zu verstehen. Besonders wichtig für ein Kind, das eventuell hochbegabt ist, scheint für das Bestehen im Leben, die Stärkung der Selbstwirksamkeit zu sein. Die Gewissheit, im Leben das schaffen zu können, was man sich als Ziel setzt, beziehungsweise die Überzeugung zu erlangen, auch mit Rückschlägen selbstsicher umgehen zu können, ist ebenso entscheidend wie eine größtmögliche Förderung seiner Interessengebiete.
Davon abgesehen, egal ob – nach klassischer Diagnostik – das Kind hochbegabt ist oder nicht: Jedes Kind verdient eine auf seine eigenen Fähigkeiten zugeschnittene, bestmögliche Förderung, indem man ihm größtmögliche Gestaltungsfreiheit zum Erproben und Ausleben der Kreativität gewährt. Manche Psychologen und andere Neurowissenschaftler gehen sogar soweit, zu sagen, dass jedes Kind im Ursprung hochbegabt ist, bevor sein Geist gesellschaftlich-kulturell überformt in Schablonen gepresst wird, denn, so der Neurobiologe Dr. Gerald Hüther:
„Begeisterung ist Dünger für das Gehirn.“
Wie steht es eigentlich mit den Anzeichen für Hochbegabung bei Erwachsenen? Hier nachlesbar.