Wikipedia und darüber hinaus

Die Angloversion von Wiki gilt vielen als liberaler. © Christopher under cc
Der Schatten über der Wikipedia reicht über diese hinaus. Ich bin der Meinung, dass das Thema was die Wikipedia betrifft nur exemplarisch für breitere Bereiche des Internet steht. Diesen Gedanken haben wir bereits in „Emotionen im Internet“ aufgegriffen, dort wurden Trolls in eigener Sache beleuchtet. Die bewusste Diskreditierung von Menschen im Internet, durch Geheimdienste ist thematisch ebenfalls schon angeklungen.
Im Zusammenhang mit den Recherchen von Fiedler und Speer stellt sich nun die Frage, ob diese Themen eine Fusion eingehen. Administratoren und Sichter, die annähernd 365 Tage im Jahr, Tag und Nacht in der Wikipedia aktiv sind, könnten das aus eigenem Antrieb machen und aus Motiven, über die wir nicht spekulieren wollen. Es könnte sich aber auch um gelenkte Aktionen handeln, das wird Teil weiterer Recherchetätigkeiten werden.
Bewusste Desinformation zu verbreiten ist in ein schweres Vergehen, auch dann, wenn es nicht in den strafrechtlichen relevanten Bereich hineinragt, denn es untergräbt das ohnehin schon angeschlagene Vertrauen in der Gesellschaft noch ein Stück mehr.
Meine persönliche Erfahrungen
Ich kann die Einschätzung von Markus Fiedler über die sehr unterschiedliche Qualität der Einträge bei Wikipedia teilen. Ich beobachte seit Jahren einen Trend zu einer immer aggressiveren Polemik im Internet und insbesondere einen immer aggressiver agierenden Mainstream. Ich bewege mich gewöhnlich nicht so sehr auf den Feldern der Geopolitik und des Einflusses politischer Propaganda und habe mir dort, mangels Sachkenntnis, kein feststehendes Urteil gebildet.
Meine Interessen liegen eher im psychologischen, philosophischen und medizinischen Bereich und ich kann dort viel besser die Qualität der Beiträge in der Wikipedia, aber auch in einschlägigen Internetforen beurteilen. Fiedler und Speers Film rennt bei mir insofern offene Türen ein, als auch ich so manche Darstellung in der Wikipedia, aber auch in weiteren Medien, im günstigsten Fall als lieblose Darstellung, mitunter als üble Diffamierung bezeichnen würde.
Der perfide Zug an der ganzen Vorgehensweise ist, dass hier nicht plump, offen und wüst agitiert wird – das mitunter auch, aber das ist harmlos, weil offensichtlich. Viel schlimmer ist das Netz von Assoziationen, was geknüpft wird. Subtil, aber mies und nachhaltig. Deshalb das Insistieren, manche Menschen immer wieder mit dem Terminus „Verschwörungstheoretiker“ in Kontakt zu bringen, wie man es bei Daniele Ganser ganz offensichtlich mit Vorsatz getan hat.
Irgendwas bleibt immer hängen und was mich betroffen macht und auch verärgert, ist, dass ich dieser nun offen gelegten, extrem einseitigen Sichtweise vertraut habe. Weil es eben hervorragende Artikel in der Wikipedia gibt und ich, wie andere auch, einfach nicht die Zeit und Möglichkeit habe, mich in jedes Themengebiet dieser Welt einzuarbeiten, möchte ich Wikipedia vertrauen können. Ich kann es aktuell in einige Bereichen nicht mehr und da Wikipedia Monopolist wird, möchte ich das zuküftikg anders, deutlich verlässlicher haben.
Entweder wir brauchen eine neue Online-Enzyklopädie oder wir brauchen eine bessere Wikipedia, die sich von Administratoren, die ihrer Aufgabe im besten Fall nicht gewachsen sind und im schlechtesten wissentlich Rufmord und Propaganda betreiben, trennt.
Weitere problematische Begriffe und Verhaltensweisen in der Wikipedia
Die angebliche Nähe zu Verschwörungstheorien zu konstruieren ist nur ein Aspekt, nur eine der problematischen Seiten. Ein weiterer Punkt ist der inzwischen vollkommen vergiftete Begriff „Esoteriker“ oder vieles aus dem Bereich der Alternativmedizin. Ihn mischt man oft mit den Begriffen „pseudowissenschaftlich“ und „parawissenschaftlich“, die selbst in unreflektierter und abwertender Weise gebraucht werden. Dies ließe sich weiter ausführen, exemplarisch nur die Betrachtung eines Ausschnittes des Wikipedia Eintrags über Alternativmedizin. Dort finden wir:
„Angebliche Wirksamkeitsnachweise der Alternativmedizin beruhen häufig auf bloßer anekdotischer Evidenz. Anwender alternativmedizinischer Verfahren berufen sich bei der Frage nach einer Wirksamkeit auf ihre eigene therapeutische Erfahrung, da diese angeblich eine hinreichend sichere Unterscheidung von brauchbaren und unbrauchbaren Verfahren gestattet.[21] Derartige retrospektive, subjektive Betrachtungen haben jedoch aus wissenschaftlicher Sicht keinerlei beweisenden Charakter. In Anbetracht des aktuellen Standes der wissenschaftlichen Überprüfung zum jeweiligen alternativen Heilverfahren wird dieses in aller Regel als pseudowissenschaftlich oder parawissenschaftlich eingestuft.[22]“
(Quelle: Wikipedia, Eintrag: Alternativmedizin, Abschnitt: Merkmale)
Kurz und knapp: Der Beitrag über Alternativmedizin erhält bei wikibu.ch (dazu unten mehr) 6 von 10 möglichen Punkten, gerade mal einer mehr, als der hoch umstrittene Artikel über Daniele Ganser. Die wikipediainterne Verlinkung im Artikel auf Anekdotische Evidenz in dieser kurzen Passage führt zu einem weiteren 6/10 Beitrag. Die weitere Verlinkung auf Pseudowissenschaft bekommt sogar nur 5/10, die gleiche Anzahl wie der Ganser-Artikel. Auf immerhin 7/10 bringt es der verlinkte Artikel über Parawissenschaft.
Die angegebene Quelle [21] verweist auf ein Fachbuch, Quelle [22] hingegen nur auf eine Rezension eines Buches, in der FAZ von 1996, ein Buch, das bereits in der Überschrift der Rezension als „Polemik gegen die Mythen der Alternativmedizin“ dargestellt wird. Dass es sich dabei um eine objektive Darstellung handelt, die zudem annähernd 20 Jahre alt ist, darf bezweifelt werden.
Ergänzend zur tendenziösen und suggestiven Wortwahl („Angebliche Wirksamkeitsnachweise“) und der fragwürdigen Quelle kommt hinzu, dass auch die Rezension überhaupt nicht das belegt, was im Text vor der Quellenangabe [22] suggeriert werden soll.
Solche Passagen sind, ganz freundlich formuliert, nichts wert und nur ein erster Beleg dafür, dass auch auf anderen Gebieten der Wikipedia schlampig und einseitig gearbeitet wird. Es ließen sich weitere Belege dieser „Güteklasse“ finden.
Gerne wird jemand oder etwas, was offensichtlich nicht in die gewünschte Richtung passt irgendwie mit dem Begriff „rechtsextrem“ in Verbindung gebracht, manchmal auch nur zusammen gequält. Auf dem Kampfplatz Alternativmedizin geschieht das unter anderem dadurch, dass man jemanden mit der „Germanischen Neuen Medizin“ in Verbindung bringt. Durch Andeutungen und das bewusste und wiederholte Rücken in die Nähe der sich oft durchdringenden Assoziationswolken „esoterisch“, „pseudowissenschaftlich“, „rechtsextrem“ werden Stimmungen erzeugt und nicht sachlich informiert. Das ist eines Lexikons unwürdig.