Was der Skandal nicht bedeutet

Immerhin scheint es noch Schlimmeres zu geben, als bei Wikipedia zu editieren. © Gideon Burton under cc
Lassen wir die Kirche im Dorf. Nicht alles bei Wikipedia ist schlecht. Längst nicht alles. Nach wie vor existiert die ganze Palette von exzellenten über brauchbare bis zu miesen Artikeln. Angesichts der Verfehlungen bei einigen Administratoren der Wikipedia müssen wir nur genauer hinschauen.
Die Tatsache, dass Verschwörungstheorie oder Verschwörungstheoretiker ein Kampfbegriff ist, bedeutet nicht, dass es keine Verschwörungstheorien gibt. Es wäre gleichermaßen falsch und verkürzt nun einfach nur eine erneute Kehrtwende zu machen und jeden Verschwörungstheoretiker reinzuwaschen. Nein, klarer Fall, es gibt sie und was sie ausmacht, haben wir in „Verschwörungstheorien“ dargestellt.
Es ist nicht unser Ziel, alle Arten von Verschwörungstheorien zu rehabilitieren, sondern, dass man erkennt, wo es sich lohnt, einem Thema auch abseits des Mainstream nachzugehen und zugleich, wann Verschwörungstheoretiker oder Übleres ins Spiel gebracht wird, um andere Meinungen zu unterdrücken und Menschen durch Diskreditierung mundtot zu machen.
Man kann der Wikipedia weiterhin vertrauen, wenn man weiß, auf welchen Gebieten das möglich ist und auch weiß, warum es dort möglich ist und in anderen Bereichen nicht.
Was kann ich tun?
Wir sollten kritisch sein und die Dinge offen legen, die schief sind. Pauschales Misstrauen ist fehl am Platze, aber man sollte im Auge haben, wie sich die Wikipedia angesichts der vollkommen berechtigten Kritik verhält.
Was jeder tun sollte, ist an erster Stelle:
Nachdenken
Lassen wir uns von selbsternannten Experten, Kritikern und Skeptiker nicht die Denkarbeit abnehmen. Dass einige das sehr gerne tun, ist bekannt, aber auch gefährlich und auf die Dauer (selbst)entmündigend. Gerade die sogenannte Skeptikerbewegung ist oft erschreckend eingleisig unterwegs, was Skeptiker adelt und wann man von Abstand nehmen sollte, haben wir in „Skeptiker: ihre Stärken, ihre Grenzen“ erörtert.
Selbst aktiv werden
Eine konstruktive Möglichkeit wäre, Fehler zu suchen und zu verbessern, das ist es, wie Wikipedia eigentlich gedacht war oder sein sollte. Wenn Verbesserungsvorschläge geblockt werden, sollte man schauen, ob hierfür eine Begründung gegeben wird. Fällt diese ruppig aus oder wird man entgegen dem Regelwerk der Wikipedia nach Gutsherrenart gesperrt, sollte man dieses Verhalten öffentlich machen.
wikipedia@terzmagazin.de ist eine eigens dafür eingerichtete Adresse.
Was man weiter machen kann, ist nach Beispielen zu suchen, die das kritische Bild auch auf anderen Gebieten der Wikipedia komplettieren.
Der Bereich Naturwissenschaft und Technik scheint mitunter hervorragend zu sein (von einer möglichen Einschränkung hörte ich, in den Bereichen Energietechnik/-politik, vermutlich, weil es dort um viel Geld geht), während auf den Gebieten Gesellschaft, Geschichte, Geopolitik, Alternativmedizin der Wurm drin zu sein scheint. Wer suchet, der findet und das ziemlich schnell.
Hilfsmittel nutzen
Technische Möglichkeiten sind zum einen die Website wikibu.ch. Sie untersucht nicht die inhaltliche Seite der Wikipedia Artikel, sondern vollzieht eine statistische Auswertung, die hier näher erläutert wird. Wikibu.ch ersetzt keine inhaltliche Auseinandersetzung, ist aber ein erster Indikator.
Sehr gute Tipps um Fake News im Allgemeinen zu erkennen findet man hier.
Ansonsten sind viele der Manipulationen in der Wikipedia so aufreizend plump, dass es sicher Freude macht, sie in langweiligen Minuten zu finden. Hier kann man ein wenig Detektiv spielen, wenn man dabei Erfolg hat und das belegen kann, gibt dies zudem ein gutes Gefühl.
Vorurteile und Fehlschlüsse erkennen
Petitio principii
Wir haben im zahlreichen Artikeln die psychische Struktur von Menschen mit erhöhtem Aggressionspotential und solchen, die mit Macht nicht gut umgehen können dargestellt. Die zirkuläre Argumentation der petitio principii ist dabei ein führendes Kriterium und tritt sowohl bei Verschwörunsgtheorien auf, als auch bei der Diskreditierung von jemandem als Verschwörtungstheoretiker. Die petitio principii ist eine logische Form des Arguments, in der die Behauptung, die in einer Prämisse auftritt (zum Beispiel: „Frauen sind die schlechteren Autofahrer.“) in leicht veränderter aber logisch gleicher Weise in der Begründung erneut verwendet wird (zum Beispiel: “ …, da ja jeder weiß, dass Männer besser fahren.“). Was hier fehlt, ist die Begründung der Behauptung. Was hier simpel klingt und aussieht ist bei komplizierten Beispiel nicht mehr so schnell zu erkennen, hier bietet uns der Wikipedia Eintrag schöne Beispiele.
Im Grunde ist die petitio principii die logische argumentative Seite dessen was man auch paranoide Einstellung oder geschlossenes Weltbild nennt. Auch hier geht man von einer Einstellung aus, für die man dann nur noch Belege sucht („Da sieht man es ja mal wieder.“), während man gegenteilige Beispiele kleinredet oder ignoriert.
Im Grunde ist das den Vorurteilen nahe. Kurz gesagt sind Vorurteile nicht per se schlecht, sondern eine psychische Orientierungshilfe, die Spreu trennt sich allerdings dort vom Weizen, wo die eine Seite unwillig oder unfähig ist, von eigenen Vorurteilen abzulassen und nachzujustieren, wohingegen andere es schaffen, von ihrem generellen Muster zu abstrahieren und gegebenenfalls ihre Einstellungen nachzubessern.
Betoniert sind Vorurteile, wenn man in den Augen eines Beobachters nichts mehr richtig machen kann, auch wenn man die Forderungen erfüllt:
A: „Meier ist ein typischer Akademiker, unzugänglich, abgehoben und von oben herab.“
B: „Wieso? Er diskutiert doch regelmäßig in seinen Thesen mit jedem, der will.“
A: „Ah ja, viel Gerede und heiße Luft, so kennt man Akademiker.“
Argumentum ad hominem
Eng verwandt mit dieser paranoiden und zirkulären Einstellung ist das argumentum ad hominem und verwandte Spielarten. Kern dieser Klasse von Fehlschlüssen ist immer, dass man nicht darauf schaut, was jemand inhaltlich sagt und damit sein Argument prüft, sondern das Argument unbeachtet lässt und den Menschen oder seine Einstellung diskreditiert.
- „Mein Gott, das hat Müller gesagt. Man weiß doch, dass nichts von dem, was Müller jemals sagte, stimmt.“
- „Özlem ist Kommunistin. Es ist ja bekannt, wie die ticken.“
- „Heiner ist Katholik. Wer heute noch katholisch ist, kann ja nicht richtig ganz frisch sein.“
Doch es ist nicht immer so offen:
- „Er hat ja nicht mal studiert. Wollen wir uns wirklich auf so ein Niveau begeben?“
- „Sie hat zwei populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht. Für echte Wissenschaft hat es offensichtlich bei ihr nicht gereicht.“
Diskreditierung durch angedeutete Zusammenhänge
Ist oben bereits angedeutet und ein wichtiges Thema. Ich weiß nicht, ob diese vielleicht bösartigste Seite hinreichend klar ist. Wenn nicht, schreiben Sie uns, damit wir das Thema vertiefen können, möglicherweise anhand einer exemplarischen Darstellung einer Seite.
Was man aushalten können muss
Wer eine Nähe zu Themen abseits des Mainstream verspürt, der muss wissen, dass er verstärkt der Kritik ausgesetzt ist. Das ist vollkommen in Ordnung und ich bin der Meinung, dass man das wissen und aushalten muss und nicht zu schnell beleidigt reagieren darf. Innerhalb einer Gesellschaft gibt es nun einmal Haupt- und Nebenströmungen und mit einer vom Mainstream abweichenden Meinung steht man unter etwas erhöhtem Rechtfertigungsdruck. Das ist okay. Der Bogen wird jedoch in dem Moment überspannt, wo man für seine Position gute Gründe anbietet und dennoch diskreditiert oder bei Wikipedia entgegen den eigenen Statuten gesperrt wird.
Auch hier muss man lernen zu erkennen, ob sich die Kritik noch gegen das Argument was man vorbrachte richtet, oder gegen die Person, die allgemeine Denkrichtung und Einstellung gerichtet ist. Letzteres ist nicht in Ordnung, ein Fehlschluss und gehört nicht in einen kritischen Diskurs, den man in einem öffentlichen Lexikon, das auf autonome Individuen setzt, voraussetzen darf.
Helfen wir mit, damit der Schatten über der Wikipedia sich langsam lichtet.
Vertiefend
Der Chaos Computer Club (CCC) hat zu einem ähnlichen Thema auf einem Kongress aus dem Jahre 2009 eine sehr interessante Podiumsdiskussion geführt, die man hier sehen kann.
Das Interview von Markus Fiedler in KenFM beleuchtet Aspekte, die im Film selbst noch nicht zur Sprache kamen.
Quellen:
- [1] KenFM im Gespräch mit: Markus Fiedler (Die dunkle Seite der Wikipedia), https://www.youtube.com/watch?v=4X-3-AwqkLQ 2:05 – 2:40
- [2] Jens Wernicke im Gespräch mit Markus Fiedler, NachDenkSeiten, http://www.nachdenkseiten.de/?p=28035
- [3] KenFM im Gespräch mit: Markus Fiedler (Die dunkle Seite der Wikipedia), https://www.youtube.com/watch?v=4X-3-AwqkLQ 1:28:00 – 1:29:15