Aggression und Menschlichkeit stehen in einer Wechselbeziehung. Von Menschlichkeit können wir erst reden, wenn tatsächlich auch der Mensch die Bühne der Welt betritt und es ist bis heute unklar, ob das Auftauchen des Menschen alles nur bis ins Extrem verschlimmert, oder im Gegenteil, alles verbessert hat.
Aber knüpfen wir dort an, wo wir beim letzten Mal aufhörten, dann sind wir bei den zwei Arten von Menschen, den Aggressoren und den Kooperatoren. Wie hat sich das nun alles entwickelt?
Ian Morris schreibt dazu in Krieg: Wozu er gut ist:
„Tiere, die sich ihres eigenen Körpers gewahr waren – merkten, wo sie selbst aufhörten und die übrige Welt begann – schlugen sich im evolutionären Wettstreit in der Regel besser als solche, die sich ihrer Außengrenzen nicht bewusst waren, und diejenigen, die sich ihres eigenen Gewahrseins gewahr wurden, schlugen sich sogar noch besser. Das Gehirn wurde sich des Tiers in dem es seinen Sitz hatte bewusst, begann dieses als Individuum zu begreifen, brachte Hoffnungen, Ängste und Träume hervor. Das Tier wurde zum „Ich“ und der Geist hatte seinen Auftritt auf der Weltbühne.“[1]
Das Bild was wir sehen, ist dabei etwas kontrovers.
Je freier, desto aggressiver!
Schon im Tierreich beobachten wir etwas Seltsames. Wir haben uns aktuell darauf geeinigt, die Geschichte des Evolution vor allem als eine Geschichte von Kampf und Konkurrenz zu erzählen. Dabei beobachten wir ein recht dramatisches Ansteigen der Gewalt, die über „natürliche Aggressionen“ des Schutzes von Nachfahren, Revier und Nahrung und Konkurrenz um Weibchen hinausgehen, schon im Tierreich. Je höher entwickelt und komplexer und vermutlich willensfreier Tiere werden, umso brutaler werden sie, umso mehr scheinen sogar Gefühle wie Hass und Rache aufzukommen. Zwischen Hyänen und Löwen sind regelrechte Kriege bekannt, aber vor allem Affen terrorisieren, morden und vergewaltigen manchmal systematisch ihre Feinde, Schimpansen sind oft äußerst grausam.
Freiheit bedeutet aber genau das. Über das natürliche Maß hinaus zu gehen. Kooperation heißt Bindungen einzugehen und Bindungen sind auf eine Art immer auch Beschränkungen. Freiheit heißt auch, das Gefühl auszukosten, frei von möglichst vielen Regeln und Vorgaben zu sein. Doch Freiheit hat noch eine andere Seite und die wurde recht schnell in der Evolution des jungen Menschengeschlechts klar.
Je freier, desto aggressiver?
Freiwillige Bindungen sind auch ein Vorteil, denn ansonsten ist man zum Einzelgängertum gezwungen. Das ist für frühe Menschen kein Vorteil gewesen. Die Gruppe bot Schutz, bei einfachen Dinge, wie der nächtlichen Wache oder der Besorgung von Nahrung. Auch der beste Jäger wird gewisse Tiere alleine nicht erlegen können, in der Gruppe war der Mensch schnell unschlagbar. Doch die Gruppe hatte wieder ihre eigenen Regeln, dazu gehörte, dass man auch kooperieren musste und das hieß einige seiner natürlichen Impulse beherrschen können musste. In vielen kleinen Schritten entstanden im Individuum Ideale, einen anderen als wertvoll, über den augenblicklichen Nutzen hinaus anzusehen und damit die kollektive Disposition zu einem Wertesystem, Moral: Dem was man tun und was man lassen sollte. Wer nicht mitmacht, nicht teilt und seine Impulse nicht ausreichend beherrscht, ist raus.
Im Kampf von Kraft und Ausdauer versus Sprache siegte die Sprache. Klatsch und Tratsch wurden ein evolutionärer Turbo, weil der passende Mensch an die passende Stelle kam. Der beste Kundschafter, Spurenleser, Koordinator, Läufer, Werfer, der mutigste Kämpfer, der vorsichtigste Wächter und so weiter. Als Einzelgänger ist der Mensch vielleicht als Mängelwesen zu sehen, in der Gruppe war es schon immer eine schlechte Idee, sich mit Menschen anzulegen. Die Möglichkeit Bindungen und Beziehungen einzugehen erhöhte die Wahloptionen des Menschen und Freiheit heißt auch, sich freiwillig in die soziale Gemeinschaft einzubringen, um von ihren Vorteilen zu profitieren. Der Nachteil war, dass man seine primären Antriebe und Affekte beherrschen lernen muss.
So kann der Mensch beides sein, er hat ein ultraagressives Erbe in sich und ein ultrakooperatives. Ideale, Werte und dann Ideologie ein Kompromiss für das ultraaggressive und ultrakooperative Wesen Mensch. Ich darf aggressiv sein, gegen die Feinde. Ich darf das Böse hassen.