Der andere als Sündenbock

Kreisdiagramm zur Verantwortung

Ein häufiges Spiel. © Sean MacEntee under cc

Der Sündenbock oder psychologisch: die Projektion sind feste Bestandteile von Menschen, die die Verantwortung gerne von sich weisen. Aber warum weist man die Verantwortung von sich? Es ist ein unangenehmes Gefühl sich schuldig zu fühlen oder als Schuldiger oder Verantwortlicher angesehen zu werden. Man will kein schlechtes Gewissen haben. Es gehört fast zum modernen Ritual bei fast allem was passiert zu fragen, wer eigentlich schuld daran ist. Und wir fühlen uns oft auch nur gut, wenn der Betreffende entlassen wird, gleich, ob sich nachher an den Zuständen etwas ändert, oder nicht.

In unangenehmen Situationen fühlen wir uns oft hilflos und überfordert, vielleicht auch weil widersprüchliche oder zu viele Eindrücke auf uns einprasseln. Dann wird oft nach schnellen Lösungen gesucht und ein externer Schuldiger, auf den man die ganze Wut projizieren kann, ist da Gold wert. Die Sau. Wut kennen wir, sie ist eindeutiges Gefühl und es fühlt sich auch noch gut an, rechtschaffen böse zu sein und dem Ärger freien Lauf zu lassen. In einem gewissen Maße klappt das und ist wohl auch nicht anders möglich. Die Aggression muss abgeführt werden, dann geht es uns besser.

Und so kennen wir normale und pathologische Projektionen. Der Vorteil der Projektionen ist zugleich ihr Nachteil. Man ist auf der einen Seite das Thema vermeintlich los, auf der anderen Seite büßt man auch Handlungsspielraum ein. Nun muss man darauf warten, dass der andere oder im Zweifel die ganze Welt sich ändert und die Erfahrung zeigt, dass man da zuweilen lange warten kann. Ich kann nichts dazu, dass die Welt so ist, wie sie ist, ist auf der einen Seite eine entlastende Einstellung, auf der anderen Seite auch eine passive. Auf einmal findet alles irgendwie außerhalb meiner Reichweite statt und von den Themen entlastet zu sein, heißt immer auch ein Stück weit ohnmächtig zu sein. Das mögen wir dann oft weniger, Freiheit ist nett, für uns selbst, etliche andere hätten wir dann doch lieber wieder unter Kontrolle. Es auszuhalten auch den anderen frei zu lassen, ist oft schwieriger, als man denkt.

Pathologische Projektionen neigen dazu uns über den Kopf zu wachsen. Man wird die Themen doch nicht so leicht los, wie man es anfangs glaubte. Im Fall neurotischer Projektionen ist das abgelehnte Thema zwar bei einem anderen geparkt, man ärgert oder fürchtet sich aber dennoch. Und so wird allgemein geraten, die Projektionen zurück zu nehmen, was gleichbedeutend damit ist, Verantwortung für genau die Themen zu übernehmen, die man bisher projizierte.

Es ist mit der Verantwortung ein Stück weit mit der Empathie, sie entfaltet sich – vielleicht sogar in noch viel stärkerem Maße – in Stufen zunehmender Komplexität. Eine häufiger Einwand ist, dass es sich nicht um eine Projektion handelt, weil andere genau dasselbe denken oder empfinden. Dazu muss man sagen, dass dies nicht viel aussagt. Andere könnten dasselbe Thema verdrängen und entscheidender ist, wie viel Ladung auf einem Thema ist, das heißt mit wie viel Emotionen es in mir verbunden ist, statt wie viele der gleichen oder ähnlicher Meinung sind. Versuchen wir also zu zeigen, wie man sich psychische Themen und damit Einfluss auf die Welt zurück erobern kann.

Verantwortung für das, was man getan hat übernehmen!

Das ist theoretisch einfach, praktisch manchmal schwer. Hier sind noch gar nicht viele Projektionen im Spiel, hier geht es eher darum eine Haltung oder Meinung zu entwickeln und diese auch bei Gegenwind durchzuhalten, ohne zu schnell zum Opportunisten zu werden. Gar nicht so selten mangelt es hier an Courage, in Bereichen, bei denen es keinesfalls um Leib und Leben geht. Ausflüchte, Leugnungen sind hier gar nicht so selten, dabei sind Fehler im Grunde nicht schlimm. Man sollte sie nur nicht zu oft wiederholen. Man lernt und wächst an ihnen, gerade wenn man die Verantwortung übernimmt.

Verantwortung für das, was man nicht gewollt hat übernehmen

Ein Klassiker bei Missverständnissen, gerne in Beziehungen. Man sagt etwas und der andere ist beleidigt oder gekränkt. Man bemerkt, dass da etwas nicht stimmt, versucht es vielleicht noch anzusprechen und ist dann mit dem konfrontiert, was der andere empfunden hat. Nun kann es durchaus sein, dass man eine Bemerkung eher spaßig oder unbedacht fallen ließ oder es tatsächlich nicht so meinte, wie es beim anderen ankam. Und dann geht es oft hin und her. Der eine ist knurrig wegen der Bemerkung, der andere, weil ihm Dinge unterstellt wurden, die er gar nicht meinte, die man zumindest aber nicht nachweisen kann. Im schlimmeren Fall eskaliert der Klärungsversuch in neuem Streit.

Eine gute Strategie ist es, dass was beim anderen ankam anzunehmen, anstatt seinerseits auf stur und beleidigt zu stellen. Kann durchaus sein, dass man es nicht so gewollt oder gemeint hat, man leichtfertig oder im Affekt geredet hat, aber beim anderen ist es nun mal als Verletzung angekommen. Dafür kann man die Verantwortung übernehmen und sich entschuldigen, eventuell noch fragen, wie man die Verletzung wieder gut machen kann. Das gibt einem die Möglichkeit die Situation anzusprechen, zu klären und ein Mittel an die Hand, um sie aus der Welt zu schaffen. Wenn man den andere fragt, was man tun kann um die Sache wieder gut zu machen, kann daraus sogar eine Basis von neuem Vertrauen wachsen.

Verantwortung für das, was man nicht getan hat übernehmen?

Das könnte in Situationen sein, wenn man achtlos weggeworfene Gegenstände irgendwo findet und sie in den Müll schmeißt. Oder etwas übernimmt, was einem aus irgendwelchen Gründen leichter fällt, als einem anderen. Sich in einer Situation bewusst einzumischen oder auch herauszuhalten, weil man meint, man sei nicht kompetent, könne nicht helfen oder ein Eingreifen würde sogar schaden. Aber genau darum geht es, denn aktiv mit der Welt zu interagieren, heißt auch, sie gestalten zu können. Es muss ja nicht immer ums Ganze gehen, so dass man das Klima rettet und nebenher noch den Kapitalismus abschafft, es geht darum im Kleinen zu wirken und diese vermeintlich Kleine zu würdigen.

Nicht wenige Weltrettungspläne würden uns erspart bleiben, wenn man zunächst mit der großen Ordnung und dem Superplan bei sich beginnen würde. Aber die Reihenfolge lautet bei gar nicht so wenigen Menschen anders: Erst soll sich die Welt ändern, dann tue ich das vielleicht auch. Dumm nur, wenn noch jemand anders genauso denkt und es besteht der Verdacht, dass es tatsächlich sogar mehr als zwei Menschen mit dieser Einstellung gibt. Aber ob man die Welt ändern will oder nur den Partner, die Denkweise, der Anspruch ist ähnlich: Erst du, dann ich. Wieso soll ich denn anfangen?

Das ist ein ziemlich egozentrischer Standpunkt und Egozentrikern kann man nicht mit dem Hinweis auf andere und deren Wohlergehen kommen, denn genau das ist ihnen herzlich egal, sie wollen für sich das Beste und die Komfortzone möglichst nicht ankratzen. Irgendwo ist das lästig, frustrierend, seltener richtig bösartig, nur ins Gespräch kommt man so nicht. Man muss ihnen etwas anbieten, was sie selbst attraktiv finden und Freiheit und Autonomie ist so ein Punkt, der vielen Menschen sehr wichtig ist.

Verantwortung zu übernehmen ist die andere Seite der Medaille auf der Freiheit steht. Freiheit heißt selbstbestimmt zu handeln und selbstbestimmt kann ich nur handeln, wenn ich für mein Tun Gründe habe und Verantwortung übernehmen. Einfach impulsiv tun und lassen zu können, was mir in den Sinn kommt, klingt frei, letztlich ist man dadurch aber ein Sklave seiner Triebe und Bedürfnisse. Das kann durchaus Spaß machen, nur mit Freiheit und Selbstbestimmung hat es nichts zu tun, man ist dann einfach seinen momentanen Impulsen und Affekten ausgeliefert.

Die Variante unbescheiden, aber mit kleinem Herzen zu leben führt nur bedingt zum Erfolg, hat aber nichts mit einem selbstbestimmten Leben zu tun. Bescheiden, aber mit großem Herzen, ist die Wahrscheintlichkeit, dass man glücklich wird erheblich größer. Darum geht es auch im psychotherapeutischen Umfeld und damit zu einem heiklen und letzten Punkt.