optische Täuschung mit parallelen Linien

Wahrheit und Täuschung, die Linien sind parallel. © Fibonacci under cc

Die Frage nach Wahrheit und Täuschung scheint auf den ersten Blick gar keine zu sein, zu klar liegen die Dinge. Man sollte nach der Wahrheit streben und die Täuschung vermeiden, wenn wir es moralisch-ethisch betrachten.

Auch mit Blick auf Erkenntnis und Wissenschaft, scheinen die Verhältnisse geklärt: Die Wahrheit bringt uns weiter, die Täuschung nicht.

Das mag alles stimmen, wenn die Täuschung eine bewusste Lüge ist, eine Fremdtäuschung, doch was, wenn wir überzeugt sind, dass es wahr ist, was wir glauben und einer Selbsttäuschung unterliegen?

Wahrheit und Täuschung in der Psychotherapie

Das Ideal der Psychotherapie liegt darin, den Menschen der Wahrheit näher zu bringen. Aber es gibt einen Unterschied zwischer „der Wahrheit“ und „der eigenen Wahrheit“. Nun sollte die eigene Wahrheit schon gewisse Überlappungen mit der gesellschaftlich akzeptierten Realität haben, aber wenn dies sichergestellt ist, geht es der Psychotherapie darum, die eigene Wahrheit zu erkennen. Warum bin ich so, wie ich bin? Wie funktioniert meine Psyche? Was bedeutet es für mich, diese und jene Phantasie zu haben?

Auch hier geht es um das Erkennen von Wahrheit, aber eher um die Herstellung einer kohärenten Sichtweise, also einer folgerichtigen, die weit genug ist, um nicht fundamentalistisch oder paranoid zu werden, aber doch noch eine innere Geschlossenheit darstellt. Es geht beim Thema Wahrheit und Täuschung in der Psychotherapie weniger darum, wie etwas war oder ist, im Sinne der Übereinstimmung mit den Fakten, sondern vielmehr was es für mich bedeutet, wenn ich etwas so sehe.

Das mag einigen zu wenig erscheinen, aber vielleicht ist der Glaube an die Richtigkeit des eigenen Weltbildes, von dem man meint, es beruhe weitgehend auf Fakten, selbst eine Täuschung oder Illusion.

Ein Weltbild aus Täuschungen und Rechtfertigungen

Was macht eigentlich unser Weltbild aus? Wir halten uns in der Mehrzahl für aufgeklärt, gebildet und vernünftig. Anders als im Mittelalter, einer Zeit der Ungebildeten, in der Pest und Schmutz dominierten. Doch bereits das ist ein Irrtum, wie man hier lesen kann. Viele kennen den Musiker Salieri als den neidischen Konkurrenten des genialen Amadeus Mozart. Doch das ist eine filmische Fiktion, genauso wie das „Wissen“ über andere geschichtliche Zusammenhänge: von den Indianern über Galileo Galilei und vieles mehr, die Liste der Lexika der populären Irrtümer ist lang.

Auch unsere Werte bekommen wir oft massenmedial und zuweilen etwas kitschig vermittelt. Und selbst wenn wir etwas wissen, so hindert uns das oft nicht daran, das Gegenteil zu tun. Von Alkohol und Zigaretten wissen wir, dass sie ungesund sind, doch das hindert uns nicht daran, sie zu konsumieren.

Doch unsere Vermutungen, was krank und gesund ist, ändern sich auch alle paar Jahre und dem nachzurennen, muss auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Und kollektiv: Nimmt man die Geschichte mit dem Klimawandel ernst, sollte man schnell handeln, doch der Kohlendioxidausstoß steigt unablässig. Kann man das immense Anwachsen des Fleischkonsums ethisch noch rechtfertigen, im Hinblick auf Klima und gequälte Kreaturen?

Vielleicht ist die Kurzformel, ausgebrannt, depressiv und abgehetzt zu negativ, aber dass wir nun in allen Punkten glänzend dastehen, kann man schwer behaupten ohne rot zu werden. Vieles wird verdrängt, verleugnet und das hat damit zu tun, dass wir in einem System selbstgewählter Täuschungen leben.

Was ist zu tun?

Aufklärung tut Not, aber mehr als eine weitere Anhäufung von Informationen, die gerade im Internetzeitalter ins Unermessliche steigen, geht es um selbstvertrauende Reflexion. Denn, stellen wir uns vor, ein Mensch habe das Ideal, ethisch vollkommen korrekt zu leben, etwas, worüber schon Bücher geschrieben wurden, weil es fast unmöglich ist. Oder, jemand wolle vollkommen vernünftig leben: Hier ist schon gar nicht mehr klar, was damit gemeint sein könnte.

Wir leben immer in einer Welt der Illusionen, der Glaube daran, dass dies anders sein könnte, ist vermutlich die größte Illusion. Aber man kann bei der Frage nach Wahrheit und Täuschung dennoch so navigieren, dass man zum einen selbst ein gutes Leben führen kann – denn Leid zu vermindern, heißt auch sich um sich selbst zu kümmern – und zum anderen so empathiefähig zu sein, dass einem die Welt nicht komplett egal ist.

Eigene Zufriedenheit und liebevolle Selbstreflexion sind die Grundlagen, um sich der Welt zuzuwenden, gehetzte und moralisierende Aktivisten sind leider oft in eigenen Selbsttäuschungen gefangen.