Die realen Unterschiede

Mann mit näckten Oberkörper brüllt auf Frau ein, die sich duckt

Gewalt bleibt ein Thema zwischen den Geschlechtern. © Gideon Wright under cc

Die Unterschiede zwischen Mann und Frau, seien, so dachte man früher, himmelweit. Die Urteile aus berufenem, aber natürlich stets männlichem Munde muten uns heute eher peinlich an. Als man sich systematischer und unvoreingenommener an die Arbeit machte und untersuchte, was letzten Endes bleibt, von den „himmelweiten“ Unterschieden, da war das nicht mehr sonderlich viel. Die Fähigkeit dreidimensionale Körper im Geiste zu drehen, das sogenannten räumlich-visuelle Vorstellungsvermönen, ist bei Frauen statistisch geringer ausgeprägt, als bei Männern und zudem haben Männer mehr Testosteron im Blut, was sie insgesamt aggressiver als Frauen macht. Dieser Vorteil bei räumlich-visueller Vorstellung führt man auf die Frühzeit zurück, in der Männer vermutlich mehr jagten und kämpften und so die Entfernung zum Beutetier oder Feind besser abschätzen können mussten. Dass größere Aggression hier hilft, ist einzusehen, zudem sind Männer statistisch gesehen kräftiger, was ebenfalls in diese Richtung deutet.

Ken Wilber hat in „Eine kurze Geschichte des Kosmos“ darauf hingewiesen, dass Testosteron zu eher primitiven Verhaltensweisen anregt, der Form „Töte es, oder vögle es“ und Männer sind biologisch mehr oder weniger gezwungen den Tiger zu reiten, was ihnen, da man auch von ihnen sozialkompatibles Verhalten erwartet, einiges abverlangt. Frauen, die aus medizinischen Gründen oder beim Doping im Sport auf ein männliches Testosteronniveau kommen, wissen, wovon die Rede ist.

Aggression ist an sich bei beiden Geschlechtern vorhanden. Die Aggression der Frauen sind meistens weniger körperlich ausgeprägt, sie zeigen sich eher in konstanter Kritik: Nörgeleien, Sticheleien und Lästereien, während die Aggression der Männer offener und gewalttätiger ist, sei es in Form sexueller oder anderer Gewalt. Doch der Unterschied ist damit nicht erschöpfend erklärt. Auch Frauen können kämpfen, morden und töten und bei der Untersuchung von Männern die Sexualstraftäter wurden stellte man zur Überraschung vieler fest, dass diese zu etwa 50% sogar weniger Testosteron im Blut hatten, als durchschnittliche und diesbezüglich unauffällige Männer. Zum anderen gibt es auch Frauen, die in Beziehungen ihre Männer schlagen und misshandeln, ein Befund, der, weil er nicht so recht ins Bild passt, auch bei uns eher kultrell verleugnet wird. Frauen sind so nicht und Männer könnten, sollten oder müssten sich doch wehren können oder sie sind eben keine echten Männer. So unbeachtet dieser Punkt ist, so klar ist andererseits die Gewichtung, was Gewalt gegen Frauen angeht. Und natürlich ist Aggression auch jene Kraft, die dafür sorgt, dass Neues in die Welt kommt, die ändert, Grenzen austestet, infrage stellt und ständig Altes durchbricht. Auf die gelungene Sublimierung der Aggression kommt es an.

Ein weiteres biologisches Faktum ist, dass Frauen die Kinder bekommen und wie schon öfter beschrieben, ist gezieltere Kommunikation, über die Fähigkeit Affekte auszudrücken und zu lesen, eine Errungenschaft der Säugetiere. Frauen sollen alles in allem kommunikativer und empathischer sein. Wir gehen weiter unten darauf ein, wodurch dieser Unterschied eventuell zustande kommt. In der Phase der Jäger und Sammler mag die Schwangerschaft ein Nachteil gewesen sein, beim Gartenbau mit leichtem Gerät war sie weniger hinderlich, als dann aus Gartenbau wieder oder parallel der Ackerbau mit seinen Notwendigkeiten wurde, war Körperkraft und die Gefährdung der Nachkommen wieder ein Argument, vor allem weil körperlich schwere Arbeit mit einer höheren Zahl an Fehlgeburten korrelierte. Heute, im Zeitlater der Automatisierung und Computerisierung ist dieser biologische Vorteil im Grunde völlig in sich zusammen gefallen.

Der pychoanalytische Blick

Wir haben an anderer Stelle auf den Ödipuskomplex und die eventuelle Notwendigkeit ihn noch einmal unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten (siehe dazu hier und hier) hingewiesen, eine weitere Facette dieses großes Themas ist die frühkindliche Entwicklung von Mädchen und Jungen.

Ist Kommunikation aus evolutionsbiologischer Sicht vielleicht eher die Domäne der Frauen, weil die bessere Pflege der biologisch kostbaren Brut und eine diesbezüglich naturgegebene Rollenteilung ein Vorteil im Kampf ums Überleben (oder im Spiel des Lebens) darstellte? Vielleicht, doch die Psychoanalyse bietet eine weitere Erklärung an. Während der kleine Junge von der Mutter auch, während der Reinigung, sexuell stimuliert wird, bleibt das kleine Mädchen in dieser Hinsicht unterversorgt und wendet sich daher emotional dem Vater zu. Die Folge ist nach psychoanalytischer Ansicht eine sexuelle Hemmung des Mädchens, aber eine höhere Kompetenz in Beziehungen, die Mutter als primäre Beziehung wird gegen den Vater eingetauscht (der Elektrakomplex, wie C.G. Jung ihn nannte), während der Junge in ödipaler Konstellation bei der Mutter bleibt. Diese Fähigkeit, sich auf neue und andere Partner einzustellen bleibt der Frau vermutlich auch später mehr erhalten, als dem Mann.

In der Tradition von C.G. Jung

In der analytischen Psychotherapie von C.G. Jung geht es unter anderem darum, von der Persona – einer Art des Rollenspiels, ein Mensch, der vor allem in der ersten Lebenshälfte nur die Hälfte seines Potentials lebt – zum Ich zu werden und das bedeutet bei Jung, die andere Seite, beim Mann, seinen archetypisch weiblichen Anteil, die Anima und bei der Frau, ihren archetypisch männlichen Anteil, den Animus zu leben und zu integrieren. Die Kurzformel lautet hier: Persona (das, mit dem man bewusst identifiziert ist) + Schatten (das, mit dem man nicht identifiziert ist) = Ich

Der Schweizer Paartherapeut und Psychiatrieprofessor Jürg Willi hat sich Jahrzehnte mit dem Thema Partnerschaft auseinander gesetzt und unter anderem, vor allem später, den jungschen Aspekt der Psychologie aufgegriffen. Nachdem er sich lange Zeit dem Thema der Paarprobleme widmete und die Kollusionen in der Paarbeziehung dominant beachtete („Die Zweierbeziehung: Das unbewusste Zusammenspiel von Partnern als Kollusion“), wandte er sich später der Frage zu, was Paare eigentlich trotz all des Ärges zusammenhält. In der nächsten Phase untersuchte er, wie das Zusammenleben konstruktiv gelingen kann und hier, ganz jungianisch, identifiziert Willi die Stimme des Partners als den zu integrierenden Schatten. Der je andere weiß schon, was mir fehlt, nur gibt man dem in aller Regel nicht nach, denn nach dem Muster der Kollusionen benutzt man das Dammbruch-Argument und sagt, wenn man hier und jetzt den an sich richtigen Vorschlägen und Froderungen nachgeben würde, kämen gleich die nächsten und man wäre nie mehr frei und man selbst.

Ein anderer Schweizer, der Psychotherapeut Adolf Craig-Guggenbühl, differenziert dann auch in die Beziehung zum Heil und die Beziehung zum Wohl. In Letzterer, in der Partner gleicher Interessen zusammen treffen fühlt man sich wohl, lernt aber nicht viel fürs Leben. In der ersten eher komplementären Variante lernt man viel, fühlt sich aber nicht unbedingt wohl.