Verantwortung für das eigene Denken und Fühlen?

Es gibt mitunter tragische Umstände, die dafür sorgten, dass Menschen fürchterliches Erleben mussten. Es ist eine etwas ärgerliche Entwicklung, dass der Begriff des Traumas in der Psychologie und des Opfers in der Gesellschaft so inflationär benutzt wurde. So wurde jeder kleine Verkehrsunfall und stressige Moment zum Trauma aufgebauscht und jeder Mensch, der nicht augenblicklich kriegt, was er will, stilisiert sich zum Opfer. Das ist deshalb ärgerlich, weil es echte Opfer, von denen es mehr als genug gibt, in eine Reihe mit Menschen stellt, die vielleicht nur etwas zu anspruchsvoll sind und für Menschen, die etwas davon verstehen, beginnt ein echtes Psychotrauma in dem Moment wo man um sein Leben fürchtet oder etwas so überwältigend ist, das es psychisch nicht integriert werden kann.

Vieles davor, soziale Phobien und ähnliches kann und sollte man ernst nehmen, nur haben sie mit einem Psychotrauma nichts zu tun. Das Trauma muss noch einmal von chronischer Aggression unterschieden werden, der jemand lange und immer wieder ausgesetzt sein kann, eine Erfahrung, die zu unterschiedlichen Folgen und Notwendigkeiten der Behandlung führt.

Die kontroverse Frage in unserem Zusammenhang ist, ob es Grenzen der eigenen Verantwortung gibt. Wenn ein Mensch in seiner Kindheit misshandelt wurde oder auch später einem echten Trauma ausgesetzt war, dann ist das Leben dieses Menschen durch einen oder mehrere andere Menschen auf diese Weise geprägt und verändert worden. Was macht man nun, als Betroffener? Was ist nun die richtige therapeutische Strategie? Hier geht der Weg von Traumatisierung und chronischer Aggression etwas auseinander aber eine der dringenden Frage ist, inwieweit man den Täter verstehen kann oder ob man das überhaupt nicht versuchen sollte? Ob man ihn hassen und aus seiner Psyche verdrängen oder ob man ihm eher verzeihen sollte?

Die Frage, was hier richtig und falsch ist und in welchem Tempo man vorgeht, können Betroffene nur selbst beantworten. Ganz allgemein, über einschneidende Erfahrungen hinaus, ist auch hier die Frage von Schuld und Verantwortung zu trennen. Schuld ist man nicht, man hat nicht darum gebeten misshandelt zu werden, aber die Ereignisse haben einen zu dem Menschen gemacht, der man jetzt ist. Und ab einem gewissen Punkt ist es gut, auch hier die Hoheit über das eigene Leben zurück zu gewinnen.

Vielleicht ist das die anspruchsvollste Übung, auch im Angesicht intensiver Leiderfahrungen zu sagen: Das bin ich, das ist mein Leben. Aber die Extremsituationen stehen hier nur als Beispiel für die Gesamtsituation. Egal, wie es bisher gelaufen ist, es ist immer die Gesamtheit meines Lebens. Das ist kein leichtes Spiel, weil am Ende des Tages mehr Leichen im Keller liegen, als man gewöhnlich ahnt. Selbst Menschen, die halbwegs normal aufwuchsen schauen früher oder später in Abgründe. Allein die Konfrontation damit, dass man keineswegs der oder die Gute im Leben ist und immer nur nette und selbstlose Motive hat, ist schwer zu ertragen und oft noch schwerer zu integrieren.

Happy End?

Aber wozu die üble Psycho-Wühlerei, wenn am Ende doch nur die Extraportion Frust steht? Sollte man es dann nicht lieber lassen? Es ist vermutlich eine Frage der persönlichen Neigung. Nicht jeder wird den Verzicht auf Freiheit als Makel empfinden, der Opportunismus hat keinen guten Klang, kann aber helfen, halbwegs reibungslos und unauffällig durchs Leben zu kommen und nicht jeder verlangt mehr vom Leben.

Wer frei sein will, kommt nicht darum herum Verantwortung für sein Sosein zu übernehmen und nicht sofort zu projizieren, auch wenn es zunächst bequemer ist und ein beliebtes Gesellschaftsspiel. Verantwortung nicht nur in der Komfortzone des Lebens, sondern auch dort, wo einem scheinbare oder auch tatsächliche Ungerechtigkeiten widerfahren. Kann ein großes „Ja, das bin ich“ das alles einfangen? Ich glaube, es ist ein mühsamer und schmerzhafter Weg, aber immerhin ist man dann kein Spielball der äußeren Umstände mehr. Es ist ein Weg auf dem Missverständnisse und Irrtümer wohl eingepreist sind, aber dennoch ein möglicher Weg.

Wo führt er hin? Ich glaube dahin, wo das Glück zu finden ist, wenn es vielleicht auch das kleine Glück ist. Aber das scheint mir eine der sich daraus ergebenden Erkenntnisse zu sein. Das kleine Glück, im Sinne einer unterschwelligen Zufriedenheit ist nicht die B Version oder die abgespeckte Variante, sondern die in Wirklichkeit sogar tragendere Version des Glücks. Ich kann mir die Welt im Großen und Ganzen eben nicht basteln, aber ich kann mir die Freiheit nehmen, meine Welt im Rahmen meiner Verantwortung zu gestalten.

Woran erkennt man normalerweise, dass es sich bei der Einstellung eines Menschen um eine Projektion handelt? Der hohe emotionale Gehalt, der mit der Aussage verbunden ist. Es hat mich stets skeptisch gestimmt, dass bei allem Verständnis für die immer auch nachvollziehbaren Argumente, die Betonung des Umstandes, dass man an seinem Leben selbst nun nichts mehr ändern kann, einigen Menschen so außerordentlich wichtig ist, dass sie sogar in Wut geraten, wenn man anderer Meinung ist. Das wäre für mich ein Indiz für eine Projektion.

Ist Verantwortung nun Freiheit oder Bürde? Beides, denke ich. Bei der Einübung dessen, was nicht unbedingt selbstverständlich ist gibt es immer wieder Phasen der Mühe, des Missverstehens, der Konflikte und der Irritation. Das fühlt sich nicht unbedingt gut an, in der Begegnung mit anderen ebenso, wie bei der eigenen Einübung. Ein konsequentes Aufdecken eigener Projektionen macht wahrlich nicht immer Spaß. Der Lohn ist, dass man tatsächlich in eine verantwortungsvolle Freiheit gelangt, die man selbst früher nicht für möglich gehalten hätte. Es ist nach meiner Einschätzung nicht die Freiheit derer, die sich als über allen schwebend erleben, es ist die Freiheit derer, die sich bei allen Unterschieden den anderen immer ein Stück weit verbunden fühlen und dieses „Ich bin wie du“ ertragen können.