Eingeebnet?
So ist es mit Janine Chasseguet-Smirgel abermals eine Frau, die Otto Kernberg hier referierend würdigt und die uns das Thema der Verleugnung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern, als „perverse Lösung“ vorstellt:
„In ihrem grundlegenden Werk „Kreativität und Perversion“ (1984) beschreibt Chasseguet-Smirgel die „perverse“ Lösung von Kindheitserlebnissen, die die traumatischen Implikationen, die Teil der gewöhnlichen menschlichen Entwicklung sind, in hohem Maße potenzieren. Ausgehend von der ödipalen Situation als universalem menschlichen Konflikt beschreibt Chasseguet-Smirgel zunächst das narzisstische Trauma des Kindes, von den intimen Beziehungen der Eltern ausgeschlossen zu sein und nicht in der Lage zu sein, mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil um den andersgeschlechtlichen Elternteil zu rivalisieren. Dieses Trauma wird durch die universale Verführbarkeit verstärkt, deren Ursprung in den unbewussten erotischen Strömungen liegt, die das Kind mit dem andersgeschlechtlichen Elternteil verbinden, sowie der Kastrationsangst als archaischer Ausdrucksform der unbewusst gefürchteten Bestrafung für die ödipalen Wünsche, zu denen Inzest und Mord gehören. Die außergewöhnlich starke Wirkung dieser Traumata im Falle schwerer Entwicklungspathologien mündet, so Chasseguet-Smirgel, in die „perverse Lösung“:
- Verleugnung des Geschlechtsunterschiedes, um die Kastrationsangst abzuwehren;
- Verleugnung des Altersunterschieds, um Inzest zu legitimieren; und
- Verleugnung der privilegierten Funktionen der Genitalien.
Diese abwehrbedingte Verzerrungen führen dazu, dass nunmehr alle körperlichen Aspekte gleich sind: Es gibt keine Alters-, Geschlechts- und Organunterschiede. Diese universale Gleichwertigkeit zerstört jedes Gesetz und jede Ordnung, sie leistet einer mit Sexualität verdichteten Aggression sowie einer „analen“ Verwandlung der Objektbeziehungen Vorschub, in dem Sinne, dass die Beziehung zu einem Objekt eine völlig undifferenzierte, entwertende und ausstoßende Qualität enthält.“[1]
Die Ansicht von Simone de Beauvoir, als Türöffnerin und einiger Teile moderner Emanzipationsbewegungen, kommen dieser „perversen Lösung“ (pervers ist hier nicht abwertend gemeint, sondern eher technisch zu verstehen, vergleiche hier) nahe. Es geht, wenn der Bogen überspannt wird, um die radikale Beseitigung oder Verleugnung von Unterschieden, um einen universellen Relativismus, der alles gleich machen möchte. Ein Relativismus, der dem Selbstanspruch nach zwar Ideen von Freiheit und Gerechtigkeit vertritt, aber nach der Auffassung von Chasseguet-Smirgel Ordnungen zerstört. Wenn jeder alles darf, gibt es kein richtig und falsch mehr und wir kehren zurück auf eine ethik- und moralfreie Ebene der wechselseitigen Manipulation. Einer Sichtweise von kurzfristigen Interessen und Kosten-Nutzen-Relationen, die über langfristige Beziehungen, die von Vertrauen getragen sind, dominieren. Oder man regredigert noch weiter auf die Ebene des Rechts des Stärkeren.
Es war Ken Wilber, der in „Eros Kosmos Logos“ darauf hinwies, dass es neben einer pathologischen Hierarchie auch eine gesunde Hierarchie gibt und dass der Gegenspieler der Hierarchie, die Hetrerarchie uns ebenfalls in den Varianten gesund und pathologisch begegnet. Heterarchie ist nicht per so besser und Hierarchie nicht gefährlicher.
Als Lösung spricht Wilber von „Agenz in Kommunion“, welche die beiden gesunden Aspekte von Hierarchie und gerichtetem Impuls und Herterarchie, ihrer Teilung und Ausschüttung für alle, vereint. Auf Umwegen sind wir so auch wieder zum vielleicht archetypisch männlichen und weiblichen Pol der Wirklichkeit gelangt.
Denn die Sichtweise einer hierarchischen Entfaltung der Moral ist mit dem Namen Lawrence Kohlberg verbunden und es war mit Carol Gilligan eine seiner begabtesten Mitarbeiterinnen, die ihm widersprach. Es schien bei Kohlbergs Modell nämlich so zu sein, Frauen insgesamt moralisch weniger entwickelt seien, bis Gilligan den Einspruch geltend machte, dass, auf der Stufe der konventionellen Moral, Frauen die Welt ganz einfach anders als Männer betrachten.
Männer urteilen in der Regel härter über ihre Mitmenschen, an den Prinzipien von Recht und Ordnung orientiert, Frauen neigen eher zum Verständnis für die Situation eines Menschen und dazu, ihm eine erneute Chance zu geben. Männer und Frauen ticken hier anders. Ist ihnen das nun antrainiert oder liegt das in ihrer Biologie? Ist es das eingangs erwähnte Testosteron, was Männer hier härter und unnachgiebiger sein lässt? Und Oxytocin das, was Frauen weicher macht, oder ist auch das einfach ein tradiertes Rollenmuster, aus dem beide Geschlechter nicht herauskommen oder -wollen?
Ausblick
Das Gefühl der weiblichen Unterlegenheit hat sich ziemlich gewandelt. Abgesehen davon, dass es noch immer bestehende Ungerechtigkeiten gibt, hat sich eine Sensibilität dafür entwickelt, dass es sich dann eben tatsächlich um soziokulturelle Ungerechtigkeiten handelt und nicht um ein Recht, was sich aus der Natur ergibt. Das führt nach meiner Überzeugung dazu, dass nun auf der anderen Seite bisweilen die Männer und das Männlichkeitsbild entwertet wurden, wie hier näher ausgeführt.
Unabhängig davon, ob man diese Einschätzung teilt, hat sich das Bild von Frauen radikal verändert, zum Glück und zum Besseren. Carol Gilligan machte erneut auf etwas aufmerksam, was vielleicht ein bleibendes Muster ist. Frauen orientieren sich in aller Regel mehr zur Mitte, zur Gruppe, zur Familie und versuchen dieselbe zusammen zu halten und Ausreißer wieder zurück zu holen. Männer versuchen auszureißen, vielleicht auch, weil sie das bislang nie tun mussten und immer von Mutter umsorgt wurden, wenn alles normal verlief.
Man kann nicht sagen, woran es liegt, aber Frauen sind wohl in aller Regel kommunikativer, früher reif und im Schnitt intelligenter als Männer. Von dem Bild der intellektuellen Dominanz des Mannes hat man sich also weit entfernt. Dafür gibt es – auch das ist statistisch zu verstehen – bei den Männern mehr Ausreißer nach oben und nach unten. Wenn wir von Psychopathen und Verrückten reden, sind das oft Männer, zum Ausgleich gibt es wohl tatsächlich auch mehr Genies unter Männern, als unter Frauen, auch wenn Frauen bislang auf diesen Gebieten eher unterdrückt wurden.
Alles in allem scheint das recht gelungen. Männer und Frauen ergänzen sich. Die Männer verlassen die Gruppe, mal tatsächlich, mal emotional, mal so, dass sie sich vor der Verantwortung und ihren Aufgaben in bestimmten Bereichen drücken, oder diese einfach nicht als ihre ansehen. Frauen versuchen geduldig das auszuputzen und einige der Ausreißer wieder ins Boot zu holen. Auch das bietet noch genug Nährstoff für Streit, aber hier haben wir wieder Wilbers Motiv von „Agenz in Kommunion“. Die einen machen einen Ausflug gen Himmel (oder Hölle), die anderen sehen zu, dass daraus etwas wird, wovon letztlich alle profitieren. Das könnte bei aller Spannung etwas sein, was beide akzeptieren können, wenn man nicht den Fehler macht Statistiken oder archetypische Muster zu sehr auf den Einzelfall zu übertragen. Es gibt rührend familiäre Männer und Frauen, an deren Freiheitsdrang und Selbstständigkeit wenig Zweifel bestehen.
Quelle:
- [1] Otto F. Kernberg, Liebe und Aggression, Schattauer 2014, S. 325f